Kapitel 60 ~ Von Donnerschlag und einem Rat mit Haken

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FILOU
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Einen Schauer jagte es mir über den Rücken. Schwere Donner grollten und gleißende Blitze durchzuckten das traurige Grau des Himmels, schossen herab zu Boden und bohrten sich mit Kraft und Feuer in so manchen alten Baum. In regelmäßigen Abständen kamen Windböen auf und ließen den Regen heftig gegen die bunten Glasfenster prasseln.

Selbst die dicken Gemäuer des Gotteshauses vermochten es nicht die frische Kälte aus den Räumlichkeiten zu vertreiben. Von dem Nässegefühl, welches an meinen von Gicht geplagten Knochen nagte, ganz zu schweigen.

Eine Handvoll brennender Kerzen erhellten notdürftig die dunkle Kammer. Soweit ich verstanden hatte, nannten die Osdh-Orgonier diese Sakristei und diente den Mönchen und Pfarrherren zur Messvorbereitung.

Die ganze Kompanie der Graumäntel, welche die Häscher Mahrans zurückgeschlagen hatten, rastete zwischen Säulen - geschützt vom Spitzbogengewölbe - auf dem heiligen Kirchenboden und wurde von den Dorfbewohnern versorgt. Ein hagerer Pfarrer kümmerte sich um die Verwundeten.

Vor mir saß ein Glaubensführer des Ordens an einem schlichten Tisch. Als Quoren Yianor hatte sich dieser mir vorgestellt und faltete nun gewissenhaft seine Hände, bevor er zum Sprechen ansetzte.

"Ihr seid Filou Temergon, richtig?"

Berlon, mein Name war Filou Berlon.
Doch ich nickte nur knapp und ließ den Kompanieführer in dem Glauben. Ein berechnendes Grinsen huschte um dessen Mundwinkel.

Ich blickte angespannt in die faltigen Augenhöhlen meines Gegenübers, aus denen mich - so schien es mir - zwei runde Jadesteine musterten. Ein rötlicher Vollbart, welcher an den Ansätzen in bronzefarbenes kurz geschorenes Haar überging, umrahmte das militärisch anmutende Gesicht.

"Gut dem. Ihr akzeptiert Euer Erbe, wenn ich das jetzt richtig deute."
Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er sogleich fort.
"Was wisst Ihr über die Jagdgründe Eures Vaters und über die Provinz Iliaron? Seid Ihr mit der Kultur hierzulande vertraut, Herr Temergon, und habt Ihr Euch überhaupt Kenntnisse über die Hierarchie des Kaisertums angeeignet?"

"Versteht mich nicht falsch, Glaubensführer, bis vor wenigen Tagen noch, wusste ich nichts von dem Erbe. Demnach hätte ich mich auch nicht erkundigen können wie das Leben bei euch ist."

"...Bei uns ist. Ihr seid ebenso Orgone wie ich es bin.", verbesserte er mich.

"...Ihr seid ebenso Osdh-Orgone wie ich es bin.", stachelte ich zurück.

Der Mann hatte es mit seiner Art nicht anders verdient, befand ich. Dieser runzelte hingegen nur die Stirn und tadelte mich seines Blickes.

"Seht Ihr, das ist der gravierende Unterschied zwischen Osdh-Orgonien - wie ihr es nennt - und der restlichen Welt. In euren Augen mag das Großorgonische Reich damals zerfallen in Ost und West sein. Hingegen weiß jeder stolze Orgonier, dass das Reich bis heute weiterhin fortbestanden hat, auch wenn großflächig Ländereien im Westen und Norden verloren gegangen sind, so wurden dennoch siegreiche Eroberungsfeldzüge gen Süden geschlagen. Orgonien ist stark wie der Glaube an den grauen Mönch! Merkt Euch meine Worte, sie werden Euch von Hilfe sein."

"Dann ... danke ich Euch für diesen Rat.", meinte ich sachlich.

"Ach, dies war mehr eine gut gemeinte Belehrung. Den tatsächlichen Rat für Eure Zeit als Kriegsfürst gebe ich Euch jetzt. Bedenkt, dass ihr keinem Glauben angehört; anders als Eure zukünftigen Untertanen. Es wäre ein bedeutendes Exempel Eurer Autorität ihnen gegenüber, wenn Ihr Euch zum einzig wahren Glauben bekennt. Zudem würde es Euch sehr zum Vorteil gereichen, wenn Ihr nach Udan reitet, wo Eure Sommerresidenz liegt und zudem Sitz des Ordens und des Höchsten Glaubensführers ist."

Wächter der Nacht - Die GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt