Kapitel XLV

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Es war kalt.
Eisig kalt, als sie aufwachte.
Und nass.
Sie öffnete die Augen und schlug wild um sich. Sie hatte eine Schwimmweste um und trieb mitten im Meer, um sich herum nur Wasser und Himmel. Wo war sie? Was war passiert? Und wo war Gabriel? Sie atmete tief durch und konzentrierte sich. Erst einmal musste sie irgendwie an Land kommen. Die Weste war überflüssig und behinderte sie nur, deshalb zog sie sie aus, warf einen kurzen Blick in den Himmel, um sich grob an den Sternen zu orientieren und schwamm los. Währenddessen dachte sie angestrengt nach, was passiert war. Das letzte, woran sie sich erinnerte, war, dass diese Präsenz in ihr die Kontrolle über ihren Körper wollte. Trina hatte irgendwann nachgegeben und dann wusste sie nichts mehr. Wo war Gabriel? Warum war er nicht da? Hatte er sie verlassen? Das konnte nicht sein! Bestimmt war ihm etwas zugestoßen. War das überhaupt möglich? Dass Gabriel etwas zustieß? Fragen über Fragen...

Nach einer Stunde sah sie die Küste. Sie beeilte sich und schwomm schneller. Dann würde sie sich gleich erst einmal ein Opfer suchen müssen. Sie hatte nämlich unsäglichen Hunger.

Das tat sie auch. Sobald sie aus dem Wasser stieg, suchte sie sich einen ahnungslosen Fischer, der an der Küste wohnte und nährte sich an ihm. Als er tot war, nahm sie sein Ausnehm-Messer und machte damit ihre Einstiche an seinem Hals unkenntlich. Sie schnitt sein Kopf halb vom Körper ab und warf den Leichnam dann ins Meer. Sie wusste nicht, warum sie das tat. Es war wie ein Automatismus. Anschließend durchwühlte sie seinen Kleiderschrank und nahm sich ein einige, viel zu große Sachen heraus, um sie überzuziehen und ein Handtuch für ihre Haare. Dann schaute sie sich in der kleinen, abgelegenen Hütte um. Der Fischer schien allein gelebt zu haben, es war sehr unordentlich und überall standen leere Bierflaschen herum.
Trina sah zur Uhr, es war fast Mitternacht. Sollte sie weiterziehen oder sich einen Tag lang hier ausruhen? Sie entschied sich für letzteres und dunkelte die Fenster ab. Dann legte sie sich auf das muffige Schlafsofa und dachte wieder über Gabriel nach. Vielleicht war es ja nur ein Test seinerseits? Nein, das war absurd. Eine mentale Verbindung konnte sie auch nicht wagen, nachher landete sie wieder bei diesem Seere. Sehnsüchtig dachte sie an ihren Liebsten und fiel in einen tiefen Schlaf.

Am nächsten Abend erwachte sie ausgeruht, aber vermisste Gabriel noch stärker. Er konnte sie doch nicht einfach abserviert haben. Schließlich war sie von seinem Blut und sie liebten sich doch. Katrina beschloss, doch eine gedankliche Verbindung zu wagen und konzentrierte sich auf Gabriel. Doch es funktionierte nicht. So sehr sie sich auch bemühte. Wütend schmiss sie den Tisch vor sich um. Laut klirrend gingen zahlreiche Bierflaschen zu Bruch und Trina begann zu weinen. Die Bluttränen kullerten nur so ihre Wangen hinunter. In ihrem Geiste flehte sie Gabriel an, wieder zu kommen. Sie brauchte ihn doch. In ihrer Verzweiflung kontaktierte sie Seere. Er konnte ihr zumindest sagen, ob Gabriel etwas zugestoßen war, oder nicht?

Als ihr Geist ihn fand, knurrte sie ihn wütend an: "Du! Wo ist Gabriel?"
"Katrina! Endlich! Wo bist du? Wie geht es dir?", überfiel dieser Seere sie mit Fragen.
"Wo ist Gabriel?"
"Katrina, hör mir zu. Du musst mir sagen, wo du bist, bitte! Bevor er zurückkommt.."
"Nein! Ich will, dass er zurückkommt! Ich brauche ihn", sagte sie frostig.
"Du brauchst ihn nicht. Wir, deine Freunde brauchen dich. Er hat dich entführt und dich scheinbar von ihm abhängig gemacht, aber nichts von dem, was er dir gesagt hat, ist wahr", versuchte er sie zu überzeugen.
"Du lügst! Du bist einer derer, die meinen Tod wollen. Gabriel hat mich beschützt!"
"Nein, Katrina, wir wollen deinen Tod nicht. Du bist die einzige, die uns retten kann. Du musst den Ersten finden! Alles was Gabriel erzählt hat, waren Lügen. Er hat uns betrogen."
"Nichts als Lügen! Sprich nicht so über meinen Gefährten", zischte sie und löste die Verbindung.
Zumindest wollte sie das, aber dieser Seere hielt sie dort. Er hielt sie an ihrem Arm fest und verdrehte die Augen, dann murmelte er: "Entschuldigung!"
Ihr wurde plötzlich heiß und dort, wo er sie berührte, brannte ihre Haut vor Schmerz. Nach einigen Sekunden ließ er sie los und fiel um.
Trina flüchtete so schnell sie konnte und kehrte in ihren Körper zurück. Sie war überrascht, dass ihr Arm auch hier, in der Wirklichkeit weh tat und knallrot war.
Wütend stand sie auf und warf um, was ihr gerade in die Quere kam. Fernseher, Schrank, Stuhl, Bilder... Alles zerbrach in ihrer Wut. Sie war wütend auf sich selbst, vermutlich hatte sie Gabriel enttäuscht und er hatte sie deswegen verlassen. Dann war sie wütend auf Seere. Vielleicht hatte er Gabriel etwas angetan. Und anschließend war sie sauer auf Gabriel selbst. Wie konnte er sie nur einfach zurücklassen? Hatte sie nicht immer alles für ihn getan? Sie hatte sich von ihm misshandeln lassen, weil er es so wollte, sie hatte sich ganz besonders geschminkt, weil er es so wollte. Sie hatte sich sogar einige Zähne für ihn spitz feilen lassen. Es waren zwar nur vier gewesen, neben ihren Fangzähnen und unten die Eckzähne und man sah sie nur bei genauerem Hinsehen, aber er hatte es sehr genossen, wenn sie ihn damit gebissen hatte. Alles für ihn und jetzt? Immer noch in rage, riss sie sich ihre Kleidung herunter und warf sie quer durch die Hütte, dann schrie sie: "Gabriel! Gabriel! Komm zu mir zurück!" Dann etwas leiser: "Bitte, ich vermisse dich doch so. Ich brauche dich!"
Kraftlos ließ sie sich anschließend auf den Boden fallen und sie fühlte sich ernüchtert. Er wird nicht zurückkommen, dachte sie resigniert und lehnte sich an die Wand.

Sie schreckte hoch. War sie eingenickt? Oder so in Gedanken versunken gewesen? Sie wusste es nicht. Warum war ihr Körper in Alarmbereitschaft? Trina fühlte, dass jemand da war, draußen, vor der Hütte. Doch sie spürte, dass es nicht Gabriel war. Alarmiert stand sie auf und drückte sich gegen die Wand. Da, jetzt waren es noch mehr! Sie spürte vier Vampire in der Nähe. Einer von ihnen musste einer der Ältesten sein. Sie verkroch sich in den Schatten und wartete ab.

Einer von ihnen kam zur Tür hinein und flüsterte: "Katrina? Ich bin es, Maël."
"Geh!", knurrte sie drohend aus dem Schatten.
"Nein, ich werde nicht gehen. Bitte, du musst mit uns kommen. Sie sind auf dem Weg hierher, die Fundamentalisten. Es sind viele, zu viele, bitte..."
"Ist schon gut, Maël", sagte jetzt eine andere Stimme und sie hörte Maël gehen.
"Katrina...?"
Was zum Teufel? Diese Stimme ließ ihr einen Schauer über den Rücken jagen. Irgendwann hatte sie die schon einmal gehört. Neugierig trat sie aus dem Schatten und erstarrte.
Er lächelte traurig und machte einen Schritt auf sie zu.
Ungläubig riss sie die Augen auf.
"Willkommen bei der ersten Sitzung deiner Konfrontationstherapie. Mein Name ist Kendrick Bloom und ich werde dich in der nächsten Zeit begleiten..."
Gabriel schien wie aus ihrem Kopf gespült und die Erinnerungen an IHN kehrten zurück, an Kendrick. An seinen Tod! An die Asche, die übrig geblieben war von ihm!
"Das ist nicht witzig", flüsterte sie tränenerstickt und wich vor ihm zurück.
"Ich bin es, Trina. Ich bin es wirklich. Oh man, wie habe ich dich vermisst, du wunderschönste aller Frauen... Ich erkläre dir alles. Sobald wir hier weg sind, okay? Komm..."
Er hielt ihr seine Hand hin.
Sie zögerte. Wie konnte das sein? Es war unmöglich!
"Bœna...Treysta mêr, Katrina", flüsterte Kendrick.
Hysterisch schrie sie an: "Altnordisch macht es auch nicht glaubwürdiger!"
"Kendrick!", sagte eine Stimme draußen besorgt und er seufzte. So hinreißend wie immer.
"Es tut mir leid", flüsterte er und packte sie einfach.

BlutsMacht - SchicksaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt