6. Kapitel

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6. Kapitel – Wenn der Teufel zum ersten Mal tanzt

Es gibt keinen anderen Teufel als den, den wir in unserem eigenen Herzen haben.

- Hans Christian Andersen

"Black is beautiful", sagte der Teufel zur armen Seele.

- Waltraud Puzicha

Ich sah auf und direkt in ein Paar eisblauer Augen. Diese Augenfarbe kannte ich. Vielmehr war es so, dass ich nur eine Person mit solch strahlend blauen Augen kannte. Kyle.

„Klar", war alles, was ich rausbrachte.

Kyle zog den Stuhl zurück, auf dem gerade noch Hanna gesessen hatte und setzte sich. Lächelnd sah er mich an. Dieser Typ hatte einfach viel zu viel Selbstbewusstsein. Besonders im Vergleich zu jemandem, der gerade noch dabei war, seines zu entdecken. Gott, mein Herz schlug Purzelbäume und in meinem Gehirn herrschte Wortsalat. Ich wollte so etwas wie Hallo oder Hey sagen, aber in meinen Gedanken kam nur ein Yeo zustande, was ich dann lieber nicht laut aussprach.

„Anscheinend werden wir uns noch öfter sehen", meinte er mit einem süffisanten Grinsen auf den Lippen.

Was? Ich verstand nur Bahnhof.

„W-w-wieso?", stammelte ich und räusperte mich, in der Hoffnung, dass mein peinliches Benehmen nicht allzu sehr auffiel.

„Weil du immer noch meine Jacke hast", antwortete Kyle, wobei sein Mund sich nur noch mehr verzog.

Er hatte sehr wohl bemerkt, wie unsinnig ich mich verhielt.

„Oh, ähm, ja also, wenn du möchtest, können wir sie holen gehen", schlug ich vor.

Wieso konnte das keine 0-8-15 Unterhaltung sein, so wie ich es Hanna gerade noch hatte weismachen wollen? Da wäre ich wenigstens drauf vorbereitet gewesen. Wem machte ich eigentlich etwas vor? Ich war weder auf ihn, noch auf eine Unterhaltung oder irgendetwas was ihn betraf, vorbereitet gewesen.

„Vielleicht später. Mir gefällt der Gedanke, einen Vorwand zu haben, dich wieder zu sehen."

Ich schluckte. Hatte er das gerade wirklich gesagt oder ging meine Fantasie mit mir durch? Ich würde bestimmt jeden Moment aufwachen und über meine eigene Dummheit lachen, so etwas zu träumen.

Ach, so ein Blödsinn. Das passierte wirklich und ich benahm mich wie die letzte Idiotin. Wie war das noch? Ich wollte mich ändern? Den Teufel in mir rauslassen? Innerlich zuckte ich mit den Schultern. Was sollte schon passieren? Schnell atmete ich einmal tief durch, sammelte mich und schloss die Käfigtür meines Teufels auf. Dann beugte ich mich leicht zu ihm rüber, sagte:

„Mir auch. Wie kommt es, dass wir uns hier treffen? Hast du mich etwa verfolgt?", und hob dabei eine Augenbraue.

Eine Fertigkeit, auf die ich stolz war. Sie hatte mich immerhin einiges an Übung gekostet.

Während ich sprach, ließ ich ein Lächeln über meine Lippen gleiten, das man nur schwer missverstehen konnte. Kyle schien meine Reaktion zu gefallen. Zumindest schien er nicht überrascht zu sein.

„Verfolgt hab ich dich nicht, aber beobachtet, seit dem Moment, in dem du mit deiner Freundin das Café betreten hast", antwortete er.

Oh man. Hoffentlich hatte er nicht mitbekommen, wie Hanna mich ausgefragt hat. Egal. Ich durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Schon gar nicht, indem ich mir Gedanken über etwas machte, das ich ohnehin nicht ändern konnte. Die Vergangenheit konnte man nicht ändern, vielleicht nicht einmal die Zukunft.

Entspannt lehnte ich mich zurück und trank einen Schluck Kaffee, um mir etwas Zeit zu verschaffen, in der ich mir eine Antwort überlegen konnte.

„Gefällt dir, was du siehst?", fragte ich schließlich.

Kyle lehnte sich ebenfalls zurück, ließ seinen Blick betont langsam über meinen Körper wandern und antwortete dann:

„Allerdings."

Ich verschluckte mich beinah an meinem Kaffee, als ich seine Antwort hörte. Schnell stellte ich die Tasse ab. Sie war ohnehin fast leer. Und jetzt? Kyle beobachtete mich nur. Entweder wusste er auch nicht weiter oder er wartete, dass ich den nächsten Schritt machte. Den machte ich dann auch. Ich kramte zwei Dollar aus meinem Portmonee, legte sie auf den Tisch und ging einfach. Gewagt, aber es funktionierte. Kyle stand ebenfalls auf und folgte mir.

„Kann ich dich nach Hause bringen?", fragte er mich nach ein paar Schritten.

„Warum? Damit du weißt, wo ich wohne?", reagierte ich blitzschnell.

Verblüfft schaute er mich an. Er fasste sich aber schnell wieder und meinte nur:

„Vielleicht."

Kopfschüttelnd sah ich ihn an. Und ja, verdammt noch mal, ich grinste immer noch.

„Danke. Aber ich hab's nicht weit."

„Dann geh ich dir einfach hinterher."

Ich blieb stehen. Wollte er mich echt verfolgen? So verrückt es auch war, hatte der Gedanke irgendwie etwas Unheimliches und Interessantes zugleich.

„Du hast meine Jacke doch bei dir zu Hause, oder?", fügte er hinzu.

War ich dämlich. Natürlich wollte er bloß seine Jacke haben. Als könnte er wirklich Gefallen an mir finden. Am Liebsten hätte ich mir mit der flachen Hand an die Stirn geschlagen und wäre anschließend im Erdboden versunken.

„Ja. Hab ich", antwortete ich ein wenig enttäuscht.

Vor meiner Haustür angekommen blieb ich stehen. Den ganzen Weg über hatten wir nichts gesagt. Wenn ich ihm jetzt seine Jacke gab, würde ich ihn nie wieder sehen. Aber wollte ich wirklich eine Abfuhr kassieren? Mein wachsendes Selbstvertrauen ließ es drauf ankommen. Ich schloss die Tür auf und ging hinein. Als Kyle mir folgen wollte, hob ich die Hand und legte sie kurz auf seinen muskulösen Oberkörper. Fast als hätte ich mich verbrannt, zog ich sie ein wenig zu schnell wieder zurück. Nicht, dass er es bemerken würde, so fixiert wie Kyle auf seine Jacke war.

„Nein. Du nicht", sagte ich bestimmt.

Für einen Augenblick folgte er meiner Hand, die kurz zuvor noch auf seiner Brust gelegen hatte. Scheinbar hatte er meine Berührung doch bemerkt. Er lächelte und fragte:

„Wieso? Hast du nicht aufgeräumt oder musst du erst noch deine Kuscheltiere verstecken?"

So ein Blödmann. Bei mir war immer aufgeräumt und das einzige Kuscheltier, das ich besaß, war ein alter Teddy, den mir mein Bruder geschenkt hatte, als ich fünf war.

„Nein. Ich denke, ich behalte deine Jacke noch eine Weile."

Plötzlich wurde Kyle ernst. Mist.

„So. Denkst du?"

Bloß nicht schwach werden. Einfach gegenhalten.

„Ja. Denke ich", erwiderte ich trotzig und reckte mein Kinn ein Stück vor.

Kyle legte den Kopf leicht schief und sah mich an. Kurz dachte ich, er würde mich fragen, was ich mir eigentlich einbildete, doch dann hellte sich seine Miene auf und er meinte nur:

„Okay."

Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Aber scheinbar war er genauso unberechenbar wie mein aktuelles Verhalten. Perplex sah ich ihn an. Das fand er wohl lustig, denn er musste sich schwer beherrschen, nicht loszulachen. Als er sich halbwegs gefangen hatte, beugte er sich zu mir vor, drückte mir einen sanften Kuss auf die Wange und schlenderte von dannen. Verblüfft hob ich die Hand an die Wange, die er gerade noch berührt hatte und sah ihm nach. Oh mein Gott! Er hat mich geküsst! Naja, nicht richtig, aber es war ein Kuss auf die Wange und das war allemal besser als nichts. Schnell schloss ich die Tür und ging in mein Zimmer. Dort warf ich mich auf mein Bett und dachte über meine Begegnung mit Kyle nach, bis ich mir stöhnend den Unterarm über die Augen legte, weil mir siedendheiß etwas einfiel: Ich hatte seine Nummer wieder nicht bekommen!

The New MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt