Kapitel 3

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"Raus!", stotterte ich entgeistert.
Wieder diese Angst, er würde mir etwas antun, doch er sah erstmal nur wütend zu mir.
"Wo ist sie?"
"Wie- Moment Mal?"
Hab ich mich versehen oder ist das tatsächlich ihr Ex, der vor mir steht?
"Du bist doch ihr Ex? Was denkst du wer du bist, dass du einfach so überhaupt reinplatzen kannst?", wurde ich wütend.
"Halt die Fresse", schubste er mich an die Wand und hielt beide Hände neben mich.
Plötzlich ging er mit seiner Hand zu meinem Hintern und strich darüber.
"L-lass es", zitterte ich leicht und atmete schwach.
"Ey was soll das?", hörte ich eine dritte Stimme und schubste Selmas Ex mit voller Wucht nach hinten.
Ohne überhaupt nachzudenken stellte ich mich hinter seinem Rücken und steuerte meine Tränen gerade noch.
Genau so schrecklich hatte ich mich gefühlt, als ich von zwei Männern festgehalten wurde und sie ihre Spritzen in mir steckten.
"Warte. Setz dich hier hin. Ich schmeiß den jetzt erstmal raus."
Kurz brüllte Tarik und schubste ihn nach draußen. Seine Art wie aggressiv er aussah, sah abgöttisch heiß aus.
"Los hol deine wichtigsten Sachen. Du kommst mit", sprach er befehlerisch.
"Ich bleibe hier", sprach ich sicher.
"Diskutier nicht. Ich bin todesmüde", seufzte er.
"Warum bist du überhaupt hier?", fragte ich höhnisch.
"Du hast deine Tasche im Auto vergessen. Dann dachte ich mir lass mal der Kleinen einen Besuch abstatten und sie erschrecken, aber wie du siehst ist mein Plan krass in die Hose gegangen. Wegen diesem Bastard."
"Ich will nicht", motzte ich.
"Dann bleib ich."
"Du willst einfach so bei einer Fremden schlafen?", fragte ich verwirrt.
"Bei Schlampen tu ich es doch auch. Ist das gleiche", grinste er.
Gespielt lächelte ich und schubste ihn leicht vor die Tür.
"Ich hoffe du verreckst an Schuldgefühlen, wenn mir was passiert."
Laut ließ ich die Tür knallen und könnte vor Wut schreien. Für was hielt er sich eigentlich? Ist ja süß, dass er so einen enormen Beschützerinstinkt hat, aber mich mit Schlampen zu vergleichen war absurd. Ich hasste ihn jetzt schon. Er sagt einem die Meinung ins Gesicht und achtet weder auf Gefühle noch der Reaktion eines Menschen. Ein krass eingebildetes Arschloch.
Ehrlich gesagt hatte ich große Angst, also schloss ich die Tür ab und ließ alle Jalousinen herunterfahren. Den Fernsehen machte ich mir ebenfalls an, um mich nicht allein zu fühlen.
Wieso war nicht Abed, sondern er gekommen? Plötzlich fiel mir ein, dass Tarik zehn Minuten weg war, sogar länger. In dieser Zeit hatte er Abed wohl nach Hause gebracht und erst dann fiel ihm meine Tasche auf. Naja was solls, ich scheuchte ihn aus meinem Kopf und machte es mir mit meinem Tee auf dem Sofa bequem. Und das um 1:23 Uhr.
Am nächsten Morgen stand ich spät auf und besuchte Selma erst um 16. Hauptthemen waren die Jungs.
"Selma Harun hat dich die ganze Zeit angeschaut", fiel mir auf.
Er ist ein ruhiger Mensch, doch er hatte sie beobachtet.
"Ich kann mich kaum an deren Gesichter erinnern", lachte sie.
"Ach und dein Ex, ich habe seinen Namen vergessen, war gestern betrunken vor meiner Haustür."
"Hat er dir was getan? Warte, wieso war er überhaupt da?", fragte sie hoffnungsvoll und fing an zu strahlen.
"Er hat nach dir gefragt", lächelte ich leicht.
"Wie ist es ausgegangen?"
"Du weißt ja was Betrunkene so unbewusst tun. Tarik hat ihn rausgescheucht."
"Uhh", zwinkerte sie dreckig.
"Er wollte, dass ich bei ihm schlafe."
"Erzähl weiter!", forderte sie mich auf.
"Ich hab verneint. Dann meinte er okay, dann bleibe ich eben. Ich fragte ihn, du willst tatsächlich bei einer Fremden schlafen? Seine Antwort darauf, ja ist wie bei Schlampen zu schlafen. Daraufhin hab ich ihn aus meiner Wohnung gescheucht. Was auch immer er sich dabei gedacht hat ich war danach außer mir."
"Ganz ehrlich. Wir werden die sowieso nicht mehr sehen, warum dann unsere Gedanken an solche Kreaturen verschwenden?"
"Du hast Recht", seufzte ich und griff nach meinem iPhone.
Zwei verpasste Anrufe von Cem.
Meine Hautfarbe wurde blass und rasch spürte ich, wie mein Körper schwach wurde.
"Cem hat mich angerufen", stotterte ich leicht und könnte losweinen.
"Du solltest dich mit ihm treffen. Du kannst nicht dauernd weglaufen Canim", gab sie mir den Tipp, den ich höflich ablehnte.
"Er ruft dich schon öfters an, nicht, dass er dir etwas wichtiges zu sagen hat", wurde sie ein wenig unruhig.
"Soll ich ihn zurückrufen?", schluckte ich zittrig.
"Ja, aber werd nicht weich."
[...]
Stolz takelte ich mit meinen hohen Schuhen in die Innenstadt. Mein langer Cardigan Coat in grau ließ mich eleganter aussehen, kombiniert mit einer weißen engen Hose. Meine Haare waren zu einem hohen Zopf gebunden. Ich sah tip top aus.
Es war der Zeitpunkt gekommen, andem ich mich mit meinem großen Bruder Cem treffen würde. Er wolle mir etwas sagen, so lautete es in seiner letzten Nachricht. Einen Anruf hatte ich gemieden also antwortete ich ihm per Massage. Es war ein komisches Gefühl ihn nach Jahren wieder zu sehen. Es hatte sich vieles zwischen mir und meiner Familie verändert.
Vom Weiten erkannte ich den Muskelprotz, der nicht allzu begeistert und motiviert schien, doch diese kalte Brise war ein Muss zwischen uns.
Vor ihm blieb ich stehen und atmete ruhig aus.
"Hey", gab er kurz von sich und analysierte mich, wie ich ihn.
"Du bist also raus aus dem Knast wie ich sehe."
"Normal, die Strafe war ja nicht lang."
Er musste wegen mehrfacher Körperverletzung hinter Gittern. Zusammen mit anderen Möchtegerngangstern hatte er einen Casino ausgeraubt, doch die Polizei weiß es nicht. Bis heute nicht. Einer seiner Freunde wurde gefasst, doch verraten wurden sie nie.
"Du wolltest mir was sagen?", erinnerte ich ihn desinteressiert und checkte ihn von oben bis unten an.
"Es ist wichtig Hayat."
"Schieß los. Ich muss später los, Zeit hab ich nicht", gab ich gereizt von mir.
"Es ist ein neues Mitglied in der Familie zugekommen."
Meine Kinnlade klappte ungewollt hinunter und mein Magen zog sich zusammen.
"Wovon redest du Cem?", fragte ich entgeistert.
Welches neues Mitglied?
"Von deiner kleinen Schwester Züleyha."
Mein inneres brodelte. Die sonst so selbstbewusst wirkende Hayat wurde so eben von ihrem Bruder innerlich zerstört. Meine Eltern hatten sich jung gehalten, doch dass sie sofort auf Nachwuchs kommen, darauf wäre ich niemals drauf gekommen. Sie hatten ein weiteres Kind geplant? Waren ihnen die zwei Kinder, die ihnen die Welt zerstört haben, die in ihren Augen nur eine Schande sind, nicht genug? Sollte also ein drittes Wesen auf die Welt kommen und das gleiche abziehen?
"Hayat", lenkte mich Cem in die Realität.
Meine Augen füllten sich und meine Beine wurden schwach.
"Wieso?", kam wie aus einem Hauch aus meinem Munde, mit glänzenden, kullernden Augen. Wie ein unschuldiges Kind sah ich hoch zu ihm und schämte mich so eine Schwester zu sein, dabei kannte ich das Mädchen nicht.
Er zuckte mit den Schultern.
"Wie alt ist Züleyha?"
"Ein und halb Jahre alt."
"Möchtest du sie mal sehen?", fragte mich dieser, doch ich schüttelte meinen Kopf.
"Ich will sie und kann sie nicht sehen. Es ist auch besser so", blockte ich ab, schniefte und wusch über meine Augen.
"Sie hat nur einen großen Bruder", beendete ich das Gespräch.
"Und eine große Schwester", ergänzte er ruhig.
"Ich bin in Schock", gab ich zu.
Es war nicht zu realisieren, nicht zu verdauen. Ich habe eine kleine Schwester, von der ich erst jetzt erfahre?
"Wo wohnst du zur Zeit?", fragte er mich prüfend.
"Bei einer Freundin."
"Du weißt, das kann nicht so weiter gehen."
"Du weißt, dass es mich kein Stück juckt? Woher nimmst du dir das Recht mir das zu sagen? Es ist mein Leben, kümmer dich um deins."
"Halt die Fresse Hayat. Du wirst noch zur Nutte, das garantiere ich dir. Das wollte ich dir sagen. Es wird dich nicht interessieren, schon wirst du anfangen deinen Körper zu verkaufen. Denkst du ich kenne Selma nicht? Bevor sie wusste, wer ich bin, hab ich sie durchgenommen."
Mein Herz wurde soeben getroffen.
"Zu uns sollst du erst garnicht angekommen. Du bist Geschichte in unserer Familie, gestorben. Sei froh, dass ich dir überhaupt von deiner kleinen Schwester erzähle, die mit dir aber nichts zu tun haben wird, weil du die Alte bist. Du bist Dreck Hayat genau wie dein Leben."
Mittlerweile sahen uns Leute schief an, doch ich weinte nicht. Nicht jetzt, nicht vor ihm.
"Wenn du nichts zu sagen hast dann lass mich gehen Cem. Tu nicht auf Mustersohn, denn du bist in meinen Augen Abfall. Machst mich fertig, dabei bist du die größte männliche Schlampe."
Mit aller Kraft schubste ich ihn nach hinten und machte mich auf dem Weg zum Krankenhaus. Wieso hat mir Selma nichts erzählt? Es von meinem Bruder zu erfahren war schmerzhaft. Ich habe eine kleine Schwester, die nicht einmal weiß, dass ich existiere. Ich hatte mir schon immer eine kleine Schwester oder einen kleinen Bruder gewünscht, doch jetzt geht alles in die Hose.
Für was hielt er sich, mich fertig zu machen, dabei war er nicht besser. Ich bekam schon öfters mit, wo er sich rumtreibt und welche Geschäfte er am laufen hat. Es war nunmal so, dass ich seine Freunde kannte und mir jegliche Informationen verschaffen könnte, doch nichts mehr über ihn hören will. Für mich ist er ab heute ebenfalls gestorben, genau wie meine Familie. Niewieder mehr würde ich ihren Namen in den Mund nehmen geschweige denn meine Gedanken an ihnen verschwenden.
Im Krankenhaus angekommen sah ich mich kurz in den Spiegel. Mein Makeup saß, doch ich hatte rote Augen. Ohne zu klopfen platzte ich herein und sah mit leicht aufgerissenen Augen zu Harun und auf dem Stuhl in der Ecke Tarik. Was zur Hölle sie auch immer hier zu suchen hatten, ich brauchte Selma jetzt sofort.
"Hayat was ist los?", fragte sie besorgt, als ich meine Tasche auf dem Tisch ablegte und sie zur Begrüßung umarmte. Die Jungs nickte ich nur zu.
"Nichts ich hatte irgendwas im Auge."
Seufzend nahm ich mir den Stuhl und setzte mich an die Wand.
Jede Träne, die sich in meinen Augen sammelte, blinzelte ich weg. Ich war zu stolz, um meine Tränen Preis zu geben. Bei Cem war es eine Ausnahme, doch er wusste seit er denken konnte, dass ich sehr sensibel und empfindlich war. Die Betonung liegt halbwegs auf war.
Tarik war an seinem Handy wie ein langweilender Mensch beschäftigt, während Harun und Selma beide miteinander alberten. Aus ihnen würde was werden, es war offensichtlich.
"Ich geh eine rauchen. Kommst du mit?", ertönte die Stimme neben mir. Zuerst dachte ich, dass Harun gemeint ist, doch vom Blickwinkel sah ich seine Blicke auf mir ruhen.
Zu ihm sehend nickte ich, stand auf und ging vor. Nebenbei las ich mir die Nachrichten auf WhatsApp durch. Freudinnen hatte ich viele, doch treffen taten wir uns selten. Sie waren alle ein schlechter Umgang für mich, genau wie Selma, doch Selma verhielt sich nie schlampig in meiner Gegenwart, sondern wie ein Engel, eine Schwester. Wieso also Abstand halten?
Ein Chaos machte sich in meinem Kopf bereit, schonwieder diese Kopfschmerzen.
Draußen angekommen zündete er sich eine Zigarette an, während ich mich an die Laterne lehnte und hoch zu ihm sah.
Es wurde allmählich dunkel.
"Wieso hast du geheult?", fragte er kühl und desinteressiert wie nie.
"Wie schon gesagt, hatte was im Auge", beantwortete ich ihm die Frage.
"In beiden Augen? Bin ich so dumm und kaufe dir diese Notlüge ab?", lachte er charmant und pustete den Rauch aus.
"Du hast geweint", wurde er wieder ernst und strich über meine Wange, die so eben eine Träne auf sich trug.
Abrupt wusch ich mir über die Wangen und sah zum Boden. Peinlich, peinlich. Dumme Hayat, dumme Augen, dumme Tränen.
"Wieso hast du geweint?", fragte er nun sanfter.
"Hatte Familienprobleme", gab ich knapp von mir und hakte das Thema ab, indem ich ihm sagte, dass es etwas harmloses wäre und er sich zufrieden stellte. Es wurde ruhig zwischen uns, doch mein Kopf dröhnte immer mehr, sodass ich meine Gesichtszüge nicht mehr unter Kontrolle halten konnte und versuchte, die Schmerzen zu ignorieren, was mir nach einem Kampf in mir wieder gelang.
"Du weißt Harun will was von Selma?", sah er fragend zu mir.
"Ist auffällig."
Kurz lächelte er.
"Er ist kindisch. Wir haben gedacht, er wird sich nie für Frauen interessieren."
Kurz lächelte ich.
Zu Selma sagte ich nichts. Die beiden wussten also nicht, dass sie mit Männern schlief.
"Was denkst du wieso ich mitgekommen bin? Er hatte keine Eier allein zu gehen. Der wollte mit leeren Händen zu ihr. Damit er nichts schief macht, bin ich mitgekommen."
Seine Gesichtszüge waren kühl gelegt, doch er sah unverschämt heiß aus. Fertig mit der Tabakdroge steckte er seine Hände in die Taschen und blickte zu mir.
Beim Hineingehen bemerkte ich wieder diesen Größenunterschied zwischen uns, der enorm war.
Nach einer halben Stunde wurde es komplett dunkel, weswegen die Sorge, wie ich nach Hause soll, wieder in meinem Kopf schwirrte.
"Leute ich geh jetzt nach Hause", sah ich kurz in die Runde und umarmte Selma.
"Gute Besserung", küsste ich ihre Wange.
"Wir können dich fahren", schlug Harun vor.
"Ich geh allein, trotzdem Danke", blockte ich ab und griff nach meiner Tasche.
"Es ist dunkel", sprach nun Tarik.
"Ich bin kein kleines Mädchen mehr", waren meine letzten Worte ehe ich zu Fuß zum Bahnhof ging, doch der Weg mir ziemlich lange vorkam. Seufzend suchte ich nach einer Bushaltestelle und wartete auf den nächsten Bus, der laut meiner BusplanApp in zwei Minuten erscheinen würden.
Nach einer Minute Verspätung kam er auch.
Beim Bahnhof stieg ich aus und rannte darein. Schnell kaufte ich mir einen Ticket und musste feststellen, dass kaum Menschen unterwegs waren, na toll.
Zappelig wartete ich auf die Bahn und setzte mich auf eines der Bänke.
Plötzlich erschienen hinter mir eine Gruppe von Junkies, die gezielt auf mich zukamen.
Bitte tut mir nichts. Bitte tut mir nichts. Bitte. Tut. Mir. Nichts.
"Ein Mädchen in diesem Alter allein hier?", sah mich einer fragend an.
Mein Herz wurde schwer wie blei. Sie stanken und sahen kriminell und angsteinflößend aus.
Plötzlich setzte sich einer von ihnen neben mir und strich über meinen Rücken.
Abrupt stand ich auf und drängelte mich an ihnen vorbei. Ohne auch nur ein Wort zu sagen lief ich los und blieb beim Mann stehen, der mir so eben den Ticket verkauft hat.
"Entschuldigen Sie? Mich haben vorhin ein paar Männer belästigt und meine Bahn kommt gleich", sah ich panisch und blass zu ihm.
"Ist alles gut bei Ihnen?", fragte er mich sicherheitshalber, was ich bejahte und seine Kollegen mit mir mitkamen.
Sie scheuchten die Gruppe weg und schon kam meine Bahn.
"Danke", lächelte ich die Kollegen an und stieg in die Bahn.
Innerlich lobte ich mich. Ich hatte mich ruhig verhalten.
[...]
"Ich schreibe Ihnen zunächst Tabletten auf. Sobald wieder diese Beschwerden auftreten, nehmen sie eine Tablette zu sich. Treten ihre Kopfschmerzen häufiger auf, machen wir einen Termin aus."
"Was kommt dann?"
"Durch Therapiemöglichkeiten besteht die Chance, ihre Migräne zu heilen beziehungsweise einzuschränken."
Stumm nickte ich.
Draußen angekommen suchte ich eine Apotheke auf, doch sah, dass ich keinen einzigen Cent in der Tasche hatte. Also ging ich ohne die Tabletten, dabei würde ich wieder diese schrecklichen Kopfschmerzen bekommen, doch darauf würde ich verzichten, denn ich war völlig fix und fertig, um mir Sorgen um Tabletten zu machen. Selma rief mich an, doch ich ignorierte ihren Anruf, da ich sie sowieso Zuhause erwarten würde und mir nicht nach Sprechen war. Diese Migräne war also für meine Kopfschmerzen verantwortlich. Ich könnte kotzen. Angeblich wäre es durch Stress entstanden, was für Stress? Laut seufzte ich und schloss kurz meine Augen, um mich zu beherrschen, da leichte Regentropfen auf mich fielen. Wieder rief Selma an.
"Verdammt", sagte ich leise, als ich die Bahn verpasst hatte und warten musste.
Mir war Weinen zumute. Mein Leben war zugegeben ein Desaster. Lang würde es nicht weiter gehen. Bald würde ich noch in Depressionen geraten, wenn es so weiter geht. Es war eine Prüfung, durch die ich mich zum Ziel kämpfen musste.
Zuhause angekommen, völlig durchnässt, mit einer Siebentageregen-Miene, öffnete ich die Tür des Wohnzimmers und sah Selma, mit ihren zwei Freundinnen, Harun, Tarik und zwei weitere unbekannte Männer. Alle hielten einen Schlauch in der Hand und vergnügten sich.
"Wo warst du? Ich hab dich die ganze Zeit angerufen und was hat der Arzt gesagt?", fing die Fragerei an.
Ausversehen schmiss ich die Schlüssel zu laut auf den Tisch und sah zu Selma.
"Ach nichts, ist nur schlimmer geworden und Tabletten konnte ich mir auch keine leisten, aber sonst ist alles gut. Siehst du es nicht? Ich hab die scheiß Bahn verpasst, musste durch diesen verdammten Regen laufen und bin glücklich, dass ich wenigstens beim Schwarzfahren nicht gepackt wurde", wurde ich immer lauter.
"Was schaut ihr so bescheuert? Ist das hier Kino oder was?", sah ich jeden an, denn für sie war es amüsantes Drama.
"Komm mit", forderte sie mich auf und brachte mich ins andere Zimmer.
"Was hast du?", fragte sie sanft.
"Selma", sagte ich kurz vorm Weinen und schlang meine Arme um sie.
"Ich halte dieses scheiß Leben nicht mehr aus."
"Ich bin so arm, wie soll ich ohne diese Tabletten klarkommen?", schluchzte ich ununterbrochen in ihre Schulter.
"Ich bin so eine Pussy geworden. Wieso weine ich überhaupt?, sagte ich selbst zu mir.
"Du kannst jedem vormachen, wie selbstbewusst und charakterstark du bist, aber ich kenn dich. Keine Frau hält sowas aus Hayat, also sei nicht wütend, weil du einmal in zwei Jahren weinst", musste sie lachen, ich ebenfalls.
Mit meinen Ärmeln wusch ich mir meine Tränen weg und sah zu Tarik, der am Türrahmen stand und sich das komplette Szenario mitangesehen hatte, selbst meine ungewollte Flennerei.

Verliebt in ein VerbrecherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt