#1 || Abschied

1.1K 132 41
                                    

Langsam gleiten meine Finger über das Holz der Werkbank, als ich vorsichtig darüber streiche. Ich ertaste feine Rillen und kleine Dellen, die durch fleißiges Arbeiten entstanden sind. Durch hunderte Stunden voller Mühe und Hingebung. 

Das ist der Tisch meines Meisters...

Hier hat er mich repariert, hier habe ich von seinen dunkelsten Geheimnissen erfahren und habe seinen Worten gelauscht...

Jetzt werde ich ihnen nie wieder lauschen können.
Jetzt ist mein Meister tot und einzig die Erinnerung an seine Stimme bleibt mir.

Es heißt nun Abschied nehmen. Abschied von diesem Raum und von Akatsuki. Die Männer bedeuten mir nichts, sie sind mir egal. Es hat keinen Sinn weiterhin hier zu bleiben. Ich war nur aus einem Grund hier: Sasori.
Ich war seine Waffe, nun bin ich nichts. Was will ich noch hier?

Ich habe keinen Meister mehr.
Ich bin frei.

Aber was bedeutet schon Freiheit?
Das zu tun was ich will wann ich es will?
Niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen zu müssen?
Für niemanden verantwortlich zu sein?

Bin ich wirklich frei?
Kann man es als Freiheit betrachten, wenn ich mich kälter und leerer fühle als je zuvor?
Oder macht mich das lediglich nutzlos?
Was sonst sollte eine Marionette ohne Meister sein?

Nutzlos.
Überflüssig.
Zwecklos.

Ein Zweck, ein Sinn, eine Aufgabe.
Ja, ich habe noch eine Aufgabe. Eine einzige, die mir keine andere Wahl lässt.

Rache.

"Ähm...Rabiya, un?"
Ich muss mich nicht umdrehen um zu wissen, dass Deidara in der offenen Tür steht. Dennoch wende ich mich ihm zu und kann sehen, wie sein Blick nervös durch den Raum schweift. Die leblosen Körper der unfertigen Marionetten an den Wänden, die mit leerem Blick starr nach vorne sehen, scheinen ihn zu verängstigen oder zumindest zu verunsichern. Ganz so sicher bin ich mir da nicht.
Blaue Augen treffen wieder auf mich und er schluckt schwer.
"Du... gehst also, un?"
"Ja.", antworte ich knapp.
Leicht nickt Deidara bevor er sich erneut kurz umsieht.
"Und die Puppen, un? Was soll ich damit machen? Ich meine... ähm... ohne Sasori..."
Die Erwähnung des Rotschopfs verpasst meinem Herzen einen schmerzhaften Stich und ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen.
Versuche kalt und emotionslos zu sein, wie ich es vor langer Zeit war.
Wie ich mir in letzter Zeit vermehrt wünsche zu sein.
Aber Sasori hat mich verändert. Ich werde nie wieder die selbe sein.
"Mir gleich was du damit machst. Meinetwegen verbrenne sie."

Mit diesen Worten laufe ich durch die Werkstatt auf Deidara zu, der mich blinzelnd betrachtet und mir dann Platz macht.
Ich trete auf den Gang und wende mich zum Gehen, als erneut die Stimme des Blonden erklingt.
"Rabiya. Bist du sicher, un? Sie sind so was wie sein Vermächtnis. Du könntest doch wenigstens ein paar..."
"Nein.", unterbreche ich ihn kalt.
"Aber..."
"Nein.", wiederhole ich ruhig und drehe mich zu dem Sprengmeister um.
"Ich bin eine Marionette - Kein Puppenspieler. Sie waren seine ganze Welt, doch für mich sind sie nutzlos. Bevor ein Dilettant letztendlich die Arbeit des Meisters in die Hände bekommt sehe ich meine Brüder und Schwester lieber brennen."
Gerade will ich mich wieder abwenden, da macht Deidara den Mund auf und sorgt mit nur einem Satz dafür, dass ich meine bisher so deutliche Überzeugung in Frage stelle.

"Sasori's Kunst ist für die Ewigkeit bestimmt, un."

Kunst...
Wahre Kunst...
Ewige Schönheit...
Die Bedeutung meines Namens.
Langsam lasse ich meinen Kopf auf die linke Seite fallen und überlege.

Soll ich wenigstens ein paar von den Marionetten mitnehmen?
Was soll ich mit ihnen?
Für mich sind sie nutzlos...
Nicht mehr als leblose Begleitung, zusätzlicher Balast.
Nicht, dass mir etwas mehr Gewicht etwas ausmachen könnte. Ich ermüde nicht.

"Rabiya?"

Ich lege meinen Kopf auf die andere Seite, während ich überlege.
Die Marionetten...
Sie waren Sasori's Ein und Alles...
Sein Herzblut, seine Visionen und Träume stecken in ihnen...
Seine Wünsche, seine Sehnsüchte...
Sie sind was mein Meister sein wollte.
Perfekt.
Für die Ewigkeit geschaffen.
Eine Ewigkeit, die Sasori verwehrt wurde...

"Rabiya?"

Ich ignoriere Deidara, der zum wiederholten Mal meinen Namen sagt, und setze mich wieder in Bewegung. Mit sicherem Schritt laufe ich an ihm vorbei zurück in die Werkstatt und lasse meinen Blick prüfend über die leblosen Körper an der Wand wandern.
Nein...
Diese hier sind nichts weiter als Rohmaterial. Sie sind unvollständig.
Langsam gehe ich weiter durch den Raum und bleibe vor dem großen Regal stehen, in dem sich einige Schriftrollen stapeln. Hier bewahrt Sasori seine fertigen Puppen auf.

Bewahrte...
Mein Meister ist fort...
Für immer fort...

Ich verdränge diesen Gedanken und ziehe wahllos zwei Schriftrollen aus dem Regal.
Ohne sie anzusehen lasse ich sie in der Innentasche des braunen Mantels verschwinden, der einst Sasori gehörte und nun genau wie die Puppen - genau wie ich - ohne Besitzer ist. Ich gehe weiter durch die Werkstatt und bleibe erneut vor Sasori Werkbank stehen.
Ein letztes Mal streiche ich über das Holz.

Ehrfürchtig...
Melancholisch schon fast...

Oben im Eck liegt eine Schriftrolle ganz allein. Sie ist nicht benannt, doch das irritiert mich nicht. Ohne zu zögern stecke ich sie zu den anderen beiden in meinen Mantel und schließe die Augen.

Beinahe ist mir als könnte ich den Rotschopf vor mir sehen, wie er an diesem Tisch sitzt.
Seine braunen Augen, die feinen Gesichtszüge, das feuerrote, leuchtende Haar...
Ich höre seine Stimme die meinen Namen sagt und kann beinahe seinen Geruch wahrnehmen. Nach herben Holz und doch irgendwie leicht süßlich. Er scheint mich zu umhüllen und ich stelle mir für einen Moment vor, wie Sasori die Hand nach mir ausstreckt und mir über die Wange streicht.
Stelle mir vor, wie seine Lippen sich zu einem kleinen Grinsen verziehen bevor er die rehbraunen Augen schließt und amüsiert den Kopf schüttelt.

Ein paar Sekunden verharre ich so ohne mich zu bewegen bevor ich die Augen wieder öffne und allein bin.

Es tut weh.

Ich wende mich zum Gehen.

Ein letztes Mal.

Ich lasse die Werkstatt hinter mir, die dunkel und verlassen zurück bleibt, und sehe Deidara an.

Ein letztes Mal.

"Pass auf dich auf, un."
"Ja..."
"Bis dann, un."
"Lebe wohl."

Ich denke nicht, dass ich jemals zurückkommen werde. Zumindest habe ich das nicht vor. Meine Existenz hat nun nur noch einen Sinn: Rache.
Dafür werde ich alles tun und sollte ich dabei vernichtet werden, dann sei es so. 

Ohne zurückzusehen gehe ich den dunklen Steingang entlang, passiere verschlossene Zimmertüren und vereinzelte Lampen, die flackerndes und spärliches Licht spenden. 

Ein letztes Mal.

Ich verlasse das Versteck ohne Reue oder schlechtem Gewissen.

Ich fühle nichts.

Ich bin leer.

Sasori hat alles mitgenommen als er starb. Zurück bleibt ein Loch, das von nichts gefüllt werden kann. Als hätte man etwas grob aus meiner Brust gerissen.

Aus meinem Herzen...

Ein psychisches Leid, emotionaler Schmerz...

Qualen, für die genau zwei Frauen verantwortlich sind. Die alte Frau und das Mädchen...
Sie haben Sasori getötet.
Sie haben mir meinen Meister genommen und zugleich den einzigen Mann, den ich geliebt habe.
Den ich noch immer liebe...

Ich werde sie finden und mit der alten Frau fange ich an.

Großmutter...
So hat Sasori sie genannt, als er gegen sie gekämpft hat.

Mach dich bereit, alte Frau.
Ich komme, um dich zu holen.

Püppchen, Püppchen - Die Rache [Wird überarbeitet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt