Plötzlich wurde mir schummrig zu Mute und gerade als ich fragen wollte, was denn los war, erklärte mir die Frau, die folglich eine Sanitäterin sein musste, dass dies ein sehr starkes Schmerzmittel sei. Ich hätte eine starke Gehirnerschütterung.
Fragend sah ich Mason an oder besser gesagt: Ich versuchte ihn fragend anzusehen, doch ich glaubte, dass mir dies nicht besonders gelang. Trotzdem schien er es zu verstehen und meinte erklärend:„Als du in der Schule zusammen gebrochen bist, hast du dir den Kopf zuerst an der Wandtafel gestossen und dann bist du auch noch auf den Boden aufgeprallt."

Ich gab irgendein seltsames Geräusch von mir, da ich keine Kraft mehr fand, etwas dazu zu sagen.
Mason schluchzte wieder. Mit viel Mühe schafte ich es meine Hand an seine Wange zu legen und ihm darüber zu streichen. Gaben sich meine Brüder möglicherweise die Schuld an dem ganzen Massaker? Ich wusste natürlich, dass sie überhaupt nichts für das alles konnten, doch ich hatte genug Bücher gelsen und Filme geschaut, um zu wissen, dass sich Mitmenschen oft die Schuld gaben, weil sie das Gefühl hatten, dass sie es verhindern konnten, was ein völliger Quatsch war. Das alles war nur Schicksal. Alles passiert aus einem bestimmten Grund und wenn ich jetzt sterben musste, so hatte auch das seinen Grund.
Ich presste meine Augen feste zusammen.
'Nein, Nati! Jetzt nicht ans Sterben denken! Das darfst du jetzt deinen Brüdern nicht antun!'

Wusste Kyle Bescheid? Meine Eltern? Hatten meine Brüder auch Atlanta informiert? Was war mit Roxie und Logan? Und dem ganzen Rest der Schule?
Es gab in diesem Augenblick so Vieles, was ich Mason gerade fragen wollte, doch hatte ich keine Kraft den Mund zu öffnen.
Mein Arm, den ich zu Mason ausgestreckt hatte, wurde schwer und ich liess ihn fallen. Er krachte hart auf den Rand der Liege, auf der ich lag. Doch ich spürte keine Schmerzen mehr. Ich fühlte mich, als würde ich auf Wolken schweben: ohne Sorgen, ohne Probleme, ohne Krankheit.

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

Aufgeregtes Gemurmel und ein regelmässiges Piepen weckte mich. Ich schlug die Augen auf und würde am liebsten gleich wieder in genau diesen Zustand zurückkehren, in dem ich gerade gelegen hatte. Wieder durchfluteten mich Schmerzen ohne Ende, mein Körper fühlte sich an, wie mit Lava übergossen.
Vor lauter Schreck über die Schmerzen, keuchte ich auf.
Sofort wurden alle im Raum stehende Personen still und sahen mich besorgt an.
John, Mr. Jenks, Mason, Meik, Dylan, Aiden und Kyle.
Sie alle waren da und betrachteten mich nur aus traurigen Augen.

„Was ist mit mir los?", brachte ich nach mehreren erfolglosen Versuchen endlich über die Lippen.
„Nati... Es ist schwierig", flüsterte Kyle, während er auf mich zu kam und sich auf die Bettkante setzte. Ich wusste genau was das für mich bedeutete: Sie würden mich nicht über meinen Zustand informieren, bis es mir wieder besser ging. So war es bisher immer gelaufen. Als ich Mr. Jenks einmal darauf angesprochen hatte, so hatte er geantwortet, dass sie das nur taten, um nicht zu viel Stress bei mir selbst hervorzurufen.
Ich verstand einfach nicht, weshalb niemand einsah, dass es viel schlimmer war, wenn man im Ungewissen leben musste. Denn das tat ich die ganze Zeit über. Ich wusste niemals wann mein letzter Tag werden würde, wann mein Körper ein für alle Mal aufgeben würde.
Ich nickte.

Abwesend schaute ich an Kyle und den anderen vorbei und sah mich im Raum um. Ich erkannte ihn sofort wieder: Ich befand mich in meinem alten Zimmer in Emily's Home. Wenn ich aus dem Fenster sah, konnte ich genau die selbe Stelle im Park betrachten. Sogar das Klavier stand noch in diesem Zimmer, obschon ich es doch der Klinik geschenkt hatte, als ich hier vor über einem Jahr entlassen wurde.
„Ethan?", fragte ich, meine Brüder noch immer nicht anschauend.
„Er sitzt draussen und fragt ununterbrochen, wann er herein kommen darf", antwortete Dylan genervt und ich sah ihn drohend an.
„Ich will ihn sehen!" Langsam aber sicher kam meine Stimme endgültig zurück und ich schaffte es fast wieder normal zu sprechen. Auch kratzte mein Hals nicht mehr so wie wenige Minuten zuvor.
„Nur über meine Leiche!", fauchte Meik und verschränkte seine Arme vor der Brust.
„Das solltest du in einer Klinik für totkranke Kinder und Jugendliche definitiv nicht sagen. Und jetzt lasst ihn verdammt nochmal herein und verschwindet! Wenn ihr mir schon nicht erzählt, was mit mir los ist, dann erfüllt ihr mir wenigstens diesen Gefallen." Ich schaute meinen Brüdern der Reihe nach intensiv in die Augen. Mir entging nicht, dass Mr. Jenks sich ein kleines Schmunzeln verkneifen musste, obwohl die Situation gerade alles andere als lustig war.

Mit gesenkten Köpfen verliessen die Männer den Raum, bloss mein Psychiater blieb noch kurz bei mir.
„Du hast dich vielleicht äusserlich verändert, Natalia. Aber in deinem Herzen bist du immernoch genau die selbe.
Sei nicht zu streng zu deinen Brüdern. Sie sorgen sich nur um das Mädchen, das ihnen so viel bedeutet", meinte er und sah mich mit genau dem Blick an, den ich überhaupt nicht mochte. Er sagte so viel wie:„Du brauchst nichts dagegen einzuwenden, denn ich weiss, dass es stimmt."
Und ich wusste es auch, denn Mr. Jenks hatte wirklich immer Recht.
Nun war ich diejenige, die mit gesenktem Blick nickte.

Auch er verliess den Raum. Ich war keine zehn Sekunden alleine, da ging die Tür schon wieder auf und ein aufgelöster Ethan stürzte ins Zimmer. Ich musste schmunzeln. Doch es verging mir schnell wieder und wurde ernst.
„Hi", sagte ich schüchtern.
„Hallo", antwortete er sanft.
Seine braunen Augen strahlten Sorge aus, die sein verschmitztes Lächeln, das mich immer zum Schmelzen brachte, zu überdecken versuchte.
„Kannst du mir erklären, was hier los ist? Deine Brüder wollen mir und den anderen Jungs kein Wort sagen. Auch nicht, wie es dir gerade geht." Ethan fuhr sich mit der Hand durch seine Haare, sodass sie nun in alle Richtungen abstanden. Ich biss mir auf die Unterlippe und lächelte ihn müde an.
„Es gibt da wohl etwas, dass ich dir erzählen sollte."

Alive - Wie er mir half zu lebenWhere stories live. Discover now