Kapitel 7

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Douglas

„Ich... ich habe eine Freundin." Anne starrt mich entgeistert an. „Was? Aber – aber wieso hast du dich überhaupt mit mir getroffen?" Ich hebe die Schultern. „Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Und es tut mir wahnsinnig leid. Du bist übrigens die Erste, die davon weiß?" - „Wirklich?", fragt Anne, und ich merke, wie sie sich selber überwindet. „Kenne ich sie denn?" Ich schüttele den Kopf. „Nein, sie wohnt in Austin. Ihr Name ist Olivia. Wir haben uns im Internet kennengelernt." Ich erwarte, dass Anne mich entweder köpfen, oder, dass sie wortlos wegrennen wird. Doch sie bleibt stehen und zwingt sich zu einem Lächeln. „Freut mich für dich." Ihre Stimme zittert und ich bekomme wieder ein schlechtes Gewissen. „Anne, es tut mir leid. Wirklich. Ich wollte dich nicht verletzen, nie. Ich habe einfach nicht nachgedacht, als ich dir zugesagt habe. Und außerdem wusste ich nicht ob Ollie – Olivia – es wirklich ernst meint. Aber ich treffe sie am Samstag, also ist es das. Ich hoffe, du hasst mich jetzt nicht." Ich werfe ihr einen flehenden Blick zu, sie bemerkt ihn jedoch nicht, da sie mit den Tränen kämpft. „Es tut mir so leid", flüstere ich und nehme sie in die Arme. Sie wehrt sich nicht dagegen, aber ich spüre ihre Tränen an meiner Schulter. Und zum ersten Mal seit ich Ollie kenne, kommen Zweifel in mir hoch. Was, wenn sie in echt nicht so ist wie online? Und wie lange hält so eine Fernbeziehung? Ich werde sie nie so in die Arme nehmen können, wie ich es gerade mit Anne tue. Falsch, verbessere ich mich. Ich werde sie am Samstag so in die Arme nehmen können, wie ich es gerade mit Anne tue.

TJ

Es kommt mir fast vor wie Schicksal, als ich Prudence am Dienstag Morgen im Klassenzimmer mit ihrem iPod erwische. Unauffällig nähere ich mich ihr an, um ihr dann mit einer schnellen Bewegung den iPod aus der Hand zu reißen. „Hey! Was soll das?", schreit sie mich an, während ich durch ihre Playlist scrolle. Rihanna, Ariana Grande, Nicki Minaj – kein einziges Lied von Stone Sour. Ich werde knallrot im Gesicht. „I'm looking at you through the glass - Don't know how much time has passed - Oh God it feels like forever - But no one ever tells you that forever feels like home", höre ich auf einmal jemanden neben mir. Ich drehe mich um und sehe Sean, der leise vor sich hin singt und mich angrinst. „DU?" Mein Herz schlägt höher. „Klar, wer sonst?" Er zeigt auf Prudence, die sich wieder ihre Kopfhörer in die Ohren geschoben hat. „Hast du ihr ernsthaft so eine Romantik zugetraut?" - „Lass mich in Ruhe, Sean." Meine Stimme beginnt zu zittern. Wo ist mein Selbstbewusstsein schon wieder? „Du bist krank. Diese Aktion war krank." Sean lacht auf. „Ach so? Und wenn sie von ihr gewesen wäre, wäre sie das nicht?" Ich nicke. „Ja. Sie ist ein Mädchen, und du nicht. Das ist der Unterschied. So ist es einfach nur widerlich. Du bist widerlich." Für eine Sekunde verschwindet das Lächeln von seinem Gesicht. Doch genauso schnell ist es auch wieder zu sehen. „Wir werden schon noch sehen, TJ." Danach dreht er sich um und geht auf seinen Platz zurück. Ich schnappe mir nur meinen Rucksack und verlasse so schnell wie möglich das Klassenzimmer. Ich hätte es wissen müssen. Um meinen Kopf frei zu kriegen, flüchte ich erst mal ins leere Musikzimmer und setze mich ans Klavier. Sobald meine Finger die Tasten berühren, vergesse ich Sean und alles, was dazugehört. Alles, worauf ich mich konzentriere, sind meine Finger, die wie von selbst Mad World spielen. „Ich liebe es, wenn du Klavier spielst." Ich zucke zusammen und verspiele mich. „Was zur Hölle machst du hier? Ich hab dir doch gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen." Ich nehme die Hände vom Klavier. Sean kommt auf mich zu. „Werde ich auch. Aber nicht jetzt." Langsam drehe ich mich zu ihm um und stehe auf. „Müsstest du nicht jetzt beim Unterricht sein?" Er steht jetzt so nahe vor mir, dass alles, worauf ich mich konzentrieren kann, seine blauen Augen sind. „Das müsstest du auch", flüstert er. Und dann küsst er mich. Aber es stört mich in keinster Weise, im Gegenteil. Als er sich wieder von mir löst, ziehe ich ihn an seinem Kragen wieder zurück. „Doch nicht so widerlich, hm", murmelt er zwischen zwei Küssen. „Verdammt, nein", antworte ich ihm, als unsere Gesichter wieder einen gewissen Abstand zueinander haben. „Nur, wenn du einen Anderen küsst." - „Werde ich nicht, versprochen." Sean lächelt mich an. „Sollten wir nicht zurück ins Klassenzimmer?", frage ich nach einer Weile. „Nein, ich finde nicht." Er zieht mich wieder zu sich. Deshalb kehren wir erst kurz vor Stundenwechsel zum Klassenzimmer zurück. Bevor er die Tür öffnet, lässt Sean meine Hand los und zwinkert mir zu. „Ich hab ihn gefunden, Mr. Culp."

Douglas

Ich wache am Samstag mit gemischten Gefühlen auf. Einerseits werde ich Ollie das erste Mal treffen, andererseits meine Eltern anlügen und, wenn ich bis dahin kein Geld auftreibe, schwarz heimfahren. Wenn irgendjemand von diesem Trip Wind bekommt, bin ich erledigt. Ich verhalte mich möglichst normal, gehe um neun duschen und frühstücke mit meiner Mutter, wo ich sie um einen Gefallen bitte. „Mom, kannst du mich zu Elliot fahren? Er wohnt in Oxnard." - „In Oxnard?", wundert sich meine Mutter. „Dann hat er aber einen weiten Schulweg." - „Ähm, ja. Seine Eltern finden die Ventura High School aber besser als die in Oxnard", lüge ich und bete, dass mein Kopf nicht knallrot wird. „Na, wenn sie meinen", erwidert meine Mutter nur und nimmt noch einen Löffel Müsli. „Wann willst du da sein?" Ich tue so, als würde ich überlegen. „Ähm, so um zehn?" - „Ok. Ruf mich dann einfach an, wenn ich dich holen soll." Ich bedanke mich bei ihr und verlasse die Küche. Überraschend einfach, wie ich meine Mutter anlügen kann. Um halb zehn mache ich mich fertig, ziehe ein sauberes Hemd an und föhne meine Haare. Dann packe ich noch Handy und Fahrkarte ein, mein Geld ist komplett für die Karte draufgegangen. Naja, ich werde Ollie ja hoffentlich nicht unbedingt zum Essen einladen müssen. Meine Mutter wartet schon im Auto. „Wo wohnt er denn, dieser Elliot?", fragt sie mich als wir das Ortsschild von Oxnard passieren. „Direkt bei Bahnhof, du kannst mich da einfach rausschmeißen." Und das tut sie wenige Minuten später, so dass ich alleine bin. Ich finde das Gleis ohne Probleme, mein Zug ist pünktlich. Das sieht auf jeden Fall schon mal nach einem perfekten Tag aus. Auch, wenn Ollie in Los Angeles ganz schön auf sich warten lässt. Schon eine halbe Stunde stehe ich am Bahnhof. Meine Nachrichten bleiben unbeantwortet, auch meine Anrufe ignoriert sie. Schließlich mache ich mich auf den Weg zu dem Hotel, von dem sie mir erzählt hat. Es ist tatsächlich direkt um die Ecke. Die Leute in der Lobby sehen mich komisch an, wie ich komme, mit vornehmen Hemd und einer Rose in der Hand. Ich frage an der Rezeption nach Olivia. „Entschuldigen Sie, aber hat hier heute morgen eine Familie Speight eingecheckt? Die Frau schiebt ihre Brille in die Stirn, mustert mich argwöhnisch und schaut dann auf ihren Computer. „Nein, tut mir leid." Ich schlucke. „Okay... Aber das hier ist schon das Metro Plaza Hotel, oder?" Sie schaut mich entgeistert an. „Selbstverständlich. Und ich würde Sie bitten, zur Seite zu treten, junger Herr, ich habe noch andere Gäste mit seriösen Anliegen, um die ich mich kümmern muss." Wie im Trance verlasse ich das Hotel. Was, wenn Ollie nie in LA angekommen ist? Wenn ihr irgendetwas auf dem Weg zugestoßen ist? Ich rufe sie erneut an, und diesmal hebt jemand ab. „Hallo?" - „Hallo? Wo ist Olivia?" - „Hier direkt neben mir. Aber wer zur Hölle bist du?" - „Ich bin ihr Freund, Douglas." Kurzes Schweigen am anderen Ende. „Kann gar nicht sein. Ich bin ihr Freund." Ihr – was? Mein Unterkiefer klappt herunter. „Doug? Bist du das?", höre ich auf einmal Ollies Stimme durch das Telefon. „Ollie, wo bist du? Und wer ist dieser Typ?", brülle ich, so dass mich zwei ältere Damen auf dem Bürgersteig entsetzt anstarren. „Ich bin in Austin, und das ist Magnus, mein... Freund." Sie stockt. „Oh bitte, Douglas, sag mir, dass du nicht in LA bist." - „Oh doch, das bin ich. Und weißt du, was verrückt ist? Ich warte dort auf meine Freundin, die gerade bei ihrem Freund im Bett liegt und mich die ganze Zeit verarscht hat!" Bei den letzten Worten überschlägt sich meine Stimme fast. „Douglas, es tut mir leid...", versucht Olivia sich recht zu fertigen, doch ich unterbreche sie. „Was tut dir leid? Dass du fast ein Jahr lang so getan hast, als wären wir zusammen, obwohl du die ganze Zeit einen Freund hattest? Wieso hast du das getan, Ollie?" Sie schweigt. „Keine Ahnung. Aber du hast mir wirklich etwas bedeutet, Doug. Tust es auch immer noch. Nur eben nicht... so sehr." Ich bin vollkommen fertig. Genau so muss Anne sich gefühlt haben, als ich sie wegen Olivia versetzt habe. „Du hättest mir das doch sagen können", flüstere ich, weil meine Stimme langsam versagt. „Anstatt mir etwas vorzuspielen. Ich hätte kein Problem damit gehabt, einfach mit dir befreundet zu sein." - „Es tut mir leid, Douglas." Wortlos lege ich auf und lasse mich entkräftet auf den Boden fallen. Sie wollte nie etwas von mir. Sie hat mich ein Jahr lang verarscht, und ich habe ihr geglaubt. Vertraut. Wegen ihr bin ich etliche Meilen weit gefahren, nur um jetzt alleine und ohne Geld in einer fremden Stadt zu sein. Ich merke, wie Tränen über meine Backen strömen und die Passanten mich anstarren wie so manch andere Sehenswürdigkeit in dieser Stadt, doch es ist mir egal. Ich werfe die Rose auf die Straße, wo sie nach wenigen Sekunden von einem Bus überrollt wird. Dann rufe ich in meiner Verzweiflung meinen Vater an. „Dad, es... ich habe grade keine Zeit, dir das zu erklären, aber ich bin gerade in LA, ohne Geld. Du musst mich abholen. Bitte." - „Was machst du in LA, Junge?", fragt mein Vater verwundert. „Ist jetzt egal. Kannst du mich abholen?" - „Wo bist du gerade?" Ich schaue mich um. „Beim Bahnhof." - „Bleib wo du bist, ich komme." - „Danke, Dad." - „Mach sowas nie wieder."

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