Kapitel 40 ~ Von Abendrot und einem Kuss

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FARN
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Nai und ich verbrachten den ganzen Tag miteinander. Wir erzählten uns Geschichten über unsere Heimat, witzelten über die strengen Gesichter der Soldaten und schlenderten über den kleinen Markt im Zentrum der Stadt.

Es war eine schöne Zeit, ich genoss Nailėns glockenhelles Lachen und ihre schelmisch blitzenden Augen, wenn sie Unsinn vorhatte; außerdem bewuderte ich von Mal zu Mal ihre schlanken Fingern, welche ordentlich manikürt waren.
Als einmal versehentlich ihr Kleid verrutschte und ich so einen Blick auf den Oberarm erhaschte, erkannte ich eine lange und breite Narbe, welche sich bis zum Ellbogen zog.
Ich fragte neugierig, woher diese stammte, da die Narbe ihren Arm ziemlich verunstaltete.
Die Fürstentochter antwortete gerade heraus, dass sie vor zwei Jahren von einem Eber der wilden Sauen angefallen wurde. Wie es genau dazu kam verschwieg sie mir, trotzdem wunderte es mich zutiefst, dass die Tochter eines Fürsten auf Wildschweinjagd mitritt.

Von Zeit zu Zeit versank die wärmende Sonne hinter den Gipfeln des Darmathur-Gebirges und färbte den Horizont mit einer kräftigen oragenen Farbe.

"Farn, warst du überhaupt schon an den Zinnen des Burgfrieds?", fragte Nai.
Ich schüttelte verneinend den Kopf.
"Dann komm! Die Aussicht von dort oben ist wunderschön."
Schwärmend drag ihre honigsüße Stimme an mein Ohr und ließ mein Herz schneller schlagen. Wie ein Sturm tobten die Gefühle in mir und ich genoss den Hauch ihres Duftes als sich ihre Lippen meiner Haut näherten.
"Du wirst es nicht bereuen.", flüsterte sie und nahm meine Hand in die ihre.

Es würde mich nun sehr interessieren, Meister, ob Ihr wegen dieser angeblich so atemberaubender Sicht über das Land mitgeht oder ist es die Schönheit der Fürstentochter?, kicherte Remin.

Du irrst dich mein kleiner Freund, es ist ihr Charakter, ihr Charme., verteidigte ich mich.

Wäre dem so, dann solltet Ihr derjenige sein, welcher sie hinaufführen sollte.

Warum musst du immer das letzte Wort haben? Außerdem untergräbst du andauernd meine Argumente., meinte ich und bedachte ihn mit einem ernsten Blick.

Dann sind Eure Argumente wohl nicht gut genug, Meister.

Jetzt schon wieder! Du veräppelst mich doch.

Ihr habt ein vollkommen falsches Bild von mir, das würde ich doch nie wagen., sprach er gespielt unterwürfig und verkroch sich tiefer in der Tasche.

So sehr ich auch Remins stille und stets bedachte Art mochte, um so weniger konnte ich mich mit der Schlagkraft seiner Worte messen.

Stufen über Stufen führte uns die gewendelte Treppe höher und höher. Die kleinen Fenster - oder vielmehr waren es Schießscharten - boten nur sehr spärlich eine Lichtquelle und so schritten wir im Halbdunkeln den abgetretenen Aufgang hinauf.

Oben angekommen empfing uns eine frische Brise klarster Luft.
"Na, hab ich zu viel versprochen?", lächelte Nailėn.
Ich konnte ihr nur zustimmen.
"Es ist wahrhaftig unglaublich!"

Ein Meer aus dunklem Grün der Tannen und Lärchenwälder wogte sich im Wind, und das Plätschern eines Flusses fand - zusammen mit dem allabendlichem Gelärm des städtischen Geschäftslebens - seinen Weg herauf und füllte unsere Ohren mit beinahe musikalischen Klängen.
Von hoch oben in den Lüften klang der Schrei eines Habichts herunter, der seine Beute gesichtet hatte, und auf einer Schafweide blökten die Jungtiere und weckten wohl den Hirten auf, welcher sicher an einem sonnigen Plätzchen eingenickt war.

Eine kräftige Böe fegte über uns hinweg und spielte mit den langen gelockten Haaren Nais, welche golden im Sonnenuntergang leuchteten. Ihre himmelblauen Augen waren erfüllt von Glück und Freude, außerdem glaubte ich in ihnen einen Funken des ungebändigten Stolzes zu erkennen, ihre wilde und leidenschaftliche Charakterseite.

Lange genossen wir diesen Ausblick, dieses Gefühl der Freiheit und der Unbelastbarkeit, ohne ein Wort zu sagen.

"Ich bin so froh, dass du mitgekommen bist, Farn."
Mir wurde ganz warm ums Herz bei ihren Worten.
"Ja, ich bin ebenfalls froh darüber und..."

Oh, du Gütiger. Werdet jetzt auf keinen Fall sentimental, Meister!, grummelte jemand in meinem Mantel skeptisch.

"...Und ich möchte dir für diese schöne Zeit danken, welche wir zusammen verbracht hatten, auch wenn sie viel zu kurz für meinen Geschmack war.", gestand ich ihr und sprach sogleich weiter: "Nailėn, ich..."
Sie wandte sich zu mir um und kam einen Schritt näher. Ich spürte intensiv ihre Aura, welche ihr Wesen umgab, als diese an meine auftraf und es tobte augenblicklich ein Knistern um meine Fingerkuppen, als sich unsere Handflächen berührten.
So sanft war ihre Berührung und so weich ihre Haut.
Ich schluckte tief, wagte den Satz nicht auszusprechen. Tausende Funken aus Gefühlen und Instinketen schwärmten durch meinen Körper, ich vernahm nur noch meinen Puls laut pochen.
Ich beobachtete wie Nai ihren Mund öffnete und ihre Lippen einen Satz formten, meinen Satz zu Ende sprachen.
"...ich liebe dich, Farnilon.", flüsterte sie und drückte mit einem unwiederstehlichem Lächeln ihre glänzenden Lippen auf meine. Mit einem träumerischen Blick hefteten meine Augen an ihr und ich erwiederte begierig dieses Verlangen. Eine Hitzewallung durchströmte meinen Körper und ich genoss jede Sekunde dieses Kusses.

Ihr beiden seid eben so gefüllt mit inniger Liebe füreinander, dass mir gleich das Kotzen kommt.

Ist da jemand eifersüchtig?, reizte ich den Mäuserich.

Pah! Träumt weiter, Meister., murrte Remin.

Doch ich hört ihn schon nicht mehr, ich war bei Nai. Nur das zählte in diesem Moment.

Bevor es dunkel wurde, stahlen wir sich wieder hinunter und verabschiedeten uns voneinander.
Seltsamerweise hatte ich das Gefühl, als ob sie etwas bedrückte, doch ich verwarf den Gedanken gleich darauf wieder.
Warum sollte Nailėn eine so plötzliche Stimmungsschwankung haben?

Ich Schritt eilig durch den Flur, welcher zum Nebeneingang führte, als sich wie aus dem Nichts eine Gestalt vom Schatten der Mauer löste und mir den Weg verbaute.

"Farnilon, ich weiß nicht ob oder was zwischen dir und meiner Schwester läuft, ich gebe dir aber zu verstehen, dass du dir keine Hoffnungen machen brauchst. Nai wird verheiratet.", sprach der Mann, welchen ich aufgrund der Stimme als Ilandil identifizierte.
Dann gab er den Weg frei und marschierte an mir vorbei.

Ersteinmal schluckte ich diese Enttäuschung hinunter und schnappte erbost nach Luft. Ich hatte das grässliche Gefühl, als ob ein Mühlrad um meinen Hals geknotet wäre, welches mich hinab in den Abgrund ziehen wollte.

Waren diese Worte wahr?
Warum hat sie mir nichts davon gesagt?
Sie war doch glücklich, oder nicht?
...aber auch bedrückt, wie ich feststellte, als ich mich an den Moment der Verabschiedung zurückerinnerte.
War diese Bedrücktheit, die ich auf ihrem Gesicht zu erkennen glaubte, ein Schuldgefühl?

Diesmal war ich wirklich froh, dass Remin kein Kommentar dazu abgab, das hätte mir gestohlen bleiben können.

Ich schleppte mich missgelaunt zu meiner Unterkunft im Gästehaus und sehnte mich einfach nach Schlaf. Vielleicht war das alles nur ein böser Traum, doch wusste ich, dass ich mich nur selbst belog. Der Frust über diese Offenbarung ließ mich noch lange kein Auge zudrücken...

Wächter der Nacht - Die GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt