Schalter (Kurzgeschichte)

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Mit höchster, geradezu ehrfurchtsvoller Vorsicht kämmte er die letzte Strähne ihres weichen Haars. Der feine Bürstenstrich teilte die samtbraune Locke, welche in geschmeidiger Sprungkraft über der Schulter wippte, als die Borsten das abgerundete Ende erreicht hatten. Die Fasern ließen einen Federzug liquiden Schimmers auf der gekringelten Haar-Welle zurück, der der losen Strähne einen wässrigen Stich im milden Licht verlieh. Glasige, dunkle Iriden blitzten unter langen Wimpern hervor; ein rascher Blick kaschte nach einem anderen, der ebenfalls in diesem Raum umher schwebte. Die dicke Luft flimmerte von den unterschiedlichen Düften und verschmolz in verschwommenen Brisen zu einem einzigartigen Odeur aus angelaufenem Kupfer, altem Staub und getrockneten Sprenkeln von Rosenwasser, das sich im rissigen Holz der Garnituren festgesetzt hatte. Hin und wieder brach eine von blassem Luftzug erzitterte Kerze mit einem feurigen Schein die Schichten der Düsternis auf.

Blasse Dunkelheit legte ihre Schwingen im kleinen Zimmer um jegliche mehr oder minder stillen Objekte und ließ das flackernde Licht dumpf wie in schwarzer Watte abprallen. Auch sämtliche Klänge waren vor der Gier der anhaltenden Düsternis nicht sicher, als ein zarter Hauch aus welken Lippen entglitt und sofort spurlos von der absonderlichen Dunkelheit absorbiert wurde.

„Sieh' sich dies jemand an!"

Die räucherne Stimme glich einer Stecknadel, die auf einen Stein-Boden stürzte.
Er hatte den Großteil ihrer Frisur in einer eleganten Weise am perfekt runden Hinterkopf zu einem flachen Kranz zusammengesteckt. Das bronzene System ihres eingebauten Laufwerks wurde äußerlich dezent mit einem Büschel Haar verdeckt und natürlich hatte er generell ausnahmslos dafür gesorgt, dass sie den Umständen der Makellosigkeit entsprach. Schließlich war makellos seine persönliche Prämisse. Und auf dieser würde er linientreu sein Werk errichten; koste es so viel Zeit und Aufwand, wie es wolle. Denn in allen bisherigen Fällen lohnte sich der ermattende Einsatz um die liebevolle Aufmachung seines Schaffens.

Die elfenbein-ähnliche Haut an den Schultern wurde kurz mit einem umrisslosen Schatten überzogen, der mit leichten Pinselstrichen aus Licht die weichen Konturen ihres Torsos nachzeichnete. Und es waren freilich verletzlich wirkende Konturen, welche nicht nur an den fragilen Schulterblättern die zarte Gesamtheit des Körpers erahnen ließen. Die bloße Haut stach sichtlich aus der Dunkelheit des Raumes heraus; gerade so, als ob von ihrer Seite ein sachte pulsierendes Licht ausgesandt wurde und die leckende Düsternis fort schob. Obwohl man sie mit einer sehr plastischen Marmor-Statue hätte verwechseln können, auf welcher sämtliche Regungen dumpf abzufallen schienen. Vollkommen steif und mit durchgedrücktem Kreuz hockte sie mit stiller Mine auf dem hölzernen, lehnen-losen Stuhl, wobei nur das Zucken der Augen ihre Anwesenheit verriet. Keinen einzigen stumpfen Blick warf der oval geschnittene Spiegel von ihr zurück; ganz im Gegenteil: in seinem fast erblindeten Silber schimmerte eine undefinierbare Wachsamkeit wieder. Und diese konnte niemandem entgehen, auch wenn die runden Züge ihres Gesichts von innerlicher Kälte sprachen. Einer ungewissen Neutralität.

„So sublim!"

Die feinborstige Bürste glitt über den nackten Arm hinweg. Seine trüben Augen palpierten pietätvoll in der Reflexion des Spiegels nochmals prüfend den gesamten Oberkörper seines Schaffens nach gewissen Unreinheiten; haschten dann erneut nach dem seidigen Faden ihres bernsteinfarbenen Blicks.

„Ich muss gestehen: du scheinst immer mehr in die Rolle meiner besten Arbeit zu rutschen, Fayette. Du wirst mir sicher eine monumentale Hilfe sein".

„Das möchte ich hoffen, Doktor".

Sein schmaler Mund verzog sich zu einem herzvollen Lächeln, das die mürben Falten neben seinen beiden Nasenflügeln straffte. Bedächtig und mit gewisser Zeit krümmte er den Oberkörper nach vorne und drapierte die Bürste auf der geräumten Ablagefläche der kleinen Ebenholz-Kommode; strich über die rechte, kalte Seite ihres Arms hinweg und griff dann in das drahtige Nest seiner gräulichen Haare.

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