30. Kapitel

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„Danke Euer Ehren, die Verteidigung zieht sich nun zurück", grinste ich und verschränkte meine Hände unschuldig auf dem Pult.

Ethan konnte sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen. Ehrlich gesagt musste ich mich auch wahnsinnig zusammenreissen, denn Tessas Gesicht nahm gerade verschiedene Ausdrücke - und sogar Farben - auf einmal an. Offensichtlich schien sie zu merken, dass sie mir ins offene Messer gestolpert war.
„Miss Hollister! Sie werden sich nach dem Unterricht sofort zum Schuldirektor begeben! Miss Ocean, es tut mir leid, dass ich Ihre Anschuldigung nicht ernst genommen habe. Bitte verzeihen Sie mir!" Mr Sullivan schien sich fast einbisschen dafür zu schämen, dass er mir nicht geglaubt hatte.
Ich winkte ab:„An Ihrer Stelle hätte ich mir vermutlich auch nicht geglaubt. Schliesslich bin ich ziemlich vor den Kopf gestossen worden."
„Wissen Sie was, wir beide werden Miss Hollister zum Direktor begleiten, damit Sie schildern können, was genau passiert ist", meinte mein Naturkundelehrer und beäugte Tessa kritisch. „Ich bezweifle, dass die Dame die ganze Wahrheit ans Licht kommen lässt."
„Natürlich, Mr Sullivan. Wir wollen ja nicht, dass die Ungerechtigkeit noch ein weiteres Mal siegt", sagte ich und schaute Tessa dabei herausfordernd an. Ihr Gesichtsausdruck verriet mir, dass sie das auf keinen Fall auf sich sitzen lassen würde.
Tessas Blick sagte in diesem Moment mehr als 1000 Worte, und vier davon waren:„Möge der Krieg beginnen!"

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„'Danke Euer Herren, die Verteidigung zieht sich nun zurück'? Das hast du wirklich gesagt? Ich kann nicht mehr! Was ist dann passiert?" Roxie sass neben mir auf einer kleinen Mauer vor dem Schulgebäude und drohte vor lachen nach hinten zu fallen.
„Tessa hat, wie sie nunmal ist, erst nach einigen Sekunden kapiert, dass sie sich verplappert hat. Du hättest ihr Gesicht sehen sollen, als sie das gecheckt hat! Als würde man um die 40 verschiedene Gesichter mit verschiedenen negativen Gesichtsausdrücken auf ein Bild bringen." Auch ich musste bei dieser Erinnerung heftig lachen. Was hätte ich darum gegeben diesen Moment noch einmal erleben zu dürfen!
„Mensch, Nati! Wieso hast du denn kein Bild von der gemacht? Denkst du denn gar nicht mehr an mich?", warf mir Roxie vor, doch ich konnte sie nicht ernst nehmen, da die Folge von ihrem Lachflash einen hochroten Kopf bedeutete. Ich lachte wieder und sagte:„Sorry, Schwester. Das nächste Mal. Versprochen!"
„Gib mir deinen Kleinenfingerschwur!", befahl sie mir und hielt mir ihren kleinen Finger hin. Lächelnd hakte ich meinen bei ihrem ein.

„Tut mir leid, dass ich euch störe, aber ich fand, dass jetzt wohl der beste Zeitpunkt ist, bevor ihr wieder ein neues Thema findet."
Roxie und ich schauten nach oben. Ethan sah uns mit seinem neutralen Blick an und fragte an Roxie gewandt:„Könnte ich mal kurz mit Natalia unter vier Augen reden?"
„Ähem... Klar!", stotterte diese und begann so ungeschickt ihre Sachen zusammenzupacken, dass das Meiste davon auf dem Boden landete.
Ich hob einige davon wieder auf und drückte sie ihr lächelnd in die Finger. Sie stopfte sie in ihre Tasche und stolperte davon. Nach einigen Metern drehte sie sich noch einmal um und rief:„Wir sehen uns dann gleich für die nächste Stunde. Ich halte ein Platz für dich frei!"
Ich hielt den Daumen nach oben. „Alles klar!"
Dann wandte ich mich Ethan zu. „Was gibts?"
„Ich wollte mit dir über unser Projekt reden. Ausserdem haben wir noch einen Surfwettbewerb offen, woran ich dich erinnern wollte", meinte dieser mit einem Grinsen im Gesicht, das mich beinahe zum Schmelzen brachte.
„Wie könnte ich den nur vergessen? Ich werde dich sowas von fertig machen!", lachte ich. „Und was ist wegen unserem Projekt?"
„Ich dachte wir könnten heute nach dem Training noch in die Bucht", meinte er achselzuckend.
„Klar. Warum nicht?", sagte ich lächelnd. Doch anstelle, dass er zurück lächelte, was ich erwartete, nickte er, drehte sich um und ging zurück ins Schulgebäude.
Aus dem konnte man nicht schlau werden. Einmal ist er total nett zu mir und das nächste Mal ist er wieder so kalt und abweisend.
Kopfschütteld kramte ich meine Sachen zusammen und liess den Rest des Tages bis zum Cheerleadertraining über mich ergehen.

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

„Na kommt schon, Ladies! Noch zehn Sprünge!", versuchte Mr Rickson uns zu motivieren, worauf Jenny - eine von Tessas Hauptanhängsel - reklamierte:„Das haben Sie bereits vor den letzten zehn Sprüngen gesagt!"
„Tja. Diese waren aber nicht sauber genug!"
Wir stöhnten alle auf und wie aufs Kommando liessen wir uns einfach auf den Boden fallen und blieben auch schön liegen. Wenn wir uns in einem Punkt wirklich verstanden, dann, dass Mr Rickson uns manchmal wirklich bis an unsere Grenzen brachte.
„Was soll das denn jetzt?!", brüllte unsere Trainer.
„Bitte, Coach! Wir sind fix und fertig! Wir haben heute schon acht Runden um den ganzen Platz gedreht und alle möglichen Hebefiguren geübt!"
„Sie hat Recht! Meine Muskeln fühlen sich an wie geschmolzener Wackelpudding", jammerte eine weitere.
„Na gut", begann Mr Rickson,„wir haben noch zehn Minuten Training. Und wenn ihr bis zum Ende keine saubere zehn Sprünge geschafft habt, dann lauft ihr noch einmal drei Runden um den Platz und geht erst, wenn ihr fertig seid!"
'Welch eine Kompromissbereitsschaft!'
Da ich keine Lust hatte noch mehr Runden zu laufen, rappelte ich mich auf und begann die letzten zehn Sprünge zu absolvieren.
„Sehr gut, Natalia! Die beiden letzten war nicht mehr ganz so sauber wie die ersten, aber ich will ja nicht so sein. Du kannst gehen", lobte er mich und ich ich machte mich fast jubelnd auf den Weg zu den Umkleidekabinen.
„Und ihr sitzt immernoch auf dem Boden? Na los! Ihr habt noch sieben Minuten!", brüllte er die anderen an.

Ich beschloss so schnell wie möglich zu duschen, und dann auf dem Parkplatz des Schulgeländes auf Ethan zu warten.

Wie sich herausstellte war das 'auf Ethan zu warten' nicht mehr nötig, da er bereits auf mich wartete. Er stand mit seinen Armen verschränkt lässig an seinem Wagen. Als ich auf ihn zu ging, sah er mich kaum an und mit einem knappen „Einsteigen!" begrüsste er mich. Ich wollte dem gerade nachgehen, als ich Aiden rufen hörte:„Natalia? Kommst du nicht mit uns?"
Er bemühte sich sehr, es harmlos und wie eine normal Frage unter 'Nachbarn' klingen zu lassen.
„Nein, danke Jungs. Aber Ethan hat gesagt, er würde mich später nach Hause bringen", sagte ich lächlend und stieg in den Wagen. Dafür würde ich noch so einiges zu hören bekommen.

„Wie hast du diese Bucht eigentlich gefunden?", fragte ich Ethan, nachdem wir uns nebeneinander im Sand niederliessen.
„Es war keine besonders schöne Ursache", meinte er. Ich wartete, ob er noch etwas hinzufügen wollte, doch da kam nichts mehr. Also beschloss ich dieses Thema abzuschieben und ein neues zu beginnen.
„Wie geht es deiner Schwester, Rylie?"
Ethan sah mich kurz nachdenklich an, bevor er wieder aufs Mehr blickte. „Du erinnerst dich an sie?... Gut. Ihr geht es gut. Den Umständen entsprechend."
Hm. Das war wohl auch ein heikles Thema. Gerade, als ich ihn wieder etwas fragen wollte, unterbrach er mich barsch:„Würdest du mit deiner Fragerei aufhören?! Meine Familie geht dich nun wirklich nichts an!"
Davon liess ich mich für etwa drei Sekunden aus der Fassung bringen, bis ich ihn doch fragte:„Was ist deine Lieblingsfarbe?"
Ethan schaute mich an, als wäre ich eine Ausserirdische vom Andromedanebel.
„Ist das jetzt dein Ernst?", fragte er auf eine komische Weise amüsiert. Ich nickte.
„Rot", antwortete er nach eine Weile leise.
Verwundert sah ich ihn an. „Weil sie die Farbe der Liebe ist?"
„Nein. Für mich nicht. Unser Blut ist auch rot. Und solange das Blut in uns fliesst, leben wir."
Diese Antwort gab mir zu denken. „Also bedeutet die Farbe für dich 'leben', 'überleben' und möglicherweise auch 'Stärke'?"
Ethan nickte und ich war ziemlich beeindruckt, dass er sich darüber solche Gedanken machte. Das war schon wieder eine neue Seite an ihm, die ich niemals erwartet hätte.
„Was ist deine Lieblingsfarbe?", fragte Ethan nun mich und ich war froh, dass nicht nur ich diejenige war, die die Fragen stellte.
„Ozeangrün", sagte ich lächelnd.
„Das ist auch eine schöne Farbe. Warum?"
„Ich habe aber keine solche tiefgründige Antwort parat", schmunzelte ich und beobachte, wie auch Ethan lächeln musste. „Schon in Ordung."
„Ich liebe den Ozean", begann ich zu erklären,„und alle seine Seiten. Er kann ruhig und sanft sein, aber auch aufgebracht und wild. Ich finde die meisten Gefühle, die ich in meinem Leben bisher gefühlt habe, in ihm. Deshalb mag ich wohl die Farbe so."
„Das war aber auch eine ziemlich tiefgründige Antwort", bemerkte der Badboy der Schlue neben mir.
Ohne auf seine Bemerkung zu achten fuhr ich fort:„Ausserdem hatten meine Augen einmal seine Farbe."

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Hoffe es gefällt euch ;)

Alive - Wie er mir half zu lebenWhere stories live. Discover now