37| Die Ungewissheit

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Ich ließ mich von Nate nach draußen begleiten. Da er seine Hand auf meinem Rücken ruhen hatte, um mich zu führen, schloss ich angespannt die Augen, in der Hoffnung, das Bild loszuwerden. Dieses Bild des Mädchens. Sein verzweifelter Blick, die Verzweiflung, die Anschuldigung. Ich wollte nicht ein weiteres Mal von der Wahrheit konfrontiert werden.

Bitte, nicht schon wieder.

Mein Atem stockte. In mir stieg das stets beklemmende Gefühl, welches von Schritt zu Schritt immer stärker Besitz von mir ergriff. Es war, als spürte ich die Anwesenheit meiner Vergangenheit bei mir.

Hektisch riss ich die Augen auf. Ich merkte, wie mein Atem sich unregelmäßig beschleunigte, mein Herz zu rasen begann und ich unfähig war, auch nur einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Adrenalin und Angst jagten durch meine Venen und hinterließen nichts als Kälte und Gänsehaut.

Ich spürte einen Blick auf mir. Nicht von Nathan. Jemand anderes war hier. Ich spürte den Blick. Und mit ihm die Schuld, die Anklage und die Vergangenheit, welche eben dieser mit sich brachte. Hektisch drehte ich mich um meine eigene Achse. Nates Hand fiel von meinem Rücken hinab und verwirrt hing diese noch in der Luft. Ihm widmete ich aber nur einen kurzen Blick, um mir bewusst zu werden, dass nicht er mich anschuldigend anblickte. Dann suchte ich weiter.

Es war dunkel hier, ich sah lediglich einen Müllcontainer in der Ecke der Gasse. Eine Gänsehaut fuhr mir den Rücken hinab.

Verschwind aus dieser scheiß Gasse!

Meine innere Stimme schrie mich an. Ich war selbst überrascht darüber, denn noch nie fühlte ich mich so dermaßen aufgewühlt und in Gefahr, während selbst mein Inneres Ich ausrastete. Sie war sonst immer die, die die Ruhe bewahrte. Doch umso unruhiger wurde ich deswegen.

Ich konnte wenig in dieser Gasse erkennen, lediglich schienen einige Lichtstrahlen der Straßenlaterne um die Ecke außerhalb der Gasse durch Reflexionen hinein. Und dann überkam mich alles auf einmal. Mir wurde bewusst, wo ich war. Ich hätte verdammt noch einmal aufmerksamer sein sollen! Spätestens, als Ashley meinte, dass sie hier in der Nähe wohnte.

Spätestens, als ich die ersten Gebäude hier gesehen hatte. Wie konnte es bitte sein, dass ich sechs Jahre lang diese Gegend hier vermieden hatte, aber ausgerechnet nach einigen Zusammenbrüchen hier landete, ohne es zu merken? Was war mit meinem scheiß Schicksal los?

Und mit einem Mal sah ich dieses Mädchen wieder vor mir. Wie sie schreiend am Boden lag. Versuchte, sich gegen den Mann zu wehren. Aber er war rücksichtslos. Ein Schauer überkam mich. Sie war tot. Doch er, er hatte sein Leben damit erfüllt, mich zu terrorisieren.

Mein Körper fing an, unkontrolliert zu zittern. Schützend schlang ich die Arme um mich, in der Hoffnung, mich beruhigen zu können. Doch es funktionierte nicht. Warum hatte mich dieses gottverdammte Arschloch hierhin gebracht!

Ich wollte ihn anschreien, ihm Vorwürfe machen, ja, ihn ohne Grund für alles verantwortlich machen. Doch zwei grundlegende Dinge hielten mich auf. Der erste war, dass mein Mund sich öffnete, aber kein einziger Piep hinauskam. Dementsprechend wurden meine Worte aber durch Tränen und Blicke verbildlicht.

Der zweite Grund war, dass ich die Schuld an allem trug, nicht er. Mir war bewusst, dass ich an ihrem Tod schuld war.

Ihre Familie. Ich hatte mich ihnen nie gestellt. Aber ich war auf der Beerdigung. Sie hatten dem Stiefbruder des Mädchens die Schuld gegeben. Dass er nicht auf sie aufgepasst hatte.

Feigheit war schon immer ein Teil von mir; und auch der Grund dafür, warum nie jemand wissen würde, wer der Mörder war.

„Hey, psht. Weine nicht", hörte ich Nate murmeln, während er mir beruhigend über die Haare strich. Eingeschnappt schlug ich diese weg und drehte mich um. Ich brauchte keinen, der mir Nahe kam. Keinen, der dachte, mir helfen zu können. Mir war nicht zu helfen. Ich war krank. Und keiner konnte Kranken helfen.

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