Kapitel 8

154 10 2
                                    

                       

TJ

Die ersten Tage nach dem Kuss sind ziemlich seltsam. Ich gehe Sean aus dem Weg, obwohl ich das eigentlich nicht will. Es ist nur etwas ungünstig, in einer schwulen Beziehung zu sein, weil man nie weiß, wie das Umfeld reagiert. Douglas soll zumindest erst mal nichts mitbekommen, und das macht es schwer, in der Schule bei Sean zu sein. Der hat damit aber kein Problem, wie er mir am Montag beweist. „Nicht so schnell, Hübscher!", hält er mich im Gang auf. „Nicht hier, du Spast!", zische ich und schubse ihn von mir. „Auch schön, dich zu sehen. Was ist denn los? Ich dachte-" - „Es ist kompliziert, ok?", unterbreche ich ihn und laufe weiter. Er rennt mir hinterher. „Dann erklärs mir doch. Heute, 5PM, 186 Hurst Avenue." Dann ist er verschwunden. Ich starre ihm hinterher. Ich habe also heute ein Date mit ihm. Eigentlich war für halb fünf eine Fahrstunde verabredet, aber ich könnte Larry einfach darum bitten, sie bei Sean statt bei mir zu beenden. Ganz einfach. Die Panik kommt erst, als ich zuhause vor dem Kleiderschrank stehe. Langsam beginne ich zu verstehen, warum Doug immer so lange braucht. Letztendlich bleibt es bei Jeans und einem dunkelgrauen Langarmshirt mit Knöpfen. Die Fahrstunde läuft trotz meiner Aufregung gut. Ich finde Seans Haus ohne Probleme, da er mich dort schon erwartet. Gerade als ich aussteigen will, ruft Larry mir hinterher. „Warte! Wir müssen noch einen Termin für deine Prüfung machen!" Ich gehe also zurück zum Auto. „Ja. Also, ich hab nichts vor die nächste Zeit." Larry holt ein Notizbuch aus dem Handschuhfach. „Gut... Wie wäre es mit Freitag in einer Woche, der 28.?" Ich nicke. „Ok." - „Bis dann!" Larry hebt zum Abschied die Hand und fährt dann davon, so dass ich mich endlich um Sean kümmern kann. „Hier wohnst du?" Ich zeige auf das Haus im mediterranen Stil. „Ja", bestätigt er. „Mein Zimmer ist oben. Kommst du?" Ich folge ihm ins Haus. Im Wohnzimmer liegt eine junge Frau auf der Couch und liest. „Das ist aber nicht deine Mutter, oder?", flüstere ich Sean zu. Der lacht. „Nein. Das ist meine Schwester, Skye. Skye, das ist TJ!" Skye sieht kurz auf und lächelt mir zu. „Willst du was essen? Trinken?", fragt Sean und öffnet den Kühlschrank. „Ein Glas Orangensaft, wenns keine Umstände macht." Sean lacht. „Wow, du kannst ja auch höflich sein." Ich zucke entschuldigend mit den Schultern. Nachdem er uns O-Saft eingeschenkt hat, lotst Sean mich nach oben auf seinen kleinen Balkon, der in Richtung Straße zeigt. „Ich hoffe, Stone Sour ist ok?" Er hebt eine CD hoch. Ich nicke und er legt sie ein. Wir setzen uns auf die Liegestühle. „Du musst mir unbedingt mal wieder was auf dem Klavier vorspielen." - „Ja, wenn wir zuhause eins hätten." Ich seufze. „Also, bei meinem Dad haben wir ja eins. Aber der lebt in Thousand Oaks." - „Ich glaub, ich kenne deinen Vater", überlegt Sean. Ich lache kalt auf. „Jeder hier kennt meinen Vater. Dann weißt du doch eh schon bestens über meine Lebensgeschichte Bescheid." - „Teilweise. Aber das ist ja nicht, was mich interessiert." - „Aha, und was interessiert dich?", hake ich nach. Er denkt nach. „Warum hast du mich ignoriert, TJ?" Ich nehme einen großen Schluck Saft. „Weißt du... Seit wir klein waren, hat jeder immer gedacht, Douglas wäre schwul. Keine Ahnung warum. Aber da hab ich eben die Reaktionen bemerkt, die ich jetzt bekommen werde." Sean nickt langsam. „Und außerdem, man weiß nie, wie die Leute um einen herum reagieren. Ich glaube, ich brauch einfach noch ein bisschen Zeit. Ich meine, vor einer Woche hätte ich dich noch am Liebsten tot gesehen und jetzt sitze ich auf deinem Balkon und wir halten Händchen wie ein 12-jähriges Heteropärchen." Sean lacht. „Du bist lustig, TJ. Deine Vergangenheit passt nicht zu dir." Ich schnaube nur. „Jetzt will ich auch was über dich wissen", lenke ich ab. „Ich weiß nicht mal deinen Nachnamen." - „Mein Name ist Sean Reeves, ich bin am 13. August 1999 in Ohio geboren. Mein Vater ist Pfarrer -" - „Warte mal", unterbreche ich ihn. „Dein Vater ist Pfarrer? Der Sohn des Pfarrers ist schwul?" - „Ja. Ist vielleicht auch der Grund, warum meine Eltern mich rausgeworfen haben." Ich beiße mir auf die Lippe. „Sorry, ich wusste nicht -" - „Schon gut. Woher hättest du es auch wissen sollen. Naja, ist nicht schlecht, mit meiner Schwester zu leben. Ihr ist es immerhin egal, was ich mache, solange ich neben der Schule jobbe, um Geld für die Miete beizusteuern." Ich schweige. Ja, ich habe es gut. Dad hat mehr Geld als er ausgeben kann und Mom genug, um für Doug und mich zu sorgen. „Hey, alles klar?" Ich blicke hoch in Seans besorgtes Gesicht. „Ich? Ja, ja. Ich war nur... woanders." - „Bin ich so langweilig?", fragt er, was ich sofort durch ein Kopfschütteln verneine. „Es ist nur ungewohnt, weißt du. Ich hatte in den letzten Jahren keine Kumpels, geschweige denn einen Freund..." - „Sind wir das? Sind wir denn zusammen?", will Sean wissen und legt den Kopf schief. „Ich weiß nicht, kommt auf die Definition drauf an", weiche ich aus. „Dann will ich jetzt mal deine hören", verlangt er. „Keine Ahnung. Ich denke schon", murmle ich und beiße mir auf die Lippe. „Sehr gut." Sean zieht mich zu sich und küsst mich. „Sonst hätte ich dich hier sofort wieder rausgeworfen." - „Apropos rauswerfen." Ich ziehe mein Handy aus der Tasche um auf die Uhr zu schauen. „Boah ne... ich hätte eigentlich schon vor zwanzig Minuten zum Bus gemusst. Mom bringt mich um, wenn ich um acht zuhause bin." - „Um acht? Süß. Wie alt bist du, zehn?" Ich schubse Sean aus seinem Stuhl. „In zwei Wochen siebzehn, du Arsch." - „Also komm, Babyboy. Ich fahre dich." Er steht auf und kramt in seiner Kommode nach den Autoschlüsseln. Ich renne ihm hinterher. „Babyboy? Ernsthaft?" Sean grinst nur. „Hast du den Vertrag nicht gelesen? Stand bei Paragraph 68." - „Ich hasse dich." Ich schubse ihn gegen die Wand. „Ich dich doch auch", erwidert er und verabschiedet sich von seiner Schwester. Die Autofahrt vergeht viel zu schnell. Als Sean vor meinem Haus hält, bleibe ich sitzen. „Was, das ist gar nicht dein Haus? Dann habe ich damals dem falschen Hammond eine Rose aufs Fensterbrett gelegt." - „Krieg ich noch einen Gutenachtkuss?", frage ich und schaue ihn unschuldig an. „Klar, komm her. Schlaf gut, Babyboy." - „Du auch, Arschloch."

through glassWhere stories live. Discover now