Verscherzt

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Die Tropfen schienen immer heftiger und immer stärker auf die Erde zu fallen und bald war die Landschaft getaucht in Schlammpfützen und, wie könnte es anders sein, Regen.
Anders als beim letzten Mal, machte dieses Wettrennen sogar ziemlich viel Spaß. Vielleicht lag es daran, dass sie sich ungehindert anstachelten. Zumindest solange, bis Gray in einer Pfütze ausrutschte, den Halt verlor und vornüber im Schlamm landete. Vielleicht wäre Natsu ja einfach nur stehen geblieben und hätte Gray ausgelacht oder hätte so getan, als wäre er eine gute Freundin und hälfe ihm auf, aber das gestaltete sich als schwierig. Denn die Sache war die. Beide Magier hatten trotz ihres Wettrennens nicht ihre Hände losgelassen und so zog es Natsu direkt mit in den Dreck.

Überrascht sahen sie sich an. Bevor einer von ihnen aber auch nur etwas sagen konnte, brachen sie in schallendes Gelächter aus. Gray nutzte die kurze Ablenkung, um ,Natasha' eine Hand voll Schlamm direkt ins Gesicht zu klatschen.
Es ist wohl unnötig zu erwähnen, dass das zu einer gewaltigen Schlammschlacht führte. Am Ende waren sie beide so voller Schlamm, dass es unmöglich war zu sagen, welches schlammbedeckte Körperteil welches war. Nur der Platzregen wusch ihnen den Dreck aus dem Gesicht.
Schwer atmend stand Natsu schließlich wieder auf und zog Gray mit in den nahegelegenen Park und beide warfen sich ohne nachzudenken in den anliegenden See.
Sie verbrachten Stunden dort. Irgendwann verzogen sich die Regenwolken wieder und ein sternenklarer Himmel machte sich über ihnen breit.
Solange, bis sogar die Sonne sich entschied, wieder aufzugehen und ihr rotes Licht auf die beiden Kindsköpfe zu werfen.
Das war dann allerdings auch der Moment, wo sie sich entschieden, sich an den Rand des Teiches zu setzen und den Sonnenstrahlen zuzusehen.
Natsu hatte erschöpft seinen Kopf zurückgelehnt und stützte sich auf seinen Händen ab, während Gray diesen Schritt längst übersprungen hatte und sich direkt auf den kalten Boden legte.
Sie waren erschöpft und müde und Gray hatte das Gefühl, als könnte er sich nichts schöneres vorstellen. Es war erstaunlich ruhig, während er sich diesem Traum hingab. Ja, es musste ein Traum sein oder? Wie auch konnte Natsus Gesicht so leuchten? Das Sonnenlicht verfing sich in Natashas nassen Haaren und spielte mit der ,lachsartigen' Farbe, sodass die Haare teilweise rötlich schimmerten. Und diese Augen spiegelten so viel Licht wider, dass es Gray unmöglich schien, dass er wach war.
Seine Überzeugung war es vermutlich auch, die ihn zu seinem nächsten Schritt bewegte. Einen Schritt, den er womöglich bald bereuen würde.

Vorsichtig setzte er sich auf und rückte näher an Natasha heran, die sich mittlerweile auch nach hinten gelehnt hatte und mit geschlossenen Augen, wie zuvor im Wald dalag.
Er beugte sich über sie und betrachtete jeden Winkel ihres Gesichtes. Es war etwas anders, etwas weicher als das von Natsu. Hätte Gray die Wahl gehabt, würde er zwar Natsu bevorzugt, aber dennoch hatte dieses Gesicht etwas freundliches an sich. Etwas lebhaft Verspieltes, etwas Wunderschönes, das Gray nicht in Worte fassen konnte.
Sein Herz überschlug sich beinahe bei der Nähe, die doch nicht nah genug war. Bald war Grays Nase nur noch wenige Milimeter von Natashas entfernt und erstaunt merkte Gray, dass eine Art Strom aus Hitze von ihr auszugehen schien.
Aber Gray war nicht der einzige, der etwas bemerkte. Denn auch Gray strömte Temperaturen aus. Temperaturen die weitaus kälter waren als die Natsus und so öffnete dieser schlagartig seine Augen, gerade in dem Moment in dem sich Gray dazu überwinden wollte, die letzten Milimeter zwischen ihren Lippen zu überwinden.
Gray erschrak. Ebenso wie Natsu, der sich reflexartig aufrichtete und dabei seine Stirn an Grays stieß.
"Fuck!", fluchten beide gleichzeitig, als ein brennender Schmerz sich auf ihren Stirnen ausbreitete. Natsu musste diesen Schlag erst mal verarbeiten. "Was zur Hölle, Gray?!", fing er an und rieb sich dabei die Stirn.
Gray hingegen war genauso erschrocken von seiner eigenen Aktion und sah mit weit geöffneten Augen zu Boden. Natsu wich ein wenig zurück. Sein, bzw. Natashas Herz schlug wie verrückt und drohte beinahe aus seinem Brustkorb zu springen.
Er hätte es doch wissen müssen. Gray wollte wirklich mehr, als nur Händchen halten! Hochrot im Gesicht schlug er die Hand vor seinen Mund bei dem Gedanken daran, dass Gray ihn beinahe geküsst hatte.
Schlagartig herrschte eine angespannte Atmosphäre zwischen ihnen, während Gray immer noch versuchte sein Handeln zu begreifen. Plötzlich war auch er wieder hellwach.
"Ich- entschuldige, ich-", er konnte nicht mehr reden und Natsu unterlag erneut seinem inneren Konflikt. Gray konnte es ja nicht wissen, es war nicht seine Schuld, er brauchte sich nicht schuldig zu fühlen. Denn endlich wurde ihm die Schwere seines Vergehens bewusst. Natsu hatte es zu weit getrieben mit seinem Versuch, Gray sich in Natasha verlieben zu lassen, denn es hatte funktioniert.
Natsu wusste jetzt, es hatte funktioniert und anders als er gedacht hatte, machte ihm dieser Gedanke Angst.
Ohne es zu merken sprang er auf. "Es tut mir Leid, Gray, aber ich kann das nicht.", brachte er hervor, unfähig seinen Satz fortzuführen.
Dies wäre ein passender Moment, um Gray alles zu erzählen, ihn möglichst bloßzustellen und für seine Naivität auszulachen, auch wenn Natsu sich diesen Moment eigentlich mit mehr Zuschauern vorgestellt hatte. Und weniger unangenehm.
Warum tat es dann so weh, Gray so verzweifelt zu sehen? Erst jetzt merkte Natsu, was er mit seiner Aktion eigentlich erreicht hatte. Gray hatte schließlich alles so ernst genommen. Niemals hätte Natsu gedacht, dass er sich mal schämen würde, Gray so sehr verletzt zu haben.
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und rannte davon. Gajeel hatte recht gehabt. Er hatte wirklich alles versaut.
Es war zu spät für Gray zu erfahren, wer Natasha war. Es war zu spät für Natsu, es zuzugeben. Er konnte einfach nicht. Mit etwas Glück würde er seine Freundschaft mit Gray als Mann wieder herstellen können.
Sie könnten sich wieder in aller Ruhe hassen und Gray brauchte niemals von dem Plan zu erfahren.
Und noch etwas folterte sein Herz als habe man einen Dolch hineingerammt. Denn die Tatsache, dass Gray sich in Natasha verliebt hatte, bedeutete, dass Natsu keine Chance mehr hatte. Woher kam denn dieser Gedanke?
Schockiert über sich selbst wischte Natsu sich eine Träne aus dem Gesicht. Wofür fing er denn jetzt auf einmal an zu heulen? Mühsam zwang er sich, eine klare Sicht zu behalten, während er Richtung Hotel lief.

Stufe um Stufe rannte Natsu nach einigen Minuten endlich die Treppe zu seinem Zimmer hoch und riss die Tür beinahe aus den Angeln.
Erschrocken richtete sich Melanie vom Sofa auf, auf dem sie offensichtlich geschlafen hatte.
"Mach es rückgängig! Sofort!", schrie Natasha sie an. Panik, Wut und Verzweiflung in der Stimme. Überrascht und unfähig einen Ton zu sagen starrte Melanie sie an. "Was redest du denn da! Ich hab dir doch gesagt, das geht nicht! Du hast noch zweieinhalb Wochen, bis die Wirkung nachlässt. Ich kann dich nicht mit einer zweiten Dosis behandeln. Das würde die Frist verlängern und ein Gegenmittel gibt es nicht!"
Natasha sah sie mit angsterfüllten Augen an. "Scheiße, nein, verdammt!", schrie er heraus und rannte die gesamten Stufen wieder hinab.
Sie hatte nur ein einziges Ziel. Eine einzige Person, die Natsu jetzt helfen würde.

Gray hingegen saß währenddessen immer noch am See und starrte aufs Meer hinaus. Was hatte er getan? Er hatte es sich mit ihm verscherzt. Natürlich musste Natsu so auf ihn reagieren.
Dennoch tat es weh. Er musste die Versuchung loszuschluchzen unterdrücken, er durfte diesem Bedürfnis nicht nachgeben.
Von wegen zweieinhalb Wochen, die er noch mit Natasha verbringen würde.
Wahrscheinlich würde er sie nie wieder sehen. Wahrscheinlich würde sie bald verschwinden und Natsu dafür wieder auftauchen. Und der würde ihn hassen, vielleicht sogar seinen Plan zu Ende durchführen und ihn verraten. Wobei Gray sich relativ sicher war, dass letzteres wohl nicht passieren würde, so zerstreut wie Natsu gewirkt hatte.
Immerhin etwas. Wie hatte er sich so gehen lassen können?! Und dabei war alles so gut gelaufen.
Verbittert vergrub er sein Gesicht in den Händen. Diese Hände, die kurz zuvor noch die Wärme Natsus gespürt hatten.
Und seine Gefühle, die er jetzt schon so lange versteckt hatte, drohten überzulaufen und ihn zu ertränken. Sie waren stärker geworden, seit man ihnen eine Chance gegeben hatte und hielten ihn wach, fern von der Realität und doch waren sie so wirklich, dass er beinahe das Gefühl hatte sie greifen zu können. Die Enttäuschung, die Wut und das gebrochene Herz.

You fall in love with a person, not a gender (Gratsu)Where stories live. Discover now