Anwesend [Sweet Amoris' Charlotte]

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Sieh' mich an.
Hättest du je gedacht, dass das alles hier so enden würde?
Ich für meinen Teil hätte nie gedacht,
Dass ich mich in deinen Augen verlieren würde,
Dass ich mich nicht mehr von deinen Lippen losreißen könnte,
Dass ich mich an dir vergehen würde.
Dass ich mich in dich verlieben würde.

Sieh' mich an.
"Nur" Freunde sind wir schon lange nicht mehr.
Wenn wir jetzt nicht aufhören,
Wird es kein Zurück mehr geben.
Wirst du mit mir gemeinsam diesen Weg gehen?
Wirst du mich zur anderen Seite bringen?

"Wann hörst du endlich auf, dir Sorgen zu machen, was die anderen Leute denken?", las ich gedanklich mit einer Stimme vor, von der ich glaubte, sie passe gut zu Greta.
Mir entfuhr ein hoffnungsloser Seufzer, zudem ich passend mit meinem Ellebogen etwas über den Tisch rutschte. Bald läge ich schon mit dem Kopf auf der Tischplatte, wenn das so weitergehen würde. Für eine entspannende Sekunde schloss ich meine Augen, doch es fühlte sich nicht einmal wie eine Sekunde an. Ein Knurren ähnliches Geräusch ließ mich meine Augen etwas öffnen, woraufhin ich direkt in Ambers Augen blickte. Vielleicht 30cm von meinem Gesicht entfernt, hatte sie sich mit in die Hüften gestemmten Händen zu mir runtergebeugt.
"Charlotte, hörst du mir etwa nicht zu?", unterstellte sie mir mit einem wütenden Funkeln in den Augen. Ihr Ton gab wieder, dass sie unerfreut über meine mangelnde Aufmerksamkeit ihr gegenüber war.
Innerlich seufzte ich ein weiteres Mal genervt auf.
"Doch, ich höre euch beiden zu."
Meine ausdruckslosen Augen wanderten flüchtig zu Li, die gegenüber von mir saß. Die Beine hatte sie überschlagen, aufrecht saß sie auf dem Stuhl und nahm sich die Zeit, ihr Makeup aufzufrischen. Wie es den Anschein trug, war alles wie immer. Amber redete über ihre Hausparty, die dieses Wochenende bei ihr Zuhause stattfinden würde, und Li sprach mit ihr darüber, während sie sich, wie immer wohl gemerkt, schminkte. Ich konnte mir schon denken, was genau sie gerade besprochen hatten, ohne mir großartige Mühe dabei gemacht zu haben, ihr beim Erzählen zu zuhören. Meinen Blick richtete ich zurück auf Amber, die mich erwartungsvoll und abwartend angrinste. Mittlerweile hatte sie sich wieder normal aufgestellt, sodass ich meinen Kopf heben musste, um ihr in die Augen sehen zu können.
"Du sprachst davon, dass du Castiel eingeladen hast und dass er auf jeden Fall kommen wird, weil er unsterblich in dich verliebt ist. Allerdings ist er zu schüchtern, um es sich einzugestehen, geschweige denn dir seine Liebe zu gestehen. Aus diesem Grund hast du den ersten Schritt gemacht, damit er merkt, dass es bei euch beiden auf Gegenseitigkeit beruht und er dir wiederum ein Liebesgeständnis macht. Am besten wäre es noch, wenn er es vor allen Partygästen ankündigt, damit alle neidisch sind, vor allem Su.", ratterte ich monoton runter, denn ich wog mich in Sicherheit, dass ich auch diesmal recht hatte.
Erstaunt über meine Worte, schaute sie unbeholfen drein, während sich ihre Arme lockerten. Sie wandte ihre Augen von mir ab, um Li mit demselben Ausdruck, den sie mir zuvor schenkte, anzusehen. Auch Li blickte erst Amber, dann mich überrascht an, nachdem sie sich von ihrem Spiegelbild trennen konnte. Anscheinend hatte ich doch mal wieder recht. Mir über Ambers leicht gestrickten Charakter keine Gedanken machend, widmete ich mich wieder meinem Buch zu. Die beiden wussten nun, dass ich das Gespräch doch besser mitbekam, als sie gedacht hatten, also brauchte ich zum restlichen Gespräch nicht mehr meinen Teil dazu beitragen.
"Da merkt man, dass wir uns gut ergänzen, Charlotte.", entgegnete Amber relativ spät auf meine Worte. Hörbar war sie nicht mehr erstaunt oder unterdrückte dies, denn auf einmal wirkte sie stolz auf mich oder möglicherweise sogar auf sich selber.
"Natürlich war es auch mein Plan, diese Su eifersüchtig zu machen. Ich meine, sie ist ja schon neidisch auf meine Schönheit, meinen Style, mein Selbstbewusstsein und auch auf meine Liebe zu Castiel, da muss ich es ihr ja unter die Nase reiben, oder nicht? Also ich meine, dass sie sehen soll, dass ich die wahre Gewinnerin bin."
Ach, jetzt wusste ich, wo der Hase lief. Sie hatte nämlich gar nicht erwähnt, dass sie spezifisch Su eifersüchtig machen wollte, sondern es ging ihr wahrhaftig die ganze Zeit nur um Castiel. Ah ja, dann hatte ich die Sache ja unnötig verschlimmert. Toll. Über mein Buch hinweg schaute ich erneut hoch zu Amber. Li und sie hatten beide angefangen, genüßlich zu lachen, denn sie waren begeistert, welche weiteren Folgen dieser Plan mit sich bringen würde. Am liebsten hätte ich die Augen verdreht und mich aus dem Acker gemacht, doch ich beließ es dabei. Bald würde es sowieso zum Unterricht klingeln und da wir ja schon im Klassenraum waren, wollte ich nicht hin- und herlaufen, nur um 5 Minuten Ruhe zu bekommen. Allmählich stellte sich ihr Gelächter ein und erneut wandte Amber sich mir zu.
"Apropros Party, habt ihr eure Eltern gefragt, ob ihr zur Party kommen dürft? Ein 'Nein' erlaube ich nicht. Meine besten Freundinnen müssen doch dabei sein, wenn ich mir meinen Mann der Träume angle.", meinte sie in einem sehr arroganten Ton, bevor sie sich die Haare nach hinten schlug.
"Ja, geht klar.", erwiderte ich plump.
Daraufhin schwung sie ihren Kopf zu Li. Es sah danach aus, als würde sie für eine kurze Zeit qualvoll überlegen, bis sie anschließend leicht den Kopf schüttelte. Für den Bruchteil einer Sekunde wirkte es so, als ob Li sich nicht sicher wäre, wie sie Amber auf diese Frage antworten solle. Mhm, durfte sie etwa nicht kommen? So, wie ich ihre Noten und ihre Eltern aus Erzählungen kannte, konnte ich mir gut vorstellen, dass es ihr verboten wurde, zu dieser Party zu kommen. Da sie leider kein Genie war, was die Schule anging, und ihr auch nicht zufällig die guten Noten in den Schoß flogen, hatte Li es echt schwer in der Schule. Ich kannte mich zwar nicht mit asiatischen Eltern aus, aber wenn man nach den Vorurteilen ging, sollen diese ganz schön streng sein, was die Schulbildung anging. Jedes Mal, wenn ich auf Lis Eltern traf, wirkten sie eigentlich recht freundlich, teils sogar zu freundlich, weshalb ich mir nicht vorstellen konnte, dass sie so streng zu ihrer Tochter waren. Makeup schaffte sie sich in Tonnen an und auch an Klamotten sparte sie keinen Cent. Falls sie streng waren, was Lis Noten betrafen, hauten sie trotzdem ganz schön viel Cash für ihre Tochter heraus.
"Eh ja, ... ich komme, ... nur muss ich am Sonntag dann schnell nach Hause und lernen.", gab sie zögernd von sich.
Dass man Li mit solch einem Hilfe suchenden, fast schon ängstlichen Ausdruck sah, war wirklich eine Rarität. Mir stellte sich dabei nur die Frage, ob sie mehr Angst vor Amber oder vor ihren Eltern hatte. In Ambers Augen bildete sich Unverständnis und ein kleiner Hauch von Wut, doch ihr Blick fiel zurück zu mir, bevor sie sich in irgendeiner Art und Weise äußern konnte. Meinen Ausdruck wie zuvor beibehaltend, drang ich mit meinen Augen schon fast in ihre Gedanken. Sehr langsam den Kopf schüttelnd, machte ich ihr klar, dass sie sich diesmal beherrschen solle. Kaum hatte ich dies getan, drehte sie sich empört von mir weg. Amber gestand sich nie ein, dass sie einmal falsch handeln oder falsch liegen könne. Dass man sie leicht provozieren konnte und sie dementsprechend alles als Angriff auffasste, machte das Leben mit ihr nicht gerade einfacher. Ihr war sowas schlicht und einfach peinlich. Außerdem war es gegen ihre Art, schließlich musste sie sich jedes Mal auf's Neue einreden, sie seie perfekt. Sich über die Lippen leckend, verschränkte sie motzig ihre Arme vor der Brust und mied auch Lis Blick. Sichtbar fuhr sie sich mit der Zunge durch den Mund, bevor sie begann auf Lis Worte einzugehen.
"Nun gut, ich möchte ja nicht, dass du Ärger bekommst, ... aber falls es mit dem Lernen nicht so klappt, können wir Su ja dazu anstiften, die Lösungen aus dem Lehrerzimmer zu klauen... oder du setzt dich zu Melody und schreibst von ihr ab."
Wieder musste ich mir verkneifen, die Augen zu verdrehen. Einerseits überrascht über die Tatsache, dass Amber nicht ausgerastet war, legte Li den Kopf schief. Dies hielt jedoch nicht lange an, denn Li war so leicht gestrickt, dass sie sich einfach mit Ambers Reaktion anfreundete und unverzüglich erhellten sich ihre Gesichtszüge. Die zwei widmeten sich wieder dem vorherigen Gesprächsthema, dem ich nichts mehr hinzuzufügen hatte, also wandte ich mich wieder meinem Buch zu. Maximal 5 Minuten blieben mir, um noch etwas lesen zu können, bis die Schulklingel mich daran erinnerte, dass der Unterricht nun beginnen würde. Nach und nach kamen immer mehr Schüler rein, bis beinahe alle Stühle belegt waren und auch Herr Faraize ließ sich nach 10 Minuten Verspätung ebenfalls blicken. Uninteressiert versteckte ich mein Gesicht hinter dem Buch und begann weiterzulesen.
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"- Gerüchten zufolge ist die Identität des Mörders einigen Menschen bekannt, doch bevor diese ihn jemals verraten konnten, sind sie davongeschieden. Zu solchen Zeiten war es aber nicht unüblich, Dirnen oder auch Kurtisanen-", erzählte Herr Faraize ganz vertieft über die Ereignisse im Jahre 1888 in London. Seine Erzählung wurde allerdings unterbrochen, weil ein Idiot meinte, "oder Nutten" dazwischen zu rufen. So kindisch, unreif und unlustig es auch war, lachte trotzdem gefühlt die halbe Klasse hallend im Chor. Seufzend, weil ich genervt von dem plötzlichen Lärm war, erhoffte ich mir, dass die Ruhe wieder eintrat. Von der letzten Reihe aus war es fast schon unmöglich Faraizes Erzählung als Lärm aufzufassen, weil dieser Mann unfassbar leise sprach. Er gehörte generell zu der Art Lehrer, die noch nie gelernt hatten, was Selbstbewusstsein waren. Gutmütig, vielleicht sogar naiv, zurückhaltend, leise. Auf das, worüber Amber und Li sich momentan unterhielten, achtete ich gar nicht. Im Prinzip wollte ich nur meine erhoffte Ruhe zurück. Nachdem sich das Gelächter zu meinem Glück wieder legte, startete ich einen Versuch, weiterzulesen. Das konnte ich mir jedoch abschminken, da sich unsere ach so tolle Vizeschulsprecherin herausnahm, dem Faraize Fragen zu stellen. Wie eine vorbildliche Schülerin das so tat, hob sie ihren Arm und lächelte unseren Klassenlehrer an. Dieser war noch neben der Spur, weil man ihn unterbrochen hatte. Dass man ihm danach noch Fragen stellen wollte, war ihm sichtlich dann doch zu viel. Jedenfalls sah es danach aus. Nicht so ganz bei der Sache, zeigte er mit dem Finger auf Melody und wartete auf die kommende Frage. Vorsichtig nahm sie ihren Arm runter.
"Herr Faraize, ich habe da mal eine Frage. Mord ist ein äußerst schlimmes Thema, keine Frage, aber ich bin mir nicht sicher, ob das zum Politikunterricht gehört. Letzte Stunde haben wir über die Legalisierung der Ehe für Homosexuelle gesprochen."
Zum Glück hatte ich nichts mit ihr zu tun. Müsste ich sie außerhalb des Unterrichts reden hören, würde ich nonstop über'm Kübel hängen. Ekelhaft, mit was für einem Ton sie mit ihm sprach. Mich wunderte es sogar, dass sie bei ihrer Wortwahl so neutral geblieben war und nicht in seinen Arsch gekrochen war. Irritiert über ihre Aussage, sah es ganz danach aus, als finge er jede Sekunde zu schwitzen an. Nein, als bräche er jede Sekunde in einem Schweißbad aus.
"Eh, Po-Po-litik?", wiederholte er sehr nervös und mit zittriger Stimme.
Seine glasig wirkenden Augen wanderten durch die Gesichter der Schüler. Schluckend senkte er seinen Kopf leicht und richtete seine Augen zum Boden.
"Oh ja, genau, ... Politik.", stammelte er ein weiteres Mal.
Sich sichtlich unwohl fühlend, wussten seine Augen nicht, wo sie hinstarren sollen. Wild drehten sie sich umher, was einem epileptischen Anfall glich. Mit meiner Zunge schnalzte ich, um auszudrücken, wie gelangweilt ich war. Wem ich das vermitteln wollte, war mir selbst unklar. Er öffnete letztendlich den Mund, um etwas sagen zu wollen, doch dann war die Schulklingel das nächste, das in aus dem Konzept brachte. Reflexartig erhebten sich fast alle Schüler von ihren Stühlen und packten teils ihre Taschen oder machten sich schon auf den Weg zu gehen. Einer der ersten war Castiel, Ambers Crush, woraufhin Amber beinahe schon vom Stuhl sprang und ihm hinterher rannte. Li, die nicht ohne Amber zurückgelassen werden wollte, bemühte sich auch, ihr schnellstmöglich zu folgen. Überfordert, dass die Stunde nun zu Ende war, die meisten Schüler am Abhauen war und dass er in dieser Stunde das falsche Fach unterrichtet hatte, sah er mal wieder von einem Schüler zum anderen.
"Vergesst nicht, d-dass... morgen müsst ihr eure Aufsätze ab-abgeben, ... die ich be-be-", versuchte er alle anwesenden Schüler an die Hausaufgaben zu erinnern, doch es wurden immer weniger und keiner machte sich die Mühe, stehenzubleiben und ihm zuzuhören.
Als Nathaniel, Ambers Bruder und Schulsprecher, an Herrn Faraize vorbei wollte, packte dieser ihm an die Schulter, um ihn zum Stehenbleiben zu bewegen. Nathaniel war mit Abstand der zuverlässigste Schüler, wenn man mal von Melody absah, und das komplette Gegenteil von seiner Schwester Amber. Dazu auch noch Liebling gesamter Lehrer, weshalb es kein Wunder war, dass Herr Faraize sich bei Nathaniel traute, ihn zum Hierbleiben zu bringen. In der Zeit, in der die meisten Schüler schon gegangen waren, hatte ich meine Tasche gepackt und bin ebenfalls aufgestanden. Gemächlich machte ich meinen Weg durch den Raum, um das Gespräch der beiden mitzubekommen.
"Keine Sorge, Herr Faraize, ich werde die Klasse schon daran erinnern, dass die Aufsätze morgen abzugeben sind."
Erleichtert über das Versprechen des Schulsprechers, lächelte unser Lehrer leicht.
"Ach, Nathaniel, du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich darüber bin, dass ich einen vernünftigen jungen Mann wie dich in meiner Klasse habe. Das erleichtert mir mein Dasein."
Gezwungen lächelnd, nickte Nathaniel, verkneifte sich sichtlich jeglichen Kommentar und setzte sich schonmal in Gang, um dem unerwünschten Körperkontakt zu entgehen. Winkend verabschiedete er sich von Herrn Faraize und lief in Richtung Tür. Ehe ich mich versah, war er so schnell vor unserem Klassenlehrer geflüchtet, dass er beinahe in mich reingerannt wäre. Zum Glück hatten er und ich das aber noch gesehen, bevor es zu diesem Ungeschick kommen konnte. Anschnauzen konnte ich ihn ja nicht, weil er eben Ambers Bruder war. Alarmierend bremste er sich auf seinem Schuhabsatz und ich machte ein Schritt nach hinten. Seinem Gesichtsausdruck zufolge, wollte er einfach ganz schnell raus hier. Mich nervös anlächelnd, aber trotzdem dabei weiterlaufend, entschuldigte er sich bei mir.
"Sorry, Charlotte."
Schweigend blickte ich ihn dämonisch an und drohte ihm mit diesem Ausdruck, damit es nicht ein weiteres Mal zu solch einer Situation kommen sollte. Dies schien ihn allerdings wenig zu interessieren, denn er hatte es anscheinend sehr eilig. Kaum hatte er sich bei mir entschuldigt, war er praktisch schon aus dem Raum gestürmt. Einen Augenblick mal, Nathaniel hatte sich bei mir entschuldigt? Dass ich das noch zu meinen Lebzeiten erleben würde, hätte ich ja nicht gedacht. Normalerweise ignorierte er mich so gut er's konnte. Sehr verdächtig.
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Einige Minuten später befand ich mich an meinem Spind am anderen Ende des Flures. In diesen stopfte ich die Bücher, die ich für den restlichen Unterricht und für die heutigen Hausaufgaben nicht brauchte. Mein Buch, das ich heute schon den ganzen Tag am Lesen war, nahm ich natürlich mit mir mit. Ob das aber so eine gute Idee von mir wäre, bezweifelte ich dann doch, weil ich gleich Unterricht bei Frau Delanay hätte, die wohl strengste Lehrerin der gesamten Schule. Selbst ich wollte nichts bei ihr riskieren, da ich mich noch zu gut entsinne, dass Amber beinahe einmal Nachsitzen kassiert hätte. Mir war es prinzipiell egal, was die Lehrer danach für einen Eindruck von mir hätten, aber noch länger, als ich es so schon musste, wollte ich nicht in der Schule verbringen. Unsere Schule bestand auch nur aus komischen Leuten. Jedenfalls enleerte ich meine Tasche, schloss mein Fach und machte mich auf zum Treppenhaus. Mein Buch hatte ich doch mitgenommen. Wer wusste schon, ob wir nicht doch auf einmal Vertretung hatten. Am besten noch bei Herrn Faraize. Mir Zeit lassend, ging ich die Treppe hoch, die mich in den Flur führen würde, in dem sich unser Chemieraum befand. Ehe ich meinen Fuß auf die letzte Stufe setzen konnte, ertönten auf einmal Stimmen, die ich noch nicht sofort einordnen konnte. Sicherheitshalber schaute ich mich um, ob diese Delanay nicht schon hier oben war. Auch wenn man sich während der Pause in dem Gebäude aufhielt, wurde diese Frau ganz giftig. Aber keine zehn Pferde kriegten mich nach draußen zu diesen anderen komischen Gestalten, mit denen ich auf gar keinen Fall etwas zu tun haben wollte. Niemand war zu sehen.
"N-Nein, nicht h-hier.", hörte ich dumpf eine männliche Stimme.
Woher kam denn diese Stimme, wenn hier niemand auf dem Flur war? Und war das vielleicht zufällig Nathaniels Stimme? Mich weiter umdrehend, entdeckte ich ein weit geöffnetes Fenster, das mich vermuten ließ, dass die Stimmen von draußen kamen. Solange sie nicht hier waren, sollte es mich nicht stören, dachte ich mir. Also drehte ich mich zurück in Richtung Chemieraum und machte mich dorthin.
"Nicht so laut. Nicht, dass uns jemand hört."
Nathaniel? Und... Castiel? Normalerweise interessierten mich die Angelegenheiten anderer nicht, aber wenn es um Ambers Crush und ihren Bruder ging, musste ich unbedingt erfahren, was dort vor sich ging. Sofort hielt ich an, als ich mir sicher war, dass es sich hierbei um Castiels Stimme handelte, drehte mich auf meinem Schuhabsatz und ging auf Zehenspitzen zum Fenster. Waren Li und Amber ihm nicht sofort nach dem Unterricht gefolgt? War Nathaniel vorher so in Eile, weil er auf Castiel treffen wollte? Ich hörte noch die ein oder anderen Sachen, bis ich dann endlich ans Fenster gelangte. Zuvor hatte ich mich noch nie diesem Fenster genähert, weswegen ich mich wunderte, welchen Teil der Schule man von hier oben aus sehen konnte. Meine Hände an der Fensterbank abdrückend, lehnte ich meinen Oberkörper etwas aus dem Fenster, um eine bessere Sicht zu bekommen. Man konnte von hier oben aus also direkt in den Schulgarten schauen, indem sich auf den ersten Blick niemand befand. Meine Augen suchten den gesamten Garten ab, doch mir stach einfach niemand ins Auge. Es konnte doch nicht sein, dass ich mir die Stimmen der beiden eingebildet hatte.
"K-Komm mir nicht zu Nahe! W-Wir...", ertönte wieder Nathaniels ängstlich wirkende Stimme, doch ich wusste einfach nicht, wo er war.
Wusst ich's aber doch, dass ich es mir nicht nur eingebildet hatte. Lauschend suchte ich weiter nach meinem Zielobjekt, als mir plötzlich eine rasche Bewegung, die im Gartenhäuschen stattfand, auffiel. Nathaniel wurde vom Reden abgehalten, weil der Rotschopf, also Castiel, sich ihm aufgedrückt hatte. Ein amüsiertes Grinsen konnte ich mir einfach nicht verkneifen. Erfreut über meine Aussicht, ergötzte ich mich an dieser. Mit aller Kraft versuchte der Schulsprecher sich aus der Gewalt und von den Lippen des Rebellen zu drücken, doch er schaffte es nicht. Leidenschaftlich und gierig küsste der Rotschopf den lieben Nathaniel, ohne Rücksicht auf diesen zu nehmen. Obwohl ich Ambers Freundin war, fande ich es doch ganz schön lustig und ironisch zugleich. Trotz der Tatsache, dass Nathaniel sich die unnötige Mühe machte, sich von Castiel zu drücken, schien es ihm mehr zu gefallen, als er sich eingestehen wollte. Dies ging gefühlt über 10 Minuten und aus unerfindlichen Gründen konnte ich meine Augen nicht von ihnen wenden. Im Prinzip ging mich diese Sache einen Scheiß an, aber die Tatsache, dass ich deren Geheimnis kannte und in der Lage dazu war, es auszuplaudern, gab mir so ein prickelndes, befriedigendes Gefühl. Mir war es sogar egal, ob die beiden mich beim Spannen erwischten oder nicht. Das würde diese Sache ja nur noch aufregender machen. Sie würden mich darum anflehen und anbetteln, niemandem auch nur ein Sterbenswort zu erzählen. Huch, anscheinend hatte ich wieder den Luxus, Menschen erpressen zu können. Besser hätte es doch gar nicht sein können, dass ich mit Amber befreundet war und dass es um ihren Bruder und ihren Crush ging. Wenn ich Amber davon erzählen würde, ginge die Post ab. Mhm, aber ihre leidenden Gesichter wollte ich vorher erst sehen, bis dann das Wesentliche an die Reihe kam. Während ich den beiden so bei ihren heißen Liebesspielchen zusah, ertönten Schritte in meinen Ohren. Mist, ausgerechnet jetzt. Im Grunde war es aber jetzt auch egal, ob man mich zum Nachsitzen verdonnerte oder nicht, es hatte sich auf jeden Fall gelohnt. Bevor die Person, von der die Schritte ausgingen, auch nur die Etage erreichen konnte, merkte ich, dass beide Jungs ihre Augen geöffnet hatten. Erst starrten sie sich gegenseitig mit heißen Blicken an, als plötzlich Nathaniel flüchtig in meine Richtung schaute. War es nun sobald? Würde bald der Spaß beginnen? Als sich ein schlechtes Gefühl in ihm bemerkbar machte, drehte er seinen Kopf zu mir. Kaum starrte er mich für eine halbe Minute an, hatte er auch schon realisiert, dass ich die beiden erwischt hatte. Castiel merkte schnell, dass etwas faul war, also tat er es Nathaniel nach, indem er sich ebenfalls in meine Richtung drehte. In beiden Gesichtern stand pure Sprachlosigkeit, die mich zu einem verschmitzten Grinsen bewegte. Den Kopf etwas schief legend, analysierte ich den Ausdruck in ihren Gesichtern. Es erfreute mich, wie entsetzt und nervös sie nun dreinschauten. Niemand von ihnen wusste, was sie sagen oder tun sollten. Unverzüglich lösten sie sich voneinander, konnte allerdings nicht die Augen von mir nehmen.
"Junge Dame, was machen Sie denn bitte während der Pause in dem Treppenhaus-", drang Frau Delanays Stimme in meinen Kopf, die so schnell sie gekommen war, genauso schnell durch das andere Ohr verschwand.
Dass sie doch noch angekommen war, hatte ich, ehrlich gesagt, nicht wirklich wahrgenommen. Allein, dass die beiden Jungs mich tatsächlich noch entdeckt hatten, war einfach nur göttlich. Sie sprach noch irgendwelche Dinge aus, die ich nur so halb mitbekam, aber mir war bewusst, dass ich nachsitzen müsse. Ein letztes Mal erfreute ich mich an dieser Situation und an ihre Blicke, die voller Angst waren. Mit meiner Hand wunk ich den beiden kurz zu und reagierte recht gut gelaunt auf Frau Delanays Strafankündigung.
"Das war's mir wert.", gab ich so laut von mir, dass auch die beiden Turteltauben da unten es hören konnten.
Wie der Gewinner eines Spiels grinste ich vor mich hin, bis ich mich indirekt von den beiden verabschiedete, mich anschließend vom Fenster wandte und auf Frau Delanay zuging. Das anbannende Drama würde mir wirklich Freude bereiten.

one shots by dea branchWhere stories live. Discover now