Kapitel 29

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Lea's Sicht

Sobald ich aufgewacht bin, wünsche ich, ich könnte weiterschlafen. Zum ersten Mal seit Wochen bin ich wieder zuhause und kaum dass ich hier angekommen war, habe ich mich in meinem Zimmer eingeschlossen. Mama stellt mir mein Essen immer mit einem Tablett vor die Tür und wenn die Luft rein ist, hole ich es mir. Aber von allem nehme ich stetig nur den Tee.

Ich will auch niemanden sehen, niemanden hören, ich will nur denken. Die Rollos habe ich runtergelassen und die Luft in meinem Zimmer ist daher zum Schneiden dick.

"Lea." Es klopft an mein Zimmer. Mama wartet seit Tagen darauf, endlich mit mir reden zu können, doch ich antworte nicht. Auch jetzt nicht. Ich vernehme ein Seufzen und wenig später das Geräusch des Tabletts, wie es auf den Boden gestellt wird. Dann höre ich Schritte und warte, bis sie verklungen sind. Dann rutsche ich vom Bett und öffne die Tür. Ich ziehe es mit dem Fuß rasch in den Raum, ehe ich die Tür schließe. Es ist zwar dunkel, aber meine Augen haben sich an die Dunkelheit gewöhnt. Und das weiß der Zeitung sticht besonders hervor. Vor allem das Bild von Mila in Miniformat. In den Todesanzeigen. In meinem Hals bildet sich ein dicker Kloß, als ich die Zeitung mit zittrigen Händen aufhebe und beginne zu lesen.

Mila Stecken

*24. 10. 1999

+22. 12. 2013

Oh, heute ist Heiligabend... Ich hole tief Luft und lese weiter:

Du siehst den Garten nicht mehr grünen, in dem du einst gesessen hast,

Du siehst die Blumen nicht mehr blühen, die du einst gepflanzet hast.

Im Namen von Hannah, Magda und Markus Stecken und Lea Bauer möchten wir uns bei unserer Tochter Mila für 14 tolle Jahre bedanken.

Meine Luft wird knapp, mein Atem flach. In Zeitung hat Mama etwas hieingelegt, einen Umschlag. Ich weiß was es ist, doch ich öffne ihn trotzdem. Ich überfliege die schmerzlichen Zeilen, bis meine Augen an dem Datum hängen bleiben. 28. 12. 2013. Dann wird also ihre Beerdigung stattfinden. Meiner Kehle entfährt ein Schrei. Ich reiße die Beerdigungsineinladung in Stücke und lasse sie auf den Boden regnen. Das Datum sticht mir noch immer ins Auge. Ich schreie immer weiter, als ich die Teetasse nehme und gegen die Wand gegenüber werfe. Ein Klirren ertönt und wenig später hat sich eine Pfütze aus Kamillentee gebildet. Ich starre darauf und rutsche weinend an der Tür hinab. Warum Mila!? Warum nicht ich!?

Mein Zimmer ergänzt sich zu einem Strudel und ich heiße die Gelegenheit gern Willkommen und lasse mich hineingleiten.

Hannah's Sicht

Als ich den Briefkasten öffne, regnen mir mindestens zwei Dutzen 'Herzliches Beileid'-Karten entgegen. "Danke für die Erinnerung", murmele ich schroff. Ich weiß, dass diese Leute es alle nur gut meinen, aber so ist man nicht fähig zu vergessen. Okay, ihr Tod ist zwei Tage her und ich werde womöglich nie wieder ein glückliches Leben führen können, denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, nicht an sie zu denken. Es ist schier unmöglich. Tausende Male haben Markus und ich mit Magda schon durchgesprochen, wie es wohl aussieht, dort, wo Mila ist. Aber egal welche Möglichkeiten dabei rauskommen, sie ist nie zufrieden und spricht uns jedes Mal von Neuem drauf an.

Ein Auto rauscht an unserem Haus vorbei und pfeffert mir eine Wolke Abgase ins Gesicht, doch es ist wie ein Traum. Alles ist ein Traum. Seit ihrem Tod nehme ich nichts mehr richtig war außer dem Schmerz.

Als ich jedoch bemerke wie ein Reporter auf unser Haus zurast, trete ich schnell ein und knalle die Tür zu.

In der Küche lasse ich mich seufzend auf einen Stuhl fallen und nehme den Brieföffner, um die Briefe zu öffnen. Den vom Beerdigungsinstitut lasse ich ganz bewusst ganz unten.

Ich muss mich zusammenreißen, als ich all diese Karten lese. Wie oft haben wir nicht schon 'Herzliches Beileid' verschickt, ohne daran zu denken, wie es der Familie des Verstorbenen geht? Jetzt aber weiß ich, dass ich nie mehr solche Karten verschicken werde, denn nun kenne ich das Gefühl, am liebsten allein zu sein, nur zu gut.

Ich hole tief Luft, ehe ich den Umschlag des Beerdigungsinstitutes öffne. Beim Lesen brennen die Tränen hinter meinen Augen. "Markus!", fiepe ich. "Ja?" Seine blasse Gestalt erscheint im Türrahmen. Sein ganzes Gesicht ist übersät von roten Flecken. "Wir müssen noch den Sarg auswählen und den Grabstein und die Blumen und den Grabschmuck",erkläre ich. "Haben wir denn überhaupt schon ein Grab?" "Ja. Das stellt die Stadt zur Verfügung." Ich greife zu einem Taschentuch und schiefe hinein, ehe ich zu schluchzen beginne. Markus kniet sich auf den Boden und schließt mich in seine Arme. "Ich kann das alles nicht glauben!", schluchze ich. "Ich weiß", sagt er sanft. "Aber sie ist tot!", rufe ich. "Ja, aber das heißt ja nicht, dass sie weg ist!" "Doch!" "Hannah!", sagt er streng und fasst mein Gesicht. "Sieh mich an, Schatz, sieh mich an!", befiehlt er. Ich gehorche und suche nach seinen Augen. "Sie liebt uns nich immer." Sein Tonfall ist ganz sanft. "Okay", hauche ich lächelnd. Dann schließt er mich wieder in die Arme.

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Tja, Leuts, wie findet ihr's? Ich würde mich wirklich sehr über einen Kommi freuen, echt! ♥

Leukämie-mein Leben danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt