Kapitel 21

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Mila's Sicht

Unsere erste eigene CD kommt ein paar Tage später in einem kleinen Paket mit der Post.  Eine Einverständniserklärung für die Veröffentlichung ist mitgeschickt. Meine Eltern und ich müssen bloß unterschreiben, dann ist die Sache geritzt. Mir juckt es in den Fingern, als ich das Paket öffne. Wenig später halte ich die CD in den Händen, welche in einer brandneuen Plexihülle steckt, die gegen meine Erwartungen recht einfarbig gestaltet ist. Weiß. Unsere Namen sind in silber oben aufgedruckt. Darunter ist ein geschlossenen Auge. Mehr Grafik ist da nicht. Ich lege den Kopf schief. Was hat Michael sich dabei nur gedacht? Ich seufze und öffne die Hülle und nehme die CD heraus. Der CD-Player steht nicht weit weg und wenig später erklingt unsere Musik durch das Wohnzimmer. Magda kommt herbeigehüpft; in ihr Gesicht ist ein großer Schmetterling geschminkt. Sie war mit Mama beim Kinderfest in der Bürgerhalle. Ich gehe in die Hocke und wuschele ihr durch die weichen Haare. Dann gebe ich ihr einen Schmatzer auf die Nase und sie quietscht empört auf. "Lass das!", kreischt sie. Ich kichere. "Hübsch siehst du aus."

Mama kommt in den Türrahmen und lächelt mir zu. Dann nickt sie zum CD-Player. "Ist sie endlich angekommen?" Nickend stehe ich auf, um sie in eine Umarmung zu ziehen. Dann zeige ich ihr die Einverständinserklärung. "Wir müssen nur noch unterschreiben.", erkläre ich. "Dann zeig mal her.", sagt sie und greift nach einem Kugelschreiber. Keine zwei Minuten ist alles ausgefüllt und per Faxgerät an Michael geschickt. Wenn die anderen Mädchen auch so schnell sind, wird man unsere CD schon in wenigen Tagen in ganz Deutschland kaufen können. Oh, wie wohl ich mich dabei fühle! Ich merke richtig, wie ich mich freue. Da klingelt mein Handy. Lea. Nachdem ich abgenommen habe, legt sie ohne jegliche Begrüßung los. "Ich hab gerade den Briefkasten geleert. Darin fand ich ein Paket, das eine CD mit einem außerordentlich hässlichem Cover enthielt.  Unsere CD!" Ich grinse. Seit ihre Mutter aus dem Krankenhaus ist, ist auch ihr Humor zurückgekehrt und sie ist auf dem besten Weg, wieder die Alte zu werden. "Beruhig dich!", lache ich. "Michael ist Profi. Er wird sich da schon was bei gedacht haben." Aber Lea hat sich gerade in Rage geredet und sie hat wohl beschlossen, in Rage zu bleiben. "Ich würde nur gerne nachvollziehen können, was! Pah! Wer kauft denn eine CD, die solch ein langweiliges Cover hat?! Ich meine, eintöniger geht es wohl nicht mehr!" "Lea, Michael weiß wie man CDs so auf den Markt bringt, dass sie große Hits werden. Du musst nur abwarten, OK?",sage. Lea gibt einen schaubenden Laut von sich. "Na gut", sagt sie,"Dann bis morgen." "Bis morgen.", grinse ich und lege auf. Mama sieht mich fragend an. Ich mache eine wegwerfende Handbewegung. "Lea war irgendwie unzufrieden mit dem Cover.", erkläre ich. "Wieso das denn? Also ich finde das Cover fantastisch. Es passt wie angegossen!", empört sich Mama und ich ziehe ungläubig die Augenbraue hoch. Ich weiß zwar, dass Michael da schon irgendwas mit bezwecken will, jedoch haut es mich nicht gerade vom Hocker, im Gegensatz zu meiner Mutter. "Vor allem die Rückseite ist total schön!", redet sie weiter. Die Rückseite? Die hab ich mir ja gar nicht angeguckt! Jetzt werde ich allerdings neugierig. "Tatsächlich?", sage ich und nehme Mama die CD aus der Hand und drehe sie um. Jetzt verstehe ich. Die Rückseite ist nicht weiß, wie ich es erwartet habe. Sie besteht aus einem Foto; einem Foto von Himmel. Die Liedernamen sind in schwarzen, schnörkeligen Buchstaben aufgedruckt.

Und nur wegen dieser einen Rückseite sehe ich die Welt schon mit ganz anderen Augen. Ich bewundere Michael mehr, als ihn zu verachten. Ich wusste ja, dass er Profi ist, aber so etwas schönes, dass einem dem Atem raubt zu gestalten, dass ist sehr klug von ihm. Komisch, so habe ich ihn gar nicht eingeschätzt! "Du hast Recht.", sage ich zu Mama.

Sie lächelt wissend und geht in die Küche. "Lust zu backen?", rief sie und Magda, die die ganze Zeit lang damit beschäftigt war, die Fransen unseres Wohnzimmerteppichs zu bürsten, wirft den Kamm in die Ecke und rennt los. "Ja!", schreit sie dabei und ich stehe auf, um ihr zu folgen.

Und es wird ein richtig schöner Freitagnachmittag. Begleitet von unserer CD backen und verzieren wir wie die Wilden und als die Sonne sich dem Horizont zuneigt, können wir eine beträchtliche Anzahl von bunten, leckeren Plätzchen aufweisen. Es sind mindestens sechzig Stück. Mama klatscht entzückt in die Hände und hüllt sich dabei in eine Mehlwolke ein. "Wenn Sonntag der erste Advent kommt, fehlt es uns nicht an Plätzchen. Dann können wir ganz getrost die erste Kerze anzünden und uns zurücklehnen und essen.", lacht sie. "Und das erste Törchen aufmachen!", krakeelt Magda.

Hannah's Sicht

Ja, das erste Törchen. Da steht man mit seinen Töchtern in der Küche und bäckt Kekse, weil man denkt, dabei fühlt man sich unbeschwert, da wird man durch einen Adventskalender zurück ins Leben gerissen, hart und achtlos, sodass man der Wahrheit ins Auge blicken soll. An dem Tag, an dem wir die erste Kerze anzünden, an dem die eine Tochter glücklich das erste Törchen öffnet, ja an dem Tag ist das Ende der anderen schon ausgezählt. Waren es tatsächlich drei Monate? Waren wir nicht gestern noch beim Arzt? Aber sie weiß es nicht. Und sie sieht nicht aus wie ein Mensch, der in zwei Tagen sterben wird. Vielleicht hat der Arzt sich ja auch vertan und sie schafft es noch bis Weihnachten. Wer weiß das schon? Normalerweise würde ich jetzt in Tränen ausbrechen, aber seit die alte Dame bei mir war, um es mir zu verbieten, ja seit dem Tag weine ich nicht mehr. Ich bin eine liebende Familienmutter, die keine Angst vor dem Tod ihrer Tochter hat, weil sie weiß, dass es allen nur Nachteile einbringt. Aber der Schein trügt. Das mit der liebenden Familienmutter ist natürlich keine Lüge, aber dass ich keine Angst habe, das ist schier gelogen. Natürlich habe ich Angst, so sehr, dass ich nachts manchmal aufwache, als Eisklotz, weil sie in meinen Träumen schon gestorben ist. Wie oft habe ich ihren Tod nicht schon durchleben müssen, weil mein Unterbewusstsein mich auf jenen Tag vorbereiten will, an dem es wahrlich und vollends passieren wird? Zu oft. Zu oft, um die Ängste zu vermeiden. Aber ich schaffe es, sie zu überspielen, weil ich sie liebe. Weil ich will, dass sie in Frieden und Gebkrgenheit stirbt.

In dem Moment klingelt es an der Tür und ich werde grob aus meinen Tagträumen gerissen.

So, das ist das neue Kapi. Aber. Ihr. Müsst. Mehr. Kommentieren.
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Vor ein paar Wochen habt ihr noch ständig und oft kommentiert und jetzt hab ich hier und da mal einen einzelnen Kommi . Bitte kommentiert mehr, um euch vor härteren Maßnahmen zu schützen! :D
Eure Alitschi

Leukämie-mein Leben danachWhere stories live. Discover now