Ungebetene Gesellschaft

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Ungebetene Gesellschaft

Ich entschied mich für die Hotelbar, sonst blieb mir nicht wirklich etwas übrig. Zu meinem Vater wollte ich genauso wenig zurück wie zu Toni. Erst als ich die Bar betrat und ein paar schräge Blicke zugeworfen bekam, fiel mir ein, wie ich aussah. Feuchte Haare, Leggings, Sneaker ohne Socken, ein Top ohne BH und ein rote Zip-Hoody darüber. Diese hatte ich den ganzen Tag angehabt und deshalb als Erstes in die Finger bekommen. Ich war unpassend gekleidet, doch ein zurück gab es nicht, also setzte ich mich in die hinterste Ecke. Wenigstens war ich noch intelligent genug gewesen um meine Handtasche mitzunehmen. Die Bar war nicht allzu voll, es gab noch einige leere Plätze. Hauptsächlich waren es Anzugträger, vermutlich Männer die nach einem arbeitsreichen Tag nicht alleine auf ihren Zimmern sein wollten. Wer Freitagabend noch in einem Hotel saß, hatte mit Sicherheit kein freies Wochenende. Die Bedienung nahm fast sofort meine Bestellung entgegen, er war professionell genug nicht auf mein Aussehen zu achten, innerlich dankte ich ihm dafür. Ich bestellte mir das erst Beste, das mir einfiel und er verschwand wieder. Gegen Alkohol hatte ich nichts einzuwenden. Ich musste bloß darauf achten es bei einem oder zwei Drinks zu belassen. Mich abzufüllen, war wirklich nicht die beste Idee. Was sollte ich den jetzt machen? Für immer in dieser Bar sitzen? Zu meinem Vater würde ich niemals gehen. Ich müsste mir bei Toni meine Tasche holen und mich umziehen, dann könnte ich mir ein Ticket kaufen und morgen alleine zurückfliegen. Genug Geld hatte ich. Also würde ich die Nacht hier verbringen und versuchen morgen mein Zeug zu holen, vielleicht erst wenn er weg war. Gegen 10 hatte er ein kurzes Interview für einen Radiosender, da könnte ich mich in unser Zimmer schleichen. Ich war ein Feigling! Frustriert legte ich meinen Kopf auf den Tisch, ich konnte Toni nicht mehr unter die Augen treten. Vermutlich würde ich los heulen und so sollte er mich nicht sehen.

Plötzlich räusperte sich jemand neben mir. Na toll, die Bedienung. Ich schreckte hoch und bedankte mich für mein Getränk. Er lächelte mir aufmunternd zu und ging dann wieder. Peinlich. Ich legte meinen Kopf wieder auf den Tisch, nun hatte er mich eh schon so gesehen, da war es jetzt auch egal. Ich saß eine ganze Weile einfach nur herum. Trank immer mal wieder von meinem Drink, ignorierte mein klingelndes Handy und bemitleidet mich selbst. Wenigstens schaffte ich es nach einiger Zeit, nicht mehr auf dem Tisch herumzuliegen, sondern meinen Kopf nur noch mit der Hand abzustützen. Immerhin eine kleine Verbesserung. Ich spielte mit dem Strohhalm meines dritten Cuba Libre, ich hatte ihn nicht mal bestellt, sondern von einem Typen spendiert bekommen. Ich kannte mich mit Bar-Etikette nicht aus, aber er würde sich bestimmt gleich zu mir setzen. Zwar hatte ich versucht abzulehnen, aber die Bedienung konnte ich nicht davon abbringen ihn stehen zu lassen. Der andere musste wohl nach höherem Trinkgeld aussehen. Etwas das nicht gerade schwer war. Wie konnte ein Tag, der so wunderschön angefangen hatte, nur so mies enden?

Ich musste sogar noch armseliger aussehen, als ich dachte. Der Mann der sich mir gerade lächelnd näherte, war mit Sicherheit über 40. Einer der Anzugträger, sein riesiges Ego sah man ihm an. Den loszuwerden, wird sich als schwierig erweisen. "Hey, du sahst so einsam und traurig aus. Ich dachte mir ich leiste dir etwas Gesellschaft und muntere dich auf." Er fragte nicht, ob er sich setzen durfte. "Das ist nicht nötig, ich brauche keine Gesellschaft, aber danke für den Drink. Ich hatte versucht ihn abzulehnen, doch es hat nicht funktioniert." "Jeder braucht mal Gesellschaft und eine so hübsche Frau sollte ihre Drinks nicht selbst zahlen. Mein Name ist übrigens Michael und wie heißen Sie?" "Kotz!", war alles was mir dazu einfiel, doch ich antwortete anstandshalber nicht so, sondern  sagte ihm, dass ich Amina hieß. Ich hätte mir dafür selbst in den Hintern treten können, er sollte abhauen und ich sagte ihm meinen Namen, anstatt ihn loszuwerden. "Das ist ein sehr schöner Name." "Danke." In meinem Kopf schrie es, "Doppelt kotz!" "Wo kommen sie her und was machen Sie hier in diesem Hotel?" Gute Frage, was machte ich hier? "Ich bin mit meinem Freund und ein paar Bekannten hier, eigentlich kommen wir aus Deutschland." Ich bezweifelte zwar, dass er den Wink verstehen würde und ging, aber einen Versuch war es wert. "Das Sie aus Deutschland kommen dachte ich mir bei ihrer Aussprache schon, aus welcher Stadt?" "Düsseldorf." "Eine sehr schöne Stadt." "Sie finden scheinbar alles schön.", den bissigen Kommentar konnte ich mir nicht verkneifen. Er lachte, "Sie sind auch noch lustig. Ich komme übrigens aus Essen. Wir wohnen ja fast nebeneinander. Was machen Sie beruflich?" Wie lange er diese Frage-Antwort-Spiel wohl noch durchziehen wollte? Dachte er ernsthaft ich schlafe mit ihm, nur weil er so tut, als würde er sich für mich interessieren? Ob er damit wohl häufiger Erfolg hatte? Ich hätte ihn gerne gefragt, doch ich war innerlich zu müde für sowas. Vielleicht sollte ich so tun, als würde ich hoch gehen und später wieder kommen. "Ich studiere Physik." "Wow, klug also auch noch, da hatte Gott aber einen guten Tag." Ich lächelte widerwillig. Da ich nicht antwortete, redete er weiter, "Ich bin Bänker. Langweilig aber lukrativ." Toll, er hatte Geld, danke für die Info, bei seinem Anzug war mir das schon klar gewesen, aber schön dass er auch noch darauf hinwies. War ich zu zynisch? "Man muss tun, was man tun muss.", tat ich es schulterzuckend ab. "Das ist wohl wahr. Was macht ihr Freund beruflich?" Er hatte den Teil wohl doch nicht überhört. Das Wort Freund, tat weh. Er war nicht mein Freund, sonst wäre ich jetzt bei ihm und nicht hier. "Er hat Jura studiert.", dass er Rapper war, konnte ich ihm ja schlecht sagen. Er lachte wieder, ich mochte sein Lachen nicht, es wirkte falsch. Er hatte die Art falsche Lache, wie Versicherungsmenschen oder Bänker sie hatten. Leute die einem das Geld abschwatzten und dabei nur ihre eigenen Interessen im Sinn hatten. Auf manche wirkte das vielleicht Charmant, ich verstand aber nicht warum.

"Ein Jurist also, dass erklärt so einiges." "Wie meinen sie das?" Ich ahnte Böses. Erst Komplimente machen, dann Interesse heucheln, auf Geld hinweisen und den Freund schlecht reden. Bei einer angetrunkenen, verletzten Frau könnte das durchaus wirken. Nicht besonders kreativ und zum Glück wirkungslos bei mir, doch mit Sicherheit nicht unüberlegt. "Sie wissen bestimmt was man über Jurastudenten sagt und wenn ich mir sie ansehe, eine wunderschönen, junge Frau, traurig und einsam, dann scheint es zu stimmen. Was auch immer er angestellt hat, dass Sie lieber hier sind, anstatt bei ihm zu sein, nehmen Sie es sich nicht allzu sehr zu Herzen. Er kann nichts dafür, er ist einfach nicht gut genug für dich. Wie alt ist er 25-26? Er muss erst vom Jungen zum Mann werden, wir Männer sind beim Erwachsen werden einfach langsamer. Du brauchst einen klügeren, reiferen Mann, jemand der weiß wie man mit einer Frau umgeht." Dass er zum Du überging, ließ mich schaudern. Jetzt hatte ich wirklich genug. "Ja, am besten einen Mann der so alt ist, dass er mein Vater sein könnte. Er ist 30 und da liegt bei mir auch die Obergrenze, tut mir leid. Er ist ein Idiot und ein Arsch, aber ein Mann. Würden Sie mich jetzt bitte wieder alleine lassen!" Der Gedanke Toni als Jungen einzustufen, war lächerlich, auch wenn ich vermutlich mit ihm fertig war, wollte ich nicht, dass dieser alte, notgeile Sack schlecht über ihn redete. "Ach komm schon Amina, du würden nicht hier sitzen, wenn er dich nicht schlecht behandelt hätte, hast du keine Lust dich zu rächen?" "Sie wissen nicht was vorgefallen ist und es geht sie nichts an. Ich habe kein Bedürfnis danach, mich zu demütigen, um mich pseudomäßig an ihm zu rächen. Gehen Sie bitte." "Zu demütigen? Findest du nicht, dass das ein wenig hart ist. Du hättest auch deinen Spaß, das verspreche ich dir. Ich bin zwar etwas älter, dafür aber umso erfahrener. Willst du wieder zu ihm zurück gekrochen kommen? Du könntest die Nacht bei mir verbringen, Spaß haben und hättest ein gemütliches Bett." War der schwer von Begriff, da blieb ich doch lieber Obdachlos. "Ich verzichte, gehen sie jetzt endlich." Ich wurde etwas lauter. Vielleicht würde ja die Bedienung etwas merken und mir behilflich sein. "Amina, du hast das nicht gut durchdacht. Ich könnte.." Ich unterbrach ihn, "Doch hab ich. Gehen sie, ich möchte ihre Gesellschaft nicht mehr." Wenn er jetzt nicht ging, würde ich es tun. Ich würde mich demonstrativ an einen anderen Tisch setzen. Der Drink war mir egal, ich hatte sowieso nicht vorgehabt auch nur einen Schluck davon zu trinken.

"Hören mir nur noch kurz zu!" Ich sah ihn abwartend an und er redete weiter. "Ich könnte dir nicht nur ein Bett bieten. Ich nehme an, ihr wolltet das ganze Wochenende hier bleiben und gemeinsam zurückfliegen. Du willst doch bestimmt nicht solange bleiben und auf dem Flug zurück neben ihm sitzen. Eine Umbuchung kostet einiges, ich flieg morgen zurück und könnte dich mitnehmen, für eine Studentin ist das viel Geld." Einen Moment lang war ich sprachlos. Was stimmte mit mir nicht, dass scheinbar alle dachten ich würde mich für Tickets prostituieren. Ich war zu geschockt um weg zu gehen. Nicht nur das Toni so etwas angedeutet hatte, jetzt auch noch dieses Ekel. Vor Wut stand ich auf und rief, "Sie sind sowas von armselig und widerlich. Hauen Sie ab, so weit weg wie möglich! Los, verpissen Sie sich!" Ich war so laut, dass man mich in der ganzen, ansonsten ruhigen Bar hören konnte. Langsam schien er zu kapieren, zwar für mein Dafürhalten viel zu langsam, aber er stand auf. "Beeilen Sie sich!" Auf einmal hörte ich eine Stimme mit der ich nicht gerechnet hatte, "Gibt es hier ein Problem?" "Nein, gibt es nicht. Die junge Dame möchte nur gerne alleine sein und darum geh ich jetzt.", antwortet er eingeschüchtert, dennoch behielt er sein falsches Lächeln und wahrte die Fassade. "Und warum muss sie erst schreien, sind Sie taub? Meine Freundin ist nicht der Typ Frau, der gerne Szenen macht. Sie müssen sie schon ziemlich bedrängt haben." "Es war nur ein Missverständnis. Tut mir sehr leid." "Freuen Sie sich. Sie haben nochmal Glück gehabt. Unter anderen Umständen hätte das durchaus blutig ausgehen können. Mir ist zum Glück egal, was genau Sie angestellt haben. Man sollte aber niemals die Freundin eines anderen bedrängen, wenn man denn Mann dazu nicht gesehen hat. Kleine Lebensweisheit. Und jetzt Abflug." Er tat wie ihm gehießen und verschwand endlich. "Verpissen Sie sich? Ernsthaft, Amina? Sie?", er lachte sich fast kaputt. Ich fand die Situation nicht gerade lustig. Das Lachen ignorierend, ließ ich mich wieder auf meinen Platz fallen.

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