Kapitel 44 ~ Von An'Arch dem Weisen und ungeklärten Fragen

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FARN
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Die Sonne stand hoch, als der vorderste Wächter in sanften Trapp verfiel. Er hob leicht die Hand und bedeutete uns ebenfalls zu halten.

Wir waren seit Aarnsmundh abseits der Straße geritten. Die Landschaft war zumeist dicht bewaldet und hügelig, nur in den flachen Gebieten eines Flusses war das Ackerland bewirtschaftet oder hohe Gräser und Latschen erstreckten sich über die zumeist karge Gegend. Die Städte wurden nun weniger, dafür stießen wir immer öfter auf gut befestigte Dörfer und eindrucksvolle Herrensitze der Fürsten.

Wir hatten am höchsten Punkt einer Hügelkette gehalten, welche es zu überqueren galt.
Ein Talkessel erstreckte sich uns entgegen, in welchem ein einzelner Berg aufragte. Seine Hänge waren in ein dunkles Grün getaucht, nur der Gipfel leuchtete in einem reinen Weiß und wiederspiegelte die Strahlen der Sonne.

"Willkommen im Reich des Ther'Arch!", rief Garren und zu meiner Überraschung floss eine Freudenträne seine Wange hinab.

Ther'Arch, Der Sitz des Adlers.
Unzählige Geschichten und Legenden rankten sich um diese Spitze aus Granit. Mythen besagten, dass dieser Berg die Heimat des Weisen Adlers sei, welcher als Bote der Götter verehrt wurde.

"Lasst uns absitzen und ausruhen, denn dieser Ort lädt zum verweilen und beten ein.", meinte Ilandil und schwang sich vom Pferd.

Garren und ich taten es ihm gleich. Ich war nicht besonders gläubig, so wie die meisten Menschen in Thule, und doch fühlte ich die Macht, welche dieser Ort ausstrahlte; diese besondere hier herrschende Energie.

Die Pferde grasten - dankbar über die Pause - die kargen Halme der Gräser ab und so gesellte ich mich etwas abwärts des Hügels.
Ich hatte mir einen Findelstein auserkoren - welche es in diesen Gegenden zu Hunderten gab - und setzte mich auf dessen von Moosen gesprenkelte raue Oberfläche

Dieser Ort ist atemberaubend!, flüsterte mein grauer Gefährte.

Du spürst es also auch., stellte ich überrascht fest.

Selbst Tiere schienen die Macht dieses Ortes zu spüren.
Befreit von all den Gefühlen der vergangenen Tage, streckte ich mich aus und ich spürte die Wärme des aufgeheizten Felsen am Rücken. Ich starrte hinauf in den beinahe wolkenlosen Himmel und erblickte hoch oben einen Adler mit dessen majestätischen Schwingen, mit welchen er über unsere Köpfe hinwegsegelte.

Ich grüße dich, Remin von den Graumänteln. Es erfüllt mich mit Freude, dass du endlich gekommen bist. Ruhe dich aus und sammle deine Kräfte für die Weiterreise. Solltest du wieder einmal auf dieser grünen Kuppe wandern, so sei auch jederzeit im Herzen meines Reiches willkommen., ertönte von ganz Nah einen Stimme, und doch war ihr Nachhall so lang, dass sie gleichzeitig von weit aus der Ferne gesprochen hatte.

An'Arch, mein Seelenvetter, ich bedanke mich für deine Gastfreundschaft. Möge dein Land noch lange im Einklang mit den Göttern sein., erwiederte Remin.

Hatte er eben tatsächlich mit dem Adler gesprochen?

Das hat er, Na'Arlan Farnilon, jüngster Sprössling aus der Sippe der Eladhs. Verwehre dich nicht dem Rufe Godh'Almírs, denn er wird dir zur rechten Zeit beistehen.

Schon wieder diese geruhsame aber dennoch kraftvolle Stimme, die Stimme des sprechenden Adlers.
Regungslos starrte ich ihn an, während er tiefer sank und seine Flugkreise verengte.

Wer... Woher wisst Ihr von mir?
Und wie könnt Ihr zu mir sprechen?, fragte ich hinauf in das klare Blau.

Sogleich antwortete die uralte Stimme: Glaub mir, mein Wissen ist so groß wie die Länder dieser Welt und fast ebenso alt. Ich kommuniziere so wie du es mit Remin machst, ...und so wie du es mit dem Wolf auf der Straße nach Ealdh getan hast, Na'Arlan.

Warum nennt Ihr mich Na'Arlan, Hüter der Seelen? Was soll das bedeuten?, fragte ich verunsichert.

Ich sehe, dein Wissen ist noch jung. Vielleicht sollte ich  Ihm  vorher besser eine Nachricht senden.

Ich verstehe nicht, Herr Adler, wen meint Ihr?, rief ich aufgebracht.
Der Herr der Lüfte sprach doch in lauter undeutbaren Rätseln.

Hab Geduld, junger Na'Arlan. Meine Zeit über das Wissen ist begrenzt. Godh'Almír wird dich in den Träumen aufsuchen und dich zu gegebener Zeit aufklären. Vertrau auf deine Gabe, Na'Arlan Farnilon.

Meine er solche Träume, wie ich ihn schon einmal erlebt hatte. Mein Weg auf dem Schlachtfeld eines Krieges?

Habt Ihr nicht einen Rat für mich oder einen Anhaltspunkt? Eure Wörter bringen mir nichts als Unklarheit und werfen nur neue Fragen auf., flehte ich den Na'Arkh an.

Wenn du dir eine Antwort erhoffst, dann erinnere dich stets an diesen Satz: Des Menschen Seele gleicht einer Brücke; Sie ist die Verbindung zwischen den Ufern der Realität und der Sehnsucht.

Dann erfasste ihn eine Luftströmung und er ließ sich von ihr davontragen, zurück zum Ther'Arch. Erstaunt blickte ich ihm nach, bis er zu einem kleinen dunklen Punkt am Berggipfel verschmolz.

Remin, würdest du mir verraten woher ihr euch kennt?, grummelte ich.

Wir sind Seelenvettern, wir kennen uns von hier. Ich habe seine Aura gespürt und einfach sofort gewusst wer er war., erklärte er mir.

Ich schüttelte hilflos den Kopf und verstand die Welt nicht mehr. Mittlerweile verdammte ich unseren Aufenthalt hier. Anstatt dass ich mich ein wenig erholen konnte, redete ein Adler mit mir und verwirrte mich mit seinem Wissen von dem ich nicht den Hauch einer Ahnung hatte. Es war zum aus der Haut fahren!
Ich hielt es an diesem Ort nicht mehr länger aus und marschierte deshalb sichtlich unglücklich mit dem Widerfahrenem zu den zwei Wächter zurück.

"Habt ihr diesen Adler vorhin gesehen?"

Der Fürstensohn musterte mich misstrauisch.
"Geht es dir nicht gut, Farn? Du siehst seltsam verwirrt aus und dein Gesicht ist ganz bleich."

"Den Adler, habt ihr ihn gesehen?", wiederholte ich mit Nachdruck.

"Ja natürlich, warum fragst du? Hier in der Nähe des Ther'Arch ist - wie schon der Name sagt - ein Brutplatz besonders vieler Weißkopfadler."

Ich starrte Ilandil mit weit aufgerissenen Augen an. Dann war es also doch keine Einbildung, wie ich kurz gehofft hatte.

"Farnilon, was ist los? Was ist passiert?", schaltete sich nun auch der ältere Wächter ein.

Ich atmete tief ein und faste Mut zum Sprechen: "Dieser Adler hat mich angesprochen und hat behauptet er sei An'Arch der Weise..."
Die Stimme versagte mir, als ich selbst hörte wie verrückt meine Worte in den Ohren der Wächter klingen mussten.

Garren und Ilandil blickten sich schweigend an, bevor sie entschlossen nickten.

"Dann sollten wir möglichst keine Zeit mehr verlieren. Morgen bei Tagesanbruch müssen wir Mastar Aorin in Tharn antreffen. Wir werden ohne Unterbrechung die Nacht hindurch reiten.", befahl der Grauhaarige und kehrte zu den Pferden zurück. Niemand erwiederte mehr etwas und respektierte kurzerhand seine Entscheidung.

Gleich darauf saßen wir abermals im Sattel und ritten von Dannen. Und ich hoffte, dass mir bald jemand erklärte was hier - oder was vielmehr in mir - vorging...

Wächter der Nacht - Die GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt