76. Kapitel

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76. Kapitel - Unerwartet

Welcher Schmerz in diesem Leben voll Trübsal ist größer, als die Sehnsucht, die nicht erfüllt wird und die nicht ruht?
- Aus Indien

Unbefriedigte Liebe wächst, wenn Liebende einander fern sein müssen und keine Philosophie hilft dagegen.
- Voltaire

Am nächsten Morgen wachte ich verkatert auf. Das war definitiv ein Bier zu viel gewesen. Oder zwei. Oder drei. Stöhnend fuhr ich mir mit einer Hand an den Kopf, als ich mir ein Aspirin in einem Glas Wasser auflöste und den beiden noch schlafenden Mädels auch welche auf ihre Nachttische stellte. Im Anschluss stieg ich unter die Dusche und zog mir meine Lederhose, Sportschuhe und ein schwarzes Top an. Mit noch feuchten Haaren schnappte ich mir meine Tasche und lief in Richtung des nächstgelegenen Cafés. Mit Restalkohol im Blut wollte und sollte ich kein Auto fahren.

Ich setzte mich an die Fensterfront und genoss mit geschlossenen Augen die letzten Sonnenstrahlen des Jahres. Der Herbst hatte längst Einzug gehalten und ich wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bevor es anfing zu frieren. Doch bis es soweit war, dauerte es noch ein paar Wochen. Wochen, in denen ich soviel Sonne wie möglich tanken würde, damit ich den harten und einsamen Winter überstehen würde. Es würde der erste Winter sein, den ich nicht mit meinem Bruder verbrachte. Der erste Winter, in dem wir nicht zusammen auf dem Sofa saßen, alte Filme schauten und literweise heißen Kakao tranken. Denn trotz unserer Kaffeesucht war der Winter für uns die Zeit von Kakao, warmen Decken und haufenweise Kerzen. Im vergangenen Jahr waren unsere Eltern weggefahren und wir hatten das Haus für uns alleine gehabt. Damals hatten wir das ganze Wochenende auf dem Sofa verbracht, ohne zu bemerken, wie die Zeit verging.

„Bitte schön", riss mich plötzlich die Stimme der Kellnerin aus meinen Erinnerungen.

Sie stellte eine dampfende Tasse Kaffee vor mir ab und ich dankte ihr mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Als ich meinen Blick wieder nach draußen wandte, erstarrte ich.

Alex

Ziellos wanderte ich durch die Straßen. Es war eigentlich noch viel zu früh am Morgen, doch mein Rhythmus war noch an das frühe Aufstehen vom Militär gewöhnt. Ab fünf Uhr morgens war es vorbei mit dem Schlafen. Also stand ich auf, zog mich an und ging nach draußen. Zu Hause fiel mir noch die Decke auf den Kopf. Alles erinnerte mich an Lilly und an das, was sie mir vor wenigen Wochen gesagt hatte. Die Tatsache, dass meine Gefühle für sie dieselben waren, machte es nicht unbedingt besser. Im Gegenteil. Jeden Tag dachte ich darüber nach, wie es ihr ging, wo sie war und ob sie wohl fand, wonach sie suchte. Es war frustrierend, keine Antworten darauf zu kennen. Da sie nicht an ihr Handy ging, hatte ich keine Möglichkeit etwas zu erfahren. Keine Ahnung, wie oft ich schon vor dem Stützpunkt gestanden hatte, um sie zu besuchen. Doch jedes Mal hatte meine Vernunft gesiegt. Sie musste diesen Weg alleine gehen, auch wenn es mir nicht schmeckte. Außerdem, hatte sie mich nicht verlassen, um genau das zu verhindern? War sie nicht gegangen, damit ich nicht auf sie wartete und mir Sorgen machte? Tja, das war ja mal voll nach hinten losgegangen.

Ich beschloss, meiner miesen Laune mit etwas Kaffee entgegenzutreten und blieb vor einem Café stehen. Als ich durch das Fenster nach drinnen sah, entdeckte ich an einem der Tische eine mir nur allzu bekannte Person. Ihre langen Haare fielen ihr in feuchten, weichen Wellen über die Schultern und die Sonne ließen sie wie Bronze schimmern. Ihre Augen hatte sie geschlossen, bis eine Kellnerin kam und ihr ihren Kaffee brachte. Sie lächelte dankend und für einen Moment war ich von ihrem Anblick, den ich so vermisst hatte, völlig gefangen. Doch dann war der Moment vorbei und sie entdeckte mich. Das Lächeln, das sich auf meine Lippen gestohlen hatte, erstarb und ich überlegte fieberhaft, was ich tun sollte. Hinein gehen und mit ihr reden oder mich umdrehen und gehen. Während ich mir sehnlichst wünschte, dass mich jemand in die richtige Richtung schubsen würde, wandte Lilly ihren Blick ab.

The New MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt