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Als ich sie sehe, wie sie eine Waffe auf mich richtet, würde ich am liebsten gleich der nächsten Zarten in ihre Visage schlagen. Aber im Gegensatz zu Nala bei Nika dieses Mal mit voller Wucht. Wäre ja nicht das erste Mal. Stattdessen beobachte ich sieh  genau und gehe alle meine Möglichkeiten durch, um dieses Spiel zu gewinnen. Viel fällt mir leider nicht ein. Sie steht zu weit weg, als dass ich sie überwältigen könnte, bevor sie mich betäubt.
„Ich bin nicht überrascht, dass ihr noch lebt", sagt sie dann. „Ich hatte so ein Gefühl, dass wir uns wiedersehen werden."
„Du hast Gefühle? Das ist mir neu", erwidere ich mit einem sarkastischen Lächeln. Sie lacht kurz auf. Natürlich nicht ernst gemeint. Ich würde ihr nur allzu gern ihr Fakelächeln aus ihrem Gesicht schlagen.
„Tja, tut mir leid, euch das sagen zu müssen, aber eure Mühe war vergebens. Hier ist eure kleine Tour zu Ende."
„Du lügst. Es tut dir kein Stück leid."
„Du hast Recht. Ich dachte einfach, es wäre dann leichter für euch zu akzeptieren, dass ihr versagt habt."
Versagt. Da ist es wieder. Diese schmerzhafte Wahrheit. Ich habe versagt. Ich konnte Lukas nicht retten und jetzt sterben wir wahrscheinlich auch noch. Ich hoffe, dass wenigstens Tami und Aurora sich retten können. Ich muss Zeit gewinnen. Wenn die 10 Minuten vorbei sind, verschwinden sie und sind in Sicherheit. Ich hoffe nur, dass vorher keine Starken auftauchen. Ich spiele einfach mal auf Gutglück.
„Du bringst uns zurück ins Schlachthaus?"
„Ganz recht, Adam."
„Was ist, wenn wir wieder ausbrechen?", reize ich sie.
„Dazu wird es nicht kommen. Vertrau mir, dafür werde ich persönlich sorgen."
„Du hast Recht, Nika. Dazu wird es nicht kommen. Und zwar weil wir nicht wieder zurück ins Schlachthaus gehen. Wäre doch schade, wenn unsere ganze Mühe umsonst gewesen wäre."
Nika will schon antworten, als sie von Nala unterbrochen wird.
„Nika, was tust du da?", fragt sie entsetzt.
Einen Moment lang habe ich die Hoffnung, dass sie sich zu ihr umdreht und ich Nika endlich überwältigen kann, doch sie behält mich weiterhin im Auge. Sie ist halt wirklich nicht dumm. Leider. 
„Sie sind aus dem Schlachthaus ausgebrochen, um einen deiner Menschen hier rauszuholen und zu flüchten. Aber keine Sorge, Nala. Ich bringe sie wieder zurück. Hol du ein paar Starke."
„Nein", antwortet Nala ruhig.
„Wie bitte?", fragt Nika entsetzt und dreht sich nun doch noch um.
Na endlich!
Wie eine Raubkatze springe ich sie an, reiße ihr die Waffe aus der Hand und schmettere sie mit aller Kraft gegen die Wand. Mit meinem ganzen Körper presse ich sie dagegen und halte mit meiner linken Hand ihre fest, damit sie sich nicht wehren kann. Toni, Linda und Nala sehen einfach nur geschockt zu. In meiner Rechten halte ich noch immer die Waffe, aber ich glaube nicht, dass ich sie brauchen werde. Sie betäubt nur. Doch ich will nicht, dass Nika nur betäubt wird. Ich will diese Schlampe ein für alle Mal tot sehen. Ich lasse die Waffe fallen und lege meine beiden Hände um Nikas Hals.
„Nala, habt ihr Besetzer eigentlich auch eine Luftröhre?", frage ich sie, während ich Nika schon den Hals zudrücke. Die Frage erübrigt sich, als ich merke wie Nika nach Luft schnappt. Sie zerkratzt mir die Arme und kneift, tritt, versucht alles, damit ich sie loslasse.
„Adam, hör auf", fleht Linda.
„Nenne mir einen guten Grund, warum ich das sollte."
„Weil du dann nicht besser wärst als sie."
Da hat sie nicht ganz unrecht. Aber das reicht mir nicht als Grund.
„Ich sagte ‚einen guten'" und drücke Nika weiter die Luftröhre zu.
„Adam", sie lässt Toni los und kommt vorsichtig ein Stück auf mich zu gestolpert, doch ich lasse sie gar nicht weiterreden.
„Linda, denk doch an all deine Kinder, die dir genommen wurden und dann sag mir nochmal, dass ich sie loslassen soll." Ich sehe sie dabei an. Linda sieht zu Nala, dann zu Nika und dann wieder zu mir. „Lass sie los", presst sie hervor. Sie meint es wirklich ernst. Ich tue ihr den Gefallen und lasse Nika los. Sie sinkt zu Boden und schnappt nach Luft.
Ich hebe die Waffe vom Boden auf und betäube die Schlampe mit einem Schuss. Nur um sicher zu gehen. Dann richte ich die Waffe auf Nala. „Soll ich dich auch betäuben? Für die Kameras?", frage ich sie.
„Nein, dass du mich damit bedrohst, reicht schon."
Ich spare mir ein erneutes ‚Lebwohl'. Toni stützt Linda wieder und wir verlassen endlich die Krankenstation.
„Wo sind sie? Wo ist Lukas?", fragt Linda unruhig, als wir in die warme Sommernacht treten. Ich sehe auf meine Uhr.
„Wir haben länger gebraucht, als beabsichtigt. Sie müssen schon weitergegangen sein."
„Wo sind sie hin? Warten sie hier nicht auf uns? Ich will zu Lukas." In Lindas Stimme ist Angst zu hören. Vielleicht ist es besser so, dass wir sie noch ein bisschen anlügen. Wenigstens bis wir aus der Stadt raus sind. Es ist nur zu ihrem Besten, rede ich mir ein. Aber früher oder später wird sie die Wahrheit erfahren.
„Ich habe ihnen gesagt, dass sie vorausgehen sollen, wenn es bei uns zu lange dauert. Sie haben eine Karte und wir haben einen Treffpunkt ausgemacht."
„Sie sind schon vorgegangen? Einfach so?", fragt sie verwirrt nach.
„Ja, und wir sollten uns jetzt ebenfalls beeilen, bevor hier ein paar Starke antanzen. Toni, du weißt wo lang?"
„Ja, zwei Straßen weiter ist ein Eingang zu einer alten unterirdischen Bahnstation. Eine sogenannten U-Bahn. Sie führt uns bis in die ehemaligen Vororte der Stadt. Diese liegen außerhalb der Mauer. Und von da aus ist es nicht mehr weit, bis zu der alten Burgruine."
„Na dann los", sage ich und helfe Toni Linda zu stützen, damit wir schneller hier raus und endlich wieder in Freiheit sind.
Wir verschwinden in der Dunkelheit der kleinen Parkanlage.
Und das gerade noch rechtzeitig.
Als wir an der Mauer ankommen, sehen wir schon die Lichter ihrer Taschenlampen auf der Suche nach uns.

Rehaugen (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt