🌺 SECHS *

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So hatte nur eine Person mich genannt. Eine Person, die ich so sehr vermisste.

Weit weg drang Tys Stimme an mein Ohr, doch ich konnte nichts machen, lauschte nur meinem Atem, der davon galoppierte.
Irgendwann spürte ich seine Hand auf meiner Schulter und hörte die Worte, die er mit besorgter Stimme von sich gab: "Leyla, was ist passiert? Bitte sprich mit mir."
Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren und auch wusste ich nicht wo ich war.
"Ty...Nate...lebt...Babygirl."
Die Worte verließen meinen Mund unkontrolliert und als ich, wie durch einen Nebel, in Tys Augen schaute, sah ich die Verwirrung in seinem Gesicht.
"Was sagst du da? Leyla, hol mal tief Luft und dann nochmal."
Ich versuchte mich zu beruhigen, meine Gedanken zur Ordnung zu rufen und sagte dann um einiges ruhiger, aber dennoch mit zitternder Stimme: "Nate lebt...Er war am Telefon."
Ty riss die Augen auf und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
"Was hat er gesagt?"
"Babygirl."
"Das war alles?"
"Ja."
"Und du bist sicher, dass Nate es war?"
Ich konnte seine Sorge in seiner Stimme hören. Er dachte wahrscheinlich ich würde so langsam aber sicher verrückt werden, aber ich hatte mich nicht verhört. So einen Streich konnte mir mein Gehirn doch nicht spielen.
"Ja. Denn nur er nannte mich Babygirl...Es war seine Stimme." Und da war ich mir zu 1.000 Prozent sicher.
Er lebt. Er lebt. Er lebt, lief in Endlosschleife in meinem Kopf ab. Diese zwei Worte wollten nicht verschwinden. Doch warum war er nicht hier? Diese Frage gesellte sich einfach zu den zwei Worten, die mir wieder all die Hoffnung gaben.
"Oh Gott, Leyla...Wir brauchen ein neues Handy für dich und dann müssen wir ihn orten lassen."
Stille.
Mein Blick glitt neben mich und ich sah mein Handy neben mir liegen, total zerstört. Hätte er noch mehr gesagt, wenn ich mein Handy nicht hätte fallen lassen? Neue Bestürzung machte sich in mir breit.
Ty half mir auf die Beine und brachte mich zur Couch. Wie war ich auf den Esszimmerboden gekommen?
Erschreckend fiel mir etwas ein und ich war wie gelähmt, innerlich brach ich weiter zusammen.
"Wie soll das gehen? Da stand keine Nummer", stotterte ich.
Wo war er?
Was war passiert?
"Hier nimm erst mal mein Handy und leg deine Karte ein, falls er sich nochmal melden sollte...Ich hol ein anderes eben aus der Firma. Bis gleich."
Mit den Worten war Ty verschwunden und ließ mich und mein Chaos allein. Zitternd ging ich zum Essbereich und hob mein kaputtes Handy auf. Wieder auf der Couch angekommen, fingerte ich die Karte aus dem Scherbenhaufen, um sie in Tys Handy einzulegen. Ich brauchte drei Anläufe, um die richtige PIN einzugeben, so durcheinander war ich.
Kein Anruf.
Was wenn er nie wieder anrufen würde? Wenn ich es verbockt hatte, weil ich mein Handy hatte fallen lassen?
Mir brach der Schweiß aus und die Panik wanderte meine Kehle hoch und legte ihre eiskalten Klauen um meinen Hals.
Im Hintergrund hörte ich die Haustür und kurze Zeit später riss Ty mich aus meinen Gedanken und stoppte meinen aufkommenden Schockzustand.
"Leyla, das Handy klingelt."
Was? Hatte ich gar nicht gehört. Ich starrte auf meine Hand. Klar hatte ich es nicht gehört, es war ja gar nicht mein Klingelton.
Wieder stand dort keine Nummer.
Mit zitternden Fingern drückte ich auf annehmen.
"Roberts?"
Erneut war Stille in der Leitung, doch diesmal hörte ich Atemgeräusche und dann kam wieder ein Wort: "Babygirl."
Oh Gott, mein Herz drohte aus meiner Brust zu springen, so heftig und unregelmäßig wummerte es gegen meinen Brustkorb.
"Babe. Oh Gott. Nathan. Wo bist du?"
Meine Stimme war nicht meine. Sie klang abgehetzt, holprig und leise...
Die Verbindung knackte gefährlich und umklammerte das Handy fester, drückte es so nah es ging an mein Ohr.
"Ich...Sicherheit..."
Nicht weggehen, nicht weggehen. Bitte bleib, wimmerte ich innerlich.
"Komm nach Hause, bitte", flehte ich.
"Ich...Weg...Bis...liebe dich..."
Dann war die Leitung tot. Nur das Tuten war noch zu hören. Ich rief immer und immer wieder seinen Namen in das Handy und klammerte mich daran fest. Solange bis Ty es mir aus der Hand nahm und mich an sich zog. Beruhigend strich er mir über den Rücken und flüsterte immer wieder "Alles wird gut. Alles wird gut." Ich war nicht die Einzige, die das glauben wollte. Auch er wollte es.
Ich war wie betäubt. War das die Wirklichkeit oder wieder einer meiner Alpträume?

Erschöpft musste ich eingeschlafen sein, denn als ich wach wurde, stellte ich verwirrt fest, dass ich in meinem Bett lag. Ty musste mich ins Bett getragen haben.
Die Schlafzimmertür war angelehnt und ich hörte Ty sprechen. Telefonierte er? Mit wem? Wegen Nathan? Aus einem Impuls heraus rappelte ich mich auf und ging nur mit einem Shirt und Unterwäsche bekleidete runter in die Küche. Hatte Ty mich umgezogen? Der Gedanke daran ließ mir die Röte ins Gesicht schießen, gehörte hier aber nicht her. Es gab wichtigere Dinge.
Ty bemerkte mich und kam zu mir, legte eine Hand auf meine Schulter.
"Guten Morgen, Leyla."
"Morgen. Es war kein Traum, richtig?"
Ty nickte, doch er sah bedrückt aus. Ich war mir sicher, dass er keine guten Neuigkeiten hatte.
"Wir können ihn nicht orten. Es tut mir leid."
Ich ließ die Schultern sinken und schluckte den bitteren Kloß herunter. Es war mir doch vorher schon klar gewesen, aber trotzdem versetzte es mir einen erneuten Stich.
"Und jetzt?"
"Ich weiß es nicht, Leyla. Weiter hoffen und nicht aufgeben."
Es klang halbherzig, aber ich nickte stumm und ging ins Bad, stellte mich Minuten lang einfach unter den heißen Wasserstrahl der Dusche. Es durfte noch nicht das Ende sein.
Er lebte und nur das allein zählte und daran musste ich fest glauben. Ich durfte nicjt aufgeben. Die Hoffnung nicht verlieren. Auch wenn mich so viele Fragen quälten. Wann würden wir wieder vereint sein? Wo war er? Was war geschehen? Warum konnte er nicht einfach nach Hause kommen?

End or beginning? Don't despair ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt