Was vom Regen übrig blieb

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Bei diesem Wetter hätte ich keinen Hund vor die Tür gejagt! Und deshalb war ich so von plötzlicher Verwunderung erfasst, wie es der nachtverschwärzte Himmel nicht einmal mit seinen gleißenden Silberstreifen aus Blitzen sein konnte. In den ersten Herzschlägen war es mir sogar nicht vom Sinne, überhaupt einen passablen Gedanken zu Ende zu denken, als ich sie einige Fuß weiter vor der rissigen Eichenholztür meines Heims erblickte. Schon alleine der blasse Gedanke, dass ich, Frank Gold, Besuch erhielt - und das auch noch zu so später Stunde -, war Grund genug, eigentlich aus der Haut zu fahren. Doch irgendwie - irgendwie verblieb ich im Anschwall ihrer eigenartigen Präsenz nur in undefinierbarer Verblüffung stecken.

Sie war das, was man in meinem Kreise als eine junge Lady betiteln würde. Zierlich und schlank; beinahe fragil wie eine Porzellan-Puppe, mit der dazugehörigen Stille und Diskretion, welche sich auf ihre rose-farbenen Lippen gespannt hatte. Im Schatten der weiten Kapuze ihres schwarzen Satin-Mantels wirkte das schmale Gesicht geschwungen rundlich und schier makellos, während die flaumigen Wangen mit der bläulichen Dunkelheit hinter dem Stoff verblendeten. Ein tröpfelnd zarter Regenfluss hatte sich in der einzelnen schwarzbraunen Strähne vor ihrem Antlitz hängend festgesetzt und verband sie mit der klamm glänzenden Wange. Zwei hohe Äpfelchen, die jedoch eine kalte Farbe zierten. Viel zu kalt für Äpfelchen.

„Guten Abend!" Zwei Worte ergriffen mich mit einer schier scharfen Vehemenz, dass ich für einen dumpfen Herzschlag den Atem innehielt. Sie glichen zwei steifen Brisen, welche sich durch das prasselnde Rauschen des Regens auf Asphalt zogen und mich fest umgriffen. Ihre Stimme war klar - so klar, dass sie mich wie zwei glatte Klingen schnitt. Rasch zupfte ich mein beiges Leinenhemd über den Gürtel, als ich gerade noch meinen Geist fangen konnte, ehe er in die Leere meiner Verwunderung gestürzt wäre. Dass eine Stimme so mit dem Äußeren harmonieren konnte!

„Äh... ja... Guten Abend!" Flüchtig und nach einem soliden Halt suchend griff ich um das dicke Holz der Tür, wobei diese nur in dem aufkommenden Wind einen jämmerlichen Halt darstellte. Den nackten Fuß auf den blanken Stein des Treppenabsatzes gestellt, bemerkte ich nicht einmal die klamme Kälte. Und diese: diese kam nicht nur von dem finster betonten Wetter. In den leuchtend blauen Augen meines Gegenübers spiegelte sie sich wieder. Distanziert. Gezähmt. Gediegen wie ihre Gänze. Und trotzdem mit durchschlagender Kraft.

„Äh...", stürzte es mir wieder über die Lippen, die mittlerweile unter der momentanen Anspannung steif geworden waren. Holprig stolperte ich über jeden einzelnen Buchstaben hinweg, dass es mir schon fast peinlich war und meine Stimme: nun, das war keine wirkliche Stimme mehr. „Kann... kann ich etwas für... für Sie tun, junge... äh... Dame?"

„Es ist alles in Ordnung. Ich weiß, dass Sie nervös sind und dies kann ich auch mit Konsens nachvollziehen". Sie schob sich die rappenschwarze Kapuze ihres langen Mantels vom Haupt; vollkommen in Ruhe getränkt. „Ich wollte nur einen Unterstand gegen den Wolkenbruch suchen".

Sofort richtete ich mich auf. Wusste, dass etwas Tieferes in ihren Worten schwang, das ich jedoch im Eifer des Gefechts abschnitt, als ich ihren recht desolaten Zustand bemerkte. Und auch meinen Mangel an anständiger Höflichkeit. Wenn ich schon nicht adrett bekleidet war, dann sollte es doch wenigstens mein innerer Stil bleiben. Es ist kein Wunder, dass du nie Besuch erhältst, Frank. Geschweige denn von Damen.

„Na... natürlich! Verzeihen Sie mir; treten Sie doch ein!"

Kein Lächeln. Nichts ihrer gedämpften Seite. Nicht einmal der Regen schien sie komplett zu berühren, auch wenn ihr Erscheinungsbild etwas von seinen Tropfen mitgenommen und ausgewaschen wirkte. Das konnte jedoch täuschen. Sehr täuschen.

„Vielen Dank. Das ist sehr gnädig Ihrerseits!" Ich hätte mir selbst schwören können, dass tief; ganz tief in ihrer entfernten Stimme ein blasser Hauch von Dankbarkeit schwebte. So tief, dass man ihm im oberflächlichen Gespräch nicht zu erhaschen vermochte und fallen würde, wenn man es versuchte. Und da belegte eine kurze, doch schneidende Frage meine Gedanken, als ich tatsächlich die Tür weiter öffnete und neben sie trat, um der jungen Dame einen freien Eintritt zu gewähren: Weshalb eigentlich ausgerechnet Ich?

Sammlung von kleinen Steampunk One-ShotsWhere stories live. Discover now