Kapitel 2 - BEGGIN' FOR THREAD

Beginne am Anfang
                                    

Gegenüber meines ominösen Bettsofas liegt dann meine „Küche", die im Prinzip nur aus zwei Kochplatten, einer kleinen Spüle und vier Schränken besteht. Auch mein Badezimmer ähnelt eher einem Schuhkarton als irgendetwas anderem. Aber besser als nichts – selbst mit meinem Praktikumsgehalt muss ich mir noch einen zweiten kleinen Job suchen, um Miete und Essen bezahlen zu können – aber was macht man nicht alles, um in der besten Stadt der Welt zu wohnen. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass das mit dem Praktikum tatsächlich funktioniert hat und grinse als ich mir den Kaffee in meine Tasse einschenke: Vier Monate London, vier Monate in dieser absolut unfassbaren, wunderbaren Stadt!


Ich schütte auch eine Tasse für Tom ein und tapse leise zum Bett. Ich gehe auf Höhe der Matratze in die Knie und puste ein bisschen von dem Kaffeeduft in seine Richtung. Langsam öffnet er die Augen und lächelt mich zufrieden an. Ich lächle zurück. Vielleicht habe ich mir das Ganze gestern auch nur eingebildet...

Nachdem wir gefrühstückt haben, machen wir uns wieder auf den Weg in die Stadt. Tom möchte sich noch ein paar Sehenswürdigkeiten anschauen und sich mit einem seiner Bloggerfreunde in irgendeinem gehypten Café treffen. Ich, für meinen Teil, will eigentlich nur noch einmal kurz in das kleine Café von gestern zurück und nach meiner Zeichenmappe sehen. Also klinke ich mich kurz aus und wir verabreden uns in einer Stunde an der Towerbridge. Das ist mir recht, denn seine Bloggerfreunde sind teilweise ein bisschen anstrengend. Ganz ehrlich, ich liebe Mode ja auch, aber ich könnte beim besten Willen kein halbstündiges Gespräch über die Qualität und den Stylefaktor von Jutebeutel führen – mal ganz davon abgesehen, dass ich einen so langen Zeitraum überhaupt nicht stillsitzen könnte, wenn ich kein Buch in der Hand hätte. Malen und Lesen scheinen tatsächlich die einzigen Dinge zu sein, die mich irgendwie ruhig halten.

Als ich an dem kleinen Café ankomme, sehe ich Paul bereits hinter der Theke stehen. Ich trete ein und grinse ihn an. Es riecht wie immer absolut phänomenal nach Gebäck und Kuchen. Gott, ich liebe diesen Laden!

„Entschuldigung, haben Sie vielleicht gestern eine Zeichenmappe hier in dem Café gefunden? Ich habe meine hier liegen gelassen...", frage ich zögernd.

Er lacht. „Ich erinnere mich an Sie – Sie haben gestern den wunderbaren Stunt hier aufgeführt."

„Ob der wunderbar war, wage ich mal zu bezweifeln – aber ja, genau die bin ich.", ich lache zurück – was passiert ist, ist schließlich passiert und im Vergleich zu Tom nehme ich mich, Gott sei Dank, selbst nicht so ernst, als dass mir meine eigene Tollpatschigkeit peinlich wäre.

„Ihre Zeichensachen habe ich nicht mehr hier.", antwortet er dann allerdings und ich merke, wie mir die Kinnlade herunterfällt und ich ihn geschockt anstarre.

„Wie... Was? Wo sind sie? Wer hat sie?" stottere ich vor mich hin.

„Der nette Herr, der sich um sie gekümmert hat, hat sie mitgenommen.", sagt er schulterzuckend, als sei es das Normalste auf der ganzen Welt.

„Er hat WAS?", frage ich nun doch leicht verwirrt und etwas genervt. Wie konnte Harry meine Sachen einfach so mitnehmen? Ich weiß überhaupt nicht, wer er ist, wo er wohnt – wie soll ich sie je wieder sehen, falls wir uns doch nicht mehr in diesem Café treffen??!

„Er hat die Mappe mitgenommen – und mir einen Brief da gelassen, den ich Ihnen geben sollte, wenn sie kommen um die Mappe zu holen – also keine Sorge!", er zwinkert mir zu, „Im Vertrauen – ich glaube er fand Sie toll und wollte Sie einfach nur wiedersehen – und wer bin ich, dass ich jungem Liebesglück im Weg stehe.", seufzt er theatralisch und reicht mir einen zusammengefalteten Zettel.

Ich kann mir nur mühsam das Lachen verkneifen, als Paul vor mir von „jungem Liebesglück" spricht. Allerdings bin ich mehr als erleichtert, dass Harry zumindest nicht einfach mit meinen Zeichnungen abgedampft ist – also falte ich den Zettel auseinander und beginne zu lesen:

„Ich habe etwas, das Ihnen gehört! Wenn Sie Ihre wertgeschätzte Zeichenmappe je wiedersehen wollen, dann kommen Sie Montagabend Punkt 19.00 Uhr in die Lock Tavern in der Chalk Farm Road. Erscheinen Sie nicht, wird Ihre Mappe leider ein neues zu Hause finden. Bei mir.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Erpresser.
PS: Ich bin's Harry.
PPS: Ich finde das Ganze hat was von ,Serendipity', oder? Du vergisst die Zeichenmappe, ich finde sie – das muss das Universum sein, das uns sagen will: Trefft euch nochmal!"


Ich kann nicht anders, als über die Nachricht laut zu lachen, mein Ärger ist vollkommen verflogen. Was für ein Idiot. Was für ein verdammt lustiger Vollidiot. Irgendwie freue ich mich bereits jetzt schon auf das vorgeschlagene Treffen und darüber, dass ich scheinbar bereits in den ersten Tagen jemanden in dieser riesigen Stadt getroffen habe, der den gleichen Humor hat wie ich – und der allem Anschein nach auch auf die gleichen Filme steht.

Immer noch grinsend bedanke ich mich bei dem Cafébesitzer und mache mich früher als geplant auf den Weg zu Tom – die Aussicht, dass ich morgen Abend meine Zeichenmappe zurückbekommen werde, macht sogar die nicht enden wollenden Unterhaltungen über Jutebeutel erträglich.


+++

So das war das zweite Kapitel und ich habe nun effektiv den ganzen Vormittag damit verbracht, das Ganze fertig zu stellen und dabei erfolgreich die Tatsache ignoriert, dass ich eigentlich einen Essay schreiben muss, aber, hey - man muss seine Prioritäten haben ;)
Ich weiß - dieses Mal nicht so viel Harry, aber es kommen ja noch ein paar Kapitel ...uuund wir haben ein bisschen mehr von Tom und Emma gesehen... Was haltet ihr jetzt von den beiden?
Und Harry, das kleine Schlitzohr - einfach die Mappe mitzunehmen. tsstss...
Kennt ihr den Film ,Serendipity'? Auf Deutsch heißt er "Weil es dich gibt" - ist meiner Meinung nach einer der süßesten Filme, die es gibt - und er wird auf jeden Fall noch ein paar Mal in dieser Story vorkommen :)
Naja, ich widme mich mal wieder den lästigen Pflichten des Essay-Schreibens und nächste Woche geht's dann weiter mit Emma's erstem Arbeitstag und dem Treffen in der Lock Tavern (die tatsächlich eine existierende Tavern in London ist ;)).

Liebe Grüße und viel Erfolg für den Rest eurer Woche - möge sie weniger stressig sein als meine - und ich würde mich sehr über Rückmeldung freuen... ;)

Down in AlbionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt