6. Kapitel

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 Stella P.O.V.

Als ich endlich alleine in meinem Zimmer war, ließ ich mich aufs Bett fallen, vergrub den Kopf im Kissen und weinte. Ich saß in einem fremden Haus, mit fremden Leuten, die ich nicht kannte, und hatte keine Ahnung, was ich als nächstes tun sollte. Einerseits waren sie wirklich nett zu mir, ich meine, nicht jeder würde mich einfach so in seinem Ferienhaus wohnen lassen. Ich hatte mir auch alle Mühe gegeben, meine Dankbarkeit zu zeigen und immer freundlich zu lächeln, aber – was soll ich sagen – ich musste zuerst einmal damit klarkommen, dass ich gerade von zu Hause abgehauen war! Ich schluchzte. Was hatte ich nur getan? Plötzlich kam mir der Gedanke, dass meine Eltern wahrscheinlich schon die Polizei gerufen hatten und erschrocken setzte ich mich auf. Was sollte ich jetzt machen? Ich wischte schnell die Tränen weg und humpelte zu meiner Tür. Da ich nicht wusste, wer wo wohnte, klopfte ich einfach an die Tür nebenan. „Ja, bitte?“, hörte ich von drinnen. Ich öffnete die Tür und sah Harry mit seinem Handy auf dem Bett sitzen. Als er mein verheultes Gesicht sah, legte er das Handy zur Seite und schaute er mich besorgt an. „Ist alles okay?“, fragte er vorsichtig. Ich nickte und schloss die Tür hinter mir. Harry klopfte neben sich auf das Bett und bedeutete mir, mich zu setzen. Ich kam mir ein bisschen blöd vor, da ich ungefähr so wie eine altersschwache Ente durchs Zimmer hinkte, aber wenigstens lachte er nicht. Als ich endlich saß, atmete ich einmal tief durch und sagte dann leise: „Was ist, wenn sie die Polizei gerufen haben?“ Harry runzelte die Stirn. „Bist du ein Verbrecher?“, war alles, was ihm dazu einfiel. Ich sah ihn verwirrt an. „Also, wenn ich ein von der Polizei gesuchter Verbrecher wäre, würde ich an deiner Stelle nicht so entspannt hier sitzen“, entgegnete ich. Harry grinste und ich musste feststellen, dass er ein verdammt süßes Lächeln hatte. „Warum bist du hergekommen?“, fragte er und streckte sich auf dem Bett aus. „Warum ich hier in dein Zimmer gekommen bin?“, fragte ich zurück. Er schüttelte den Kopf. „Nein, warum bist du hier in unser Haus gekommen?“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Hat Paul doch schon erklärt. Dein Freund Zayn hat mich im Wald gefunden und ich konnte nicht mehr alleine laufen, und deshalb hat er mich einfach mitgenommen. Was übrigens sehr nett von ihm war, ich muss mich morgen früh nochmal bei ihm bedanken!“ Harry setzte sich ungeduldig auf. „Ja, aber wieso musst du hier wohnen? Haben deine Eltern dich rausgeschmissen?“, hakte er nach. Ich warf ihm meinen bösesten Kümmer-dich-um-deinen-eigenen-Kram-Blick zu und drehte mich schnell weg, aber Harry sah trotzdem, dass mir eine Träne über die Wange lief. Er wusste offenbar nicht genau, was er tun sollte, aber nach zwei Minuten Schweigen sagte er sanft: „Kann ich irgendetwas tun, dass es dir ein bisschen besser geht?“ Ich lächelte durch meine Tränen. So etwas wurde ich nicht oft gefragt. „Sag mir einfach, dass ich hier nicht in einem Haus voller psychopathischer potentieller Kindsmörder gelandet bin“, sagte ich und merkte selbst, wie weinerlich meine Stimme klang. Er guckte entrüstet. „Also bitte, für wen hältst du uns? Wir sind One Direction, die Boyband, deren negativste Schlagzeilen den albernen Streit mit „The Wanted“ beinhalten!“ Ich hatte zwar keine Ahnung, wovon er redete, aber ich musste doch ein bisschen lachen. „Na gut, dann bin ich beruhigt“, entgegnete ich. „Freut mich, dass ich dir helfen konnte“, meinte Harry und ich starrte seine Augen an, die wirklich verwirrend grün waren. Schnell stand ich auf. „Ich geh dann mal wieder“, murmelte ich und machte mich humpelt auf den Weg zurück zur Tür. „Gute Nacht“, sagte Harry und beobachtete, wie ich langsam den Raum durchquerte. Ich lächelte ihm noch einmal zu, dann verließ ich den Raum. Als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, lehnte ich meine Stirn gegen die kühle Wand und dachte: „Offenbar können Menschen auch anders seine als meine … Eltern.“ Da ich in der Schule massiv gemobbt worden war (was vor allem an dem übertriebenen Ehrgeiz meiner Eltern und dem darauf folgenden Ruf als verbissene Streberin lag) und niemand es je für nötig gehalten hatte, mir zu helfen, waren meine Erfahrungen mit Menschen weitgehend negativ. Umso glücklicher war ich gewesen, als ich diesen Sommer die Schule beenden und mich abgeschottet in mein Zimmer hatte zurückziehen können. Nur für das Schwimmtraining musste ich zweimal täglich herauskommen, immerhin befand ich mich auf dem besten Weg, eine professionelle Schwimmerin zu werden. Natürlich traf ich auch immer wieder Leute, die nett zu mir waren, aber das konnte die vielen Male, in denen mich die Menschen so sehr verletzt hatten, leider nicht aufwiegen.

Aber die Leute hier, in dem kleinen Ferienhaus, kannten mich nicht. Sie wussten nicht, wer ich war und dass ich ein von den eigenen Eltern drangsaliertes Mobbingopfer war. Sie behandelten mich wie einen normalen, wertvollen Menschen, und das war ein schönes Gefühl!

Niall P.O.V.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, schien mir die viel zu helle Sonne mitten ins Gesicht und ich drehte mich stöhnend auf die andere Seite, nur um einen Augenblick später panisch aufzuspringen und meinen Wecker zu verfluchen, der mich nicht geweckt hatte. Als ich aber bemerkte, dass wir uns in dem kleinen Ferienhaus in Amerika und nicht in London befanden, ließ ich mich erleichtert zurück ins Bett fallen und musste über mich selbst lachen. Da ich jetzt sowieso wach war, konnte ich auch runter gehen und etwas frühstücken. Schnell zog ich ein T-Shirt über meine Boxershorts und lief die breite Treppe herunter. Sie knarrte fürchterlich und ich hatte die Befürchtung, dass der Rest des Hauses nun auch wach war. Als ich die Küche betrat, saß Paul am Küchentisch und hatte einen Laptop vor sich. „Hey, Paul“, begrüßte ich ihn. Er schaute von seinem Laptop hoch. „Hi Niall! Man hat dich wahrscheinlich bis London die Treppe runterkommen gehört“, bemerkte er grinsend. „Ich kann doch nichts dafür, dass die Treppe so knarrt“, verteidige ich mich, während ich die Schränke nach etwas Essbaren durchsuchte. „Sie haben gestern in der Presse eure Auszeit bekannt gegeben“, teilte Paul mir mit und ich nickte einmal kurz. Direkt verflüchtigte sich meine gute Laune, denn das war nicht gut. Die Fans würden furchtbar enttäuscht sein und die Presse würde sich die Mäuler über uns zerreißen. Ich schüttete ein bisschen Müsli in eine Schüssel und setzte mich mit meinem Handy an den Tisch. „Bring es hinter dich“, ermutigte ich mich selbst, atmete einmal tief durch und öffnete Twitter. Leider war es genau, wie ich befürchtet hatte; die ganze Welt musste wohl ihre Meinung dazu geben, dass One Direction Urlaub machte. „Wollt ihr mich verarschen? Das könnt ihr nicht tun!“ „Ich dachte, ihr tut alles für eure Fans“ „Zuerst der Erfolg und dann denkt ihr, ihr könnt machen, was ihr wollt?“ „Ich fühle mich verraten“ „Ihr wart immer für mich da, aber jetzt habt ihr euch offenbar gegen eure Fans entschieden“ „Ihr seid überfordert von dem Leben eines Stars? Wisst ihr eigentlich, was für ein hartes Leben normale Leute haben?“ „Fuck you One Direction, wegen euch habe ich die halbe Nacht geweint!“ las ich.

Langsam rutschte mir mein Handy aus der Hand und ich versteckte mein Gesicht in den Händen. „Ist alles okay, Niall?“, fragte Paul und ich schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf. Ich hörte, wie er seinen Laptop zuklappte. „Was ist passiert?“, fragte er alarmiert und zog meine Hände vor meinem Gesicht weg. Wortlos hob ich das Handy vom Boden auf und reichte es ihm. Während er die Hassnachrichten las, zwang ich mich, einen Löffel des Müslis in den Mund zu stecken und herunter zu würgen. Warum konnten diese Menschen uns nicht verstehen? Warum verstanden sie nicht, dass wir keine verwöhnten Schnösel waren, die nicht wussten, was arbeiten hieß und denen das Geld nur so zuflog. Natürlich hatten wir überdurchschnittlich großen Erfolg und verdienten damit verdammt viel Kohle, aber wir hatten seit einem Jahr keinen Tag frei gehabt, hatten von morgens bis abends durchgearbeitet und waren, wenn wir nachts völlig erschöpft aus dem Studio gekommen waren, von Paparazzi und Journalisten belagert worden, die uns einfach nicht nach Hause lassen wollten. Keiner hielt das auf Dauer durch, und wir waren noch ziemlich jung. Vor allem Harry, der Jüngste von uns, hatte dem Druck nicht standhalten können. Ich hatte Angst, wie er reagieren würde, wenn er diese Tweets lesen würde. Harry kam mit so etwas von uns allen am schlechtesten zurecht. Wenn er einen etwas Negatives über sich las, war er die nächsten Stunden nicht mehr ansprechbar und machte sich tausend Vorwürfe, was er falsch gemacht hatte. Paul legte mein Handy zur Seite. „Damit hatten wir rechnen müssen, Niall“, sagte er behutsam und legte seine große Hand auf meine zitternden Finger. „Das gibt gute Schlagzeilen, ihr seid jetzt praktisch Freiwild auf Abschuss. Die Zeitungen freuen sich tierisch, wenn sie jemanden haben, auf dem sie herumhacken können, das müsstet ihr am besten wissen. Aber in ein paar Wochen wird das alles vorbei sein, dann haben sie das Interesse verloren und ihr habt eure Ruhe“, versuchte er mich zu trösten. „Unsere Fans hassen uns“, brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Wenn es echt Fans sind, hassen sie euch nicht. Mach dir keinen Kopf, Niall. Es haben schon vor euch große Stars eine Pause gemacht, und die Welt liebt sie immer noch.“ Das stimmte. Ich beruhigte mich ein wenig. Langsam griff ich nach meinem Handy. „Hey Leute, ich vermisse unsere Fans, aber macht euch keine Sorgen, in zwei Monaten sind wir wieder zurück und dann wird es noch besser als vorher!“, tippte ich in mein Handy und veröffentlichte den Tweet. Doch bevor die ersten Antworten kamen, schaltete ich mein Handy aus und vergrub es unter ein paar Sofakissen.

Von einem verrückten Sommer, fünf wundervollen Idioten und einer Menge ChaosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt