Kapitel 1

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Wenn wir uns erinnern, beleben wir ein Stück unserer Vergangenheit. Erinnerungen sind anders als Träume. Sie liegen in der Vergangenheit, während Träume sich in der Zukunft befinden. Dennoch können die Erinnerungen zu Träumen werden und die Träume zu Erinnerungen.

„Sie ist wach", hörte ich eine leise und erschöpfte Stimme. Sie kam mir bekannt vor, doch ich konnte sie nicht einordnen. Mein Kopf schmerzte und ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, geschweige denn etwas tun. Wieder hörte ich diese Stimme, nun etwas lauter. „Emily alles wird wieder gut."

~„Alles wird wieder gut Beth. Du wirst schon sehen. Ich bleibe bei dir. Ich bleibe bei dir..." ~

Wieder zog ein stechen durch meinem Kopf. Was war nur los mit mir? Meine Augenlider waren so schwer, sie ließen sich nicht öffnen. Nicht einmal meine Arme konnte ich heben, geschweige denn meinen kleinen Finger.

Ich nahm mir Zeit, brauchte mehrere Anläufe um meine Augen zu öffnen, doch es gelang mir nur sehr schwer. Meine Sicht war verschwommen, doch ich erkannte leichte Umrisse, schwache und blasse Farbeindrücke. Im Hintergrund hörte ich Geflüster, mehrere Stimmen, ein gleichmäßiges piepen, aber ansonsten herrschte stille.

Ein wenig Gefühl kam in meinem Körper, dennoch brauchte es alle Anstrengung meine Hand anzuheben.

„Mein Kind", sagte eine zierliche Frau, welche müde und nervös an meiner Bettkante saß und mehrmals ihre Hand unbeholfen über das Bettlaken striff. Ich schaute in ihr erschöpftes Gesicht und Augenblicklich fing sie bitterlich an zu weinen. Sie nahm meine Hand in ihre und eine Träne, die ihre Wange hinunter rollte, fiel auf mein Handrücken. Sie zitterte und ihre Hände waren eiskalt. Aus Reflex entzog ich ihr meine Hand, schaute sie mit Tränen in den Augen an und blickte in die anderen Gesichter in diesem Raum. Fremde Gesichter und eine fremde Umgebung.

„Emily, du weißt doch noch wer ich bin, oder?", schluchzte sie und schaute mir flehend in die Augen. Wie gern hätte ich sie nicht enttäuscht. Wie gern hätte ich ihr gesagt, dass ich wusste wer sie war, doch ich konnte es nicht. Ich wusste es nicht. Nichts an diesen Menschen berührte mich, oder ließ mich an etwas erinnern. Sie waren niemand, deren Hände meine Hände hielten oder halten sollten.

„Durch den schweren Unfall erlitt sie schwere Kopfverletzungen. Die Erinnerungen werden vielleicht irgendwann, durch neue, beziehungsweise alte Eindrücke wiederkommen. Manchmal kann es auch hilfreich sein, an Orte zu gehen, an denen sie früher mal gewesen ist, oder auch bekannte Gerüche oder vertraute Stimmen können helfen", sagte ein Mann im weißen Kittel und notierte sich etwas auf seinem Klemmbrett. Das erste was mir auffiel, waren seine hellen stechenden Augen, seine dunklen Haare und sein markantes Kinn.

Ein weiterer Mann im Anzug stand neben der weinenden Frau, hatte seine Hand auf ihrer Schulter liegen und schaute undurchdringlich zum Arzt. Keinerlei Emotionen waren in seinen tiefblauen Augen zu erkennen und keine Miene war verzogen. Lediglich eine Falte hatte sich zwischen seinen Augenbrauen gebildet.

„Miss Johnson können Sie uns hören?", fragte nun wieder der Arzt und sein Blick fiel auf mich.
„Ja", krächzte ich, wobei mein Hals anfing zu schmerzen und ich kaum schlucken konnte. Die Frau neben mir reichte mir sofort ein Glas Wasser, welches ich ihr dankend abnahm und schmerzerfüllt mein Gesicht verzog, als die Kälte des Wassers in meinem Rachen zu spüren war.

„Haben sie Schmerzen?", fragte der Arzt, worauf ich leicht nickte und er etwas mit seinem Stift auf seinem Klemmbrett notierte. „Wissen sie noch wer sie sind?"

Die Frau neben mir nannte mich Emily und der Arzt sagte Miss Johnson. In der Erinnerung rief jemand Beth, welcher wohl mein Spitzname zu sein schien.
„Emily Johnson", flüsterte ich, was eher nach einer Frage klang.
„Und wissen sie auch wie alt sind Sie?"
„N-ein."

Remember meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt