Kapitel 24

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Hannah's Sicht

Ich höre einen spitzen Schrei und bin sofort hellwach. Lea! Was ist nur los? Eilig zupfe ich mir die Augenmaske vom Gesicht und reiße die Rolläden hoch. Gleißend helles Sonnenlicht blendet mich und ich springe zur Seite, um Markus zu wecken. Ein lautes Klirren erklingt von der Treppe, woraufhin ich zu brüllen anfange. "Lea, halt durch!"

Markus funkelt mich wütend an und stülpt sich den Kissenbezug über den Kopf. "Markus! Ein Einbrecher!", rufe ich verzweifelt und greife zu seinem Golf-bag, aus dem ich einen Schläger nehme. "Was?!", sagt er entsetzt und greift nach dem Schläger. "Wo?" "Unten bei Lea!"

Ängstlich schleiche ich hinter ihm die Treppe hinunter, bis ich Lea erblicke, wie sie mit offenem Mund dasteht, wie angewurzelt und das Mädchen anstarrt, welches eigentlich ihr Alter sein müsste. Enge schwarze Hose, weiße hübsche Bluse und braune Bilderbuchlocken, die von einem rosa Haarband zurückgehalten werden. Komisch, sie ist nicht so der typische Einbrecher und ich werde skeptisch.

"Verschwinde aus unserem Haus!", sagt Markus mit erhobenem Golfschläger und das Mädchen dreht sich zu uns um. Ihr Gesicht ist voller Liebreiz geschnitten, ebenmäßig, und diese großen Kulleraugen strahlen ein braun aus, das so tief und so unnatürlich weich erscheint, dass man meinen könnte, sie sei den Hochglanzseiten einer Modezeitung entstiegen. Langsam hebt sie die Arme und schenkt uns ein Lächeln, das das Herz umarmt. "Das ist ein Missverständnis", zwitschert sie mit glockenheller Stimme und dreht sich wieder zu Lea. "Ich wollte mich vorstellen. Josephine. Ich bin neu in deiner Klasse." "Wie hast du mich gefunden?", entgegnet Lea fassungslos und starrt auf die Porzellanscherben auf dem Boden. Ein Schweigen legt sich über uns, während Markus den Golfschläger ganz langsam sinken lässt. "Nun, ich hab da so meine Quellen. Kann ich zu Mila?", sagt Josephine und schlängelt sich an uns vorbei. Etwas an der Tatsache, dass sie sich in unserem Haus auskennt als wäre sie schon so oft hier gewesen, jagt einen Schauer meinen Rücken hinunter. "Woher kennst du den Namen meiner Tochter?", fragt Markus empört. "Ach, wie gesagt, habe so meine Quellen, Markus!", erwidert sie und wir alle tauschen fragende Blicke. Schulterzuckend folgen wir ihr durch die Flure. "Mila geht es nicht gut. Sie schläft seit Tagen.", erläutere ich misstrauisch. Daraufhin räuspert sich Lea. "Nein, nein, sie ist eben aufgewacht, Hannah."

Mila's Sicht

Meine Tür geht auf und ich warte auf den hoffnungsfrohen Duft von Essen, doch stattdessen drängt sich die gesamte Familie plus eine Fremde durch die Tür und versammelt sich um mein Bett. Magda knatscht. Zu viel. Das ist zu viel. Erschöpft lege ich den Kopf zur Seite und blicke in die ganzen Gesichter. An einem taubenblauen Augenpaar bleibe ich hängen und kneife die Augen zusammen. Woher kenne ich diese Farbe? Dieses ganze Gesicht, die Gestalt, zu dem diese Augen gehören, die kommt mir vertraut vor. Nach einem Wimpernschlag erscheinen die Augen grün, strahlend grün. Wie kann das sein? Habe ich denn jetzt schon Halluzinationen? "Wo ist mein Essen?", jammere ich fast. "Gott, Maus, du bist endlich aufgewacht!", jauchzt Mama und stürmt auf mich zu, um mein Gesicht abzuknutschen. Auch Papa und Magda begrüßen mich herzlichst.

"Wer bist du?", frage ich das Mädchen und sie stellt sich mir als Josephine vor. Ich werfe Mama einen Blick zu, der so viel sagt wie 'Wie-kommt-die-hierher-und-was-will-sie-von-mir?!', doch sie zuckt mit den Schultern und sieht ziemlich ratlos aus. Also nehme ich ihre Anwesenheit einfach hin und lasse mir von den anderen Bericht erstatten, was passiert ist, während ich 'weg' war. Anschließend bekomme ich mein Essen, allerdings nur eine winzige Portion und ich funkel meine Familie erbost an. 2 Wochen habe ich kaum etwas zu mir bekommen und dann kriege ich nicht mehr, als eine winzige Schüssel Maronensuppe? "Der Arzt hat gesagt, mehr gehe nicht rein", meint Papa achselzuckend, als wäre es eine Entschuldigung. "Ist mir doch egal, was der Arzt sagt! Ich habe Hunger!", rufe ich empört. Das fremde Mädchen setzt sich auf meinen Bettrand und fasst meine Hand, die sofort Wärme und Liebe empfängt und diese Wärme und diese Liebe sprudeln nun durch meinen Körper. Ihre grünen Augen sind von so unnatürlichem Kontrast und doch kann ich mich ihrem Blick nicht entziehen. Wie macht sie das bloß mit den verschiedenen Farben? "Iss erst einmal diese Portion. Sie ist genau richtig, glaube mir", sagt sie dann. Seufzend beginne ich, die Suppe zu löffeln und schon mit dieser kleinen Portion habe ich zu kämpfen. Während ich geschlafen habe, ist mein Magen wohl auf die Größe einer Kastanie zusammengeschrumpft. Ich drücke dem Mädchen die leere Schüssel in die Hand und sie verschwindet aus dem Raum.

Magda's Sicht

Ich folge Josephine aus Mila's Zimmer heraus und greife nach ihrer Hand, woraufhin sie mir ein liebliches Lächeln schenkt. Ich finde es cool, dass sie jetzt so jung geworden ist und vor allem mag ich ihren Namen. Den wollte sie ja vorher nie sagen. Was ich allerdings nicht verstehe, ist, warum alle hier im Hause denken, sie sei eine Fremde, eine Einbrecherin, eine Gruselige. Bin ich denn hier die einzige, die ihr unscheinbares Lächeln und die unverkennbaren wechselnden und kräftigen Augen wiedererkannt hat? Und wenn dem so ist, dann bahnt sich eine neue Frage in mein Gehirn: Warum habe nur ich es erkannt? Einfach, weil Kinder den besseren Instinkt haben? Weil Kinder eine bessere Verbindung zu Gott haben? Oder weil ich einfach die einzige mit so viel Fantasie bin, dass ich denke, sie könne sich über Nacht verwandelt haben.

Es wird wohl immer ein Rätsel bleiben.

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Hi! Ich denke und hoffe, ihr habt alle eure Feiertage angenehm verbracht! :D Wie dem auch sei, ich hoffe euch gefällt das neue Kapitel und wie immer kann ich euch nur ans Herz legen, dass mich jeder vote und jeder kommi hoch erfreut! :D

Bis dann, Alitschi ^^

Leukämie-mein Leben danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt