01 - Überraschendes Wiedersehen

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Zum wiederholten Mal fragte Roya sich, welcher Teufel sie geritten hatte, als sie beschloss, hierher zu kommen? Sie war todmüde, sollte schlafen oder an ihrem Referat arbeiten, das sie nächste Woche halten musste. Und doch verplemperte sie ihren Freitagabend in einer Vorlesung über iranische Mythologie, die sie in ihrem Archäologie-Studium kein Stück weiterbringen würde.Und doch hatte sie, als sie das Plakat der Vorlesung mit dem Titel „Iranische Mythologie der Avesta – der Ursprung des Zoroastrismus" am schwarzen Brett ihres Instituts entdeckt hatte, gewusst, dass sie diesen Termin um keinen Preis der Welt verpassen würde. Es hatte sie geradezu magisch angezogen und sie hoffte, dort Antworten auf Fragen bekommen zu können, die sie sich schon lange stellte.


Ihre Mutter stammte aus Teheran und hatte Roya als sie klein war, beim Zubettgehen stets Geschichten erzählt, die vom Kampf zwischen Göttern und Dämonen handelten. Sie waren oft grausam und bisweilen hatte sie sich die Ohren zugehalten, wenn es ihr zu viel wurde. Doch ihre Mutter hatte ihre Hände stets behutsam beiseite genommen und gesagt, dass sie sich nicht fürchten müsse. Alles würde eines Tages zu einem guten Ende kommen, sie müsse nur aufmerksam zuhören. Roya hatte nie verstanden, was ihre Mutter damit meinte und ihre Eltern mit elf Jahren bei einem tragischen Autounfall verloren, wodurch ihr die Möglichkeit genommen wurde, Erklärungen zu bekommen.

Das Thema hatte ihr jedoch keine Ruhe gelassen und als sie älter wurde, hatte sie herausgefunden, dass die Geschichten ihren Ursprung im Avesta haben mussten, auch wenn die Version ihrer Mutter stark vom überlieferten Werk abwich.

Da die wenigen Freunde, die sie in ihren drei Semestern an der Uni gefunden hatte, sich nicht für das Thema interessierten, saß sie allein hier und langweilte sich tödlich. Der Vortrag des Experten war im Vergleich zu den Erzählungen ihrer Mutter so langweilig, dass sie nach einer Weile einzuschlafen drohte und beschloss, sich einen Kaffee am Automaten in der Halle zu besorgen. Allerdings zweifelte sie mittlerweile daran, dass Professor Sharif El Faruk, so hieß der Langweiler, ihre Fragen würde beantworten können. Seine Ausführungen hielten sich strikt an den Text des Avesta und waren nur eine trockene Einführung ins Thema.

Roya schlängelte sich an ihren Sitznachbarn vorbei zum Gang und verfehlte in der Dunkelheit beinahe die letzte Stufe vor dem Ausgang des Auditoriums, doch konnte sich noch gerade eben auffangen und verließ unfallfrei den Saal. Zielstrebig steuerte sie auf den Kaffeeautomaten zu und wählte „Schwarz mit Zucker". Sie wusste aus Erfahrung, dass das Ergebnis grauenvoll sein und mit ihrer Vorstellung eines gutes Kaffees wenig bis nichts gemeinsam haben würde, doch etwas Besseres war auf die Schnelle nicht zu bekommen und sie brauchte dringend Koffein. Sobald das dunkle Gebräu in den Becher geflossen war, entnahm sie ihn der Halterung und machte sich nach einem großen und wie erwartet widerlichen Schluck auf den Weg zurück zum Hörsaal. Weit kam sie jedoch nicht, da ein unerwarteter Anblick ihr nicht nur den Atem raubte, sondern auch jegliche Motorik außer Gefecht setzte. Sie ließ den Becher in ihrer Hand vor Überraschung zu Boden fallen, spürte kaum, wie die heiße Flüssigkeit ihr das Bein verbrühte und hörte sich selbst überrascht „Kian" rufen.

„Roya? Bist du es wirklich?"

Freudestrahlend rannten sie aufeinander zu. So viele Jahre hatte sie ihren ehemals besten Freund vermisst, dass sie kaum glauben konnte, ihm nun gegenüberzustehen. Glücklich, ihn wiedergefunden zu haben, fiel sie ihm in die Arme, spürte sein Wärme. Doch gleich darauf verschwamm ihr Sichtfeld und sie befand sich mit Kian an einem unheimlichen und ihr unbekannten Ort. Gemeinsam mit eigenartig traditionell gekleideten Verbündeten kämpften sie gegen ein furchteinflößendes Wesen, eine Art Dämon und dessen Anhänger. Die Lage schien aussichtslos, eine überwältigende Angst lähmte sie. Alles Licht der Welt schien in der Nähe des Wesens zu Dunkelheit zu werden und es vernebelte die Gedanken der Menschen in seiner Umgebung, nahm ihnen jeden Mut und jede Zuversicht, je länger sie sich in seiner Gegenwart aufhielten. Sie fühlte die abgrundtiefe Boshaftigkeit, die von diesem Wesen ausging, das so unsagbar hässlich war, dass schon sein Anblick ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Die Krieger von Arash  (pausiert)Where stories live. Discover now