17. Kapitel

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17. Kapitel - Sonne und Meer

Es ist besser, sich von Zweifeln beunruhigen zu lassen, als lange im Irrtum zu verweilen.

- Alessandro Manzoni

Bei seinen Worten und als seine Lippen kurz mein Ohr streiften, durchfuhr mich ein wohliger Schauer. Obwohl es angenehm kühl war, da eine leichte Brise wehte, wurde mir mit einem Mal ganz warm ums Herz. Ich fühlte mich in all dem Chaos, das momentan um mich herum tobte, geborgen. Auch wenn Kyle für mich manchmal schwer zu durchschauen war und mir von Zeit zu Zeit ein wenig Angst machte, fühlte ich mich in diesem Moment sicher.

Die Wellen umspielten meine Knöchel und die Sonne wärmte, trotz des leichten Windes, mein Gesicht. Ich schloss die Augen, um den Augenblick besser verinnerlichen zu können. Kyle grub sein Gesicht in meine Haare und sog den Geruch ein. Ich lächelte. Anscheinend mochte er den Geruch von meinem Shampoo auch. Sanft schob er meine Haare zur Seite. Zärtlich küsste er meinen entblößten Nacken und die Schulter. Das fühlte sich so gut an. Als er mit den Fingern über mein Schlüsselbein strich, drehte ich mich in seinen Armen um. Kyle sah glücklich aus. Sein Lächeln ging bis in seine Augen. Ein Zeichen wahren Glücks. Ich schlang die Arme um ihn und schmiegte mich an seine Brust. Kyle. Er war mein Fels in der Brandung.

Plötzlich klatschte eine große, kalte Welle gegen meine Beine und durchnässte meine Hose. Mit einem spitzen Schrei wollte ich einen Schritt nach vorne machen. Aber weil dort Kyle stand, verloren wir beide das Gleichgewicht und fielen in den Sand. Kurz sah er mich erstaunt an und musste dann lachen. Ich stimmte mit ein.

Langsam beruhigten wir uns wieder. Das Sonnenlicht fiel Kyle schräg in die Augen. Das sah wunderschön aus. Als würden sich das Meer und die Sonne in seinen Augen vereinen. Unvermittelt überkam mich der Wunsch, ihn zu küssen. Ich gab dem nach. Ich senkte langsam meine Lippen auf seine. Er zog mich fest an sich, während er meinen Kuss erwiderte. Ich genoss es solange bis mir einfiel, dass ich mit meinem ganzen Gewicht auf ihm lag. Um das zu ändern wollte mich von ihm lösen, aber er hielt mich fest.

„Hier geblieben", flüsterte er und strich mit seinen Lippen meinen Wangenknochen entlang.

Gott. Wie wundervoll sich das anfühlte.

„Ich bin viel zu schwer", protestierte ich leise.

Er lachte.   

„Du kleines Fliegengewicht? Wohl kaum."

Ich sah ihn mit gespielter Entrüstung an.

„So dünn bin ich nun auch wieder nicht."

„Doch, bist du. Wie ein Spargel. Aber mit Kurven an den richtigen Stellen", erwiderte er mit dunkler Stimme und küsste mich erneut.

Ich grinste an seinen Lippen. So sah er mich also. Interessant.

Spielerisch fuhr ich mit dem Zeigefinger seinen Kiefer nach. Dann seinen Hals. Als ich über sein Schlüsselbein strich, biss er mir leicht in die Unterlippe. Aha. So war das also. Ich wanderte mit den Lippen seinen Hals hinab bis an sein Schlüsselbein. Langsam hauchte ich einen Kuss nach dem anderen darauf. Kyle entwich ein wohliger Seufzer. Ich grinste. Meine mangelnde Erfahrung schien dem ganzen keinerlei Abbruch zu tun.

Auf einmal hörte ich, wie sich jemand ungehalten räusperte. Wir sahen beide in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Scheiße! Ein Polizist. Sofort sprang ich auf. Kyle erhob sich ebenfalls, legte lässig den Arm um mich und sah den Cop abwartend an. Ich drückte mich an Kyle und wäre am liebsten unsichtbar geworden.

‚Erde, tu dich auf', war mein einziger Gedanke, als der in die Jahre gekommene Mann uns tadelnd ansah.

„Sie wissen schon, dass das was Sie da gerade getrieben haben, haarscharf an Erregung öffentlichen Ärgernisses grenzt?"

Ich schluckte. Also, so schlimm war das nun wirklich nicht gewesen. Wenn ich meinen Blick nur ein Stückchen weiter schweifen ließ, sah ich ein Pärchen, das es weitaus wilder trieb. Kyle folgte meinem Blick. Er grinste breit, als er den Polizisten ansah und meinte:

„Und was ist mit denen da hinten?"

Der uniformierte Beamte drehte sich in die Richtung, in die Kyle zeigte. Dieser ergriff die Chance, griff nach meiner Hand und rannte mit mir zurück zum Auto. Der Cop bemerkte unsere Flucht natürlich, rief uns hinterher, dass er so was nicht noch einmal sehen wolle und ging dann zum nächsten Paar, das sich am Strand tummelte. Lachend stiegen wir ein. Oh man. Das wär's gewesen. Mein Dad hätte mich einen Kopf kürzer gemacht, wenn er mich vom Polizeirevier hätte abholen müssen. Obwohl, wenn ich so darüber nachdachte, vielleicht auch nicht. Als es vor Jahren einen kleinen Vorfall gegeben hatte, meinte er bloß:

„Das gehört zum Erwachsenwerden dazu."

Noch immer grinsend sah ich zu Kyle. Dieser war ganz leise und sah mich ernst an. Irritiert hörte ich auf zu lachen. Unsicher legte ich den Kopf leicht schief. Was hatte er denn bloß? Ich wollte ihn schon fragen, als er mich zu sich rüber zog und seine Stirn an meine lehnte.

„Du bist so anders."

Ich sah ihn fragend an.

„Inwiefern?"

Er lächelte. Es schien, als wollte er mir nicht antworten, weshalb ich ihn leicht von mir schob.

„Inwiefern?", fragte ich erneut.

„Anders, als ich es mir vorgestellt habe."

Bei diesen Worten schrillten sämtliche Alarmglocken bei mir. Das klang viel zu sehr danach, als sei ich doch Teil einer Wette.

„Wie meinst du das?", bohrte ich nach.

Kyle schien kurz zu überlegen.

„Als ich dich auf der Party gesehen habe dachte ich, du wärst eins von diesen Mädchen, die sich nur für ihr Äußeres interessieren und den neusten Klatsch. Trotzdem hab ich dich angesprochen, weil ich wissen wollte, ob nicht vielleicht doch mehr in dir steckt. Deine Augen hatten so etwas ... ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll."

Mit verklärtem Blick griff er mit der linken Hand nach meiner. Mit der Rechten fuhr er unter meinen Augen entlang.

„Ich bereue es keine Sekunde, dass ich mehr von dir wissen wollte. Du bist stark. Tough. Hast immer einen frechen Spruch auf den Lippen. Du bist wunderschön und scheinst die Welt ganz anders zu sehen als die meisten anderen Menschen."

Verwunderung machte sich in mir breit und ich schämte mich, auch nur eine Sekunde lang gedacht zu haben, er könnte es nicht ernst meinen. Am Liebsten hätte ich mich selbst geohrfeigt.

Aber obwohl ich glaubte, dass er jedes Wort so meinte, wie er es sagte, konnte ich nicht glauben, dass er mich wirklich so sah. Dass ich wirklich so auf ihn wirkte war einfach unglaublich.

„Was ist?", fragte er leise und streichelte meine Hand.

Ich schüttelte den Kopf.

„Kaum zu glauben, dass du dachtest, ich interessiere mich nur für mein Äußeres", antwortete ich kess.

Aber meine Stimme war dabei zu brüchig, um vollständig über meine Verlegenheit hinweg zu täuschen. Kyle verdrehte die Augen und lachte dann.

„Ausgerechnet das hast du dir gemerkt."

„Natürlich. Das war schließlich das, was am unglaublichsten klang", erwiderte ich.

Mittlerweile hatte ich meine Stimme zum Glück wieder im Griff. Nachdenklich sah Kyle mich kurz an.

„Wollen wir jetzt zu deiner Mutter?"

Mit einem Schlag war ich wieder am Boden der Tatsachen. Richtig, meine Mum lag im Krankenhaus, während ich hier am Strand war und meinen Spaß hatte, mit einem Typen, den weder sie, noch mein Dad kannten oder auch nur von ihm wussten.

Beschämt schlug ich die Augen nieder und spürte die aufkommenden Schuldgefühle in mir, als ich leise sagte:

„Ja."

The New MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt