Kapitel 13

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TJ

Ich habe keine Ahnung, was ich mir von meinem Outing erwartet habe, aber diese Reaktion definitiv nicht. Wenn Mom wüsste, wie oft ich sie zuvor angelogen habe, wäre sie jetzt bestimmt stolz, dass ich die Wahrheit gesagt habe. Aber nein, sie hasst mich jetzt. Du kriegst aber auch nichts im Leben auf die Reihe, oder? Dieser Satz war bisher immer unausgesprochen geblieben, doch irgendwie immer da gewesen. Der enttäuschte Blick auf mein Mathe-E. Das Seufzen, wenn ich mal wieder mit verheulten Augen nach Hause gekommen bin. Das zweistündige Telefongespräch, in dem ich ihr gebeichtet habe, dass ich die Therapie abbrechen möchte. Und ausgerechnet bei der einzigen Sache, die mich jemals derartig glücklich gemacht hat, spricht sie ihn aus. Es scheint ihr nicht einmal leidzutun, denn auch am Mittwoch entschuldigt Mom sich nicht bei mir. Sie ignoriert mich vollständig, und ich verstehe zum ersten Mal, wie Douglas sich die ganze Zeit über gefühlt haben muss, was meine Laune auch nicht gerade hebt. Zu allem Überfluss haben wir am Abend auch noch eine Probe mit dem Musikensemble, und es läuft einfach grauenhaft. Ich kann mich kein bisschen konzentrieren, verspiele mich in jedem Takt und bringe alle anderen raus. Schließlich nimmt Mr. Hunt mich beiseite. „TJ, ich weiß nicht, was heute los ist, aber entweder du bemühst dich jetzt oder du gehst nach Hause." Nach dieser Ansprache ist es für mich eh nicht mehr möglich, den Kopf frei zu kriegen, also schnappe ich mir meine Jacke und verschwinde. Leider muss ich noch warten, bis Douglas mit seiner Theatergruppe fertig ist. Also gehe ich nach außen, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Zu meiner Überraschung treffe ich dort Sean. „Sean? Was machst du denn hier?" Er fährt herum. „Oh, hi. Ich hab noch gar nicht mit dir gerechnet." - „Was machst du hier?", wiederhole ich meine Frage. Doch bevor er antworten kann, schwingt die Tür erneut auf und ein Junge kommt heraus. Als er Sean sieht, strahlt er über das ganze Gesicht. „Hey, Cooper!", entgegnet Sean hingegen nur ziemlich nervös. „Sean, kann ich kurz mit dir reden?", hake ich eindringlich nach, da mir gerade ein schlimmer Verdacht in den Sinn kommt. „Was ist mit ihm, Sean? Ich dachte, er hätte länger Probe." Cooper ist ziemlich verwirrt, während mir langsam alles klar wird. Ich packe Sean am Kragen und presse ihn gegen die Wand. „Eine Affäre mit Cooper? Ist er der, von dem du mir erzählt hast?" Sean nickt. „Es ist nicht so, wie du denkst. Wirklich! Es ist das erste Mal seit Langem, dass wir uns wieder treffen." Ich bin so enttäuscht, dass ich nicht mal die Kraft habe, wütend auf Sean zu sein, obwohl ich einen guten Grund dazu gehabt hätte. „Also gefällt es dir in unserer Beziehung nicht, dass du dich mit ihm triffst, um... keine Ahnung... mit ihm zu schlafen oder so? Verdammt, wenn ich dir nicht gut genug bin, mach doch einfach Schluss mit mir!" Jetzt verliert Sean seine Beherrschung und schubst mich von sich. „Wie zur Hölle hätte ich mit dir Schluss machen sollen, selbst, wenn ich es gewollt hätte? Ich hätte befürchten müssen, dass du dich danach von einer Brücke stürzt!" Das sitzt. Ich starre ihn mit offenem Mund an. Doch er ist noch gar nicht fertig. „Weißt du, unsere Beziehung besteht zu neunzig Prozent nur daraus, dass ich dich tröste. Das ist okay, und ich verstehe das auch. Aber ab und zu will ich eben ein bisschen Spaß haben, und ich schwöre dir, dass heute das letzte Mal gewesen wäre. Ich wollte heute Cooper sagen, dass zwischen uns gar nichts mehr ist..." - „Wann? Nachdem ihr gefickt habt oder was?", unterbreche ich ihn. Sean seufzt. „Nein. Weißt du, warum ich ihm das gesagt hätte? Weil ich dich liebe, TJ. Weil ich Cooper nicht mehr brauche. Aber du würdest das nie einsehen, weil du lieber in deinem Selbstmitleid versinkst anstatt mal zu akzeptieren, dass dein Leben gar nicht mal so scheiße ist, wie du es immer darstellst!" Seine Worte sind so wahr, dass es wehtut. Ich konnte nie gut mit der Wahrheit umgehen, doch das ist endgültig zu viel. Ich drehe mich um und renne davon. „TJ, warte!", brüllt Sean mir noch hinterher. Ich beschleunige bloß mein Tempo und halte die Tränen zurück, bis ich in Dougs Auto sitze. Dass er mir eigentlich nur die Schlüssel gegeben hat, damit ich statt außen zu frieren schon mal in seinem Wagen auf ihn warten kann, ist mir egal. Ich wische mir die Tränen aus den Augen und lasse den Motor an. Ich will so schnell wie möglich nach Hause, bevor ich noch auf irgendeine dumme Idee komme oder bevor ich über Seans Ansprache nachdenken muss. Um mich abzulenken, schalte ich das Radio ein. Die letzten Töne von Guru Josh'sInfinity" erklingen, sofort beginnt ein neues Lied. I'm looking at you through the glass – don't know how much time has passed – Oh God it feels like forever – but no one ever tells you that forever feels like home – sitting all alone inside your head. Und auf einmal erscheint alles in meinem Kopf, was ich verdrängen wollte. Sean. Ganz ruhig, einfach auf das Fahren konzentrieren. Cooper. Waren das die Cops? Hoffentlich nicht. Fahr einfach ein bisschen schneller. Wie zur Hölle hätte ich mit dir Schluss machen sollen, selbst, wenn ich es gewollt hätte? Ich hätte befürchten müssen, dass du dich danach von einer Brücke stürzt! Links Abbiegen.  Aber ab und zu will ich eben ein bisschen Spaß haben. Nur noch drei Meilen. Aber du würdest das nie einsehen, weil du lieber in deinem Selbstmitleid versinkst anstatt mal zu akzeptieren, dass dein Leben gar nicht mal so scheiße ist, wie du es immer darstellst! Jetzt kommt alles wieder hoch. Meine Sicht ist durch Tränen fast vollständig getrübt. Taghelle Scheinwerfer. Dann vollkommene Dunkelheit.

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