Kapitel 7

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Nach schon kurzer Zeit öffnete sich die Tür. Vor mir stand ein großer Junger Mann, vielleicht 24 Jahre alt, mit dunklen Augen und dunklem, dichten Haar. Er war gut gebaut und hatte hohe Wangenknochen. Kurz unter den Ärmeln konnte ich eine Narbe erkennen. Klein, aber doch groß genug um meiner Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Meine Augen schweiften zurück zu seinem Gesicht. Er kam mir bekannt vor. War das etwa Jake?

Er sah ihm schon ähnlich. Nur viel erwachsener. Und mit Bart. Und größer. Irgendwie ein bisschen härter. Er sah mich an.

"Zeoy?", fragte er zaghaft.

Langsam lief eine Träne über meine Wange. Ich konnte sie nicht aufhalten. Wütend wollte ich se mit meinem Handrücken abwischen, doch da veränderte sich Jakes Gesichtsausdruck und wurde ganz sanft. 

Er zog mich in eine feste Umarmung. Nach einigen Sekunden gab ich nach und schlang meine Arme um seinen Rücken. Ich vergrub mein Gesicht an seiner Brust und ließ meinen Tränen freien Lauf. Beruhigend strich Jake's Hand über mein Haar. Geduldig wartete er ab bis ich mich etwas beruhigt hatte, bevor er mich losließ und meine Tasche aufhob. Er führte mich, mit einer Hand auf dem unteren Teil meines Rückens, in sein Haus hinein und schloss die Tür hinter sich.

Verloren stand ich im Flur. Besonders schön eingerichtet war er nun wirklich nicht. Er wirkte sehr steril, als hätte sich niemand jemals darum gekümmert, dass es aussah wie ein Zuhause. Zu meinen Füßen erblickte ich einige Paar Schuhe, achtlos auf den Boden geworfen.

Ein Paar Meter weiter konnte ich einen anderen Raum auf der linken Seite entdecken, rechts befand sich eine Treppe, die sowohl nach oben als auch nach unten führte. Am Ende des Gangs erblickte ich ein weiteres geräumiges Zimmer. Es musste das Wohnzimmer sein.

Ich drehte mich zurück zu Jake um. Unentschlossen standen wir uns gegenüber. Ich wollte gerade das Wort ergreifen, doch er kam mir zuvor.

"Bitte, zieh deine Schuhe aus. Ich gebe dir ein Paar warme Socken.", unbehaglich kratzte er sich am Kopf. "Entschuldige für die Unordnung, ich weiß mein Haus sieht nicht sehr nach einem Zuhause aus, aber..." Er ließ den Satz unbeendet. "Ich mache dir erst einmal eine heiße Schokolade, dir muss ja ganz kalt sein und dann setzten wir uns ins Wohnzimmer und können etwas reden. Du magst doch noch heiße schokolade? Oder willst du lieber einen Kaffee?" Unsicher sah er mich an.

Ich schüttelte meinen Kopf. "Nein, ich trinke keinen Kaffee." Automatisch schob ich den Satz hinterher, den ich gewöhnlicher Weise noch hinzufügte. "Kaffee verfärbt deine Zähne, macht schlechten Mundgeruch und schlechte Haut.Außerdem wird man süchtig, das mag ich nicht."

Jake kratzte sich erneut am Kopf. "Ja, da hast du wohl recht." Die Stimmung zwischen uns war angespannt. Jake ging an mir vorbei zum Ende des Ganges und bedeutete mir ihm hinterher zu kommen. Er zeigte in den großen Raum, in dem Eine Couch stand gegenüber von einem Fernseher und daneben ein großer Esstisch mit ein paar Stühlen. "Mach es dir doch gemütlich. Ich komme gleich."

Er ging zurück in den Flur und ich betrat das notdürftig hergerichtete Wohnzimmer. Wenn man es überhaupt so nennen konnte. Es war kein einziges Bild aufgehängt. Die Wände waren kahl. Generell das komplette Zimmer sah irgendwie... tot aus. Keine Dekoration oder etwas anderes in der Art. Nur das, was man wirklich brauchte. Hier konnte er doch unmöglich acht Jahre lang gelebt haben.

Ich setzte mich auf die Couch und war überrascht, wie gemütlich sie war. Sorgfältig nahm ich die Socken, die Jake mir gereicht hatte auseinander und zog sie über meine kalten Füße. Es war ziemlich kalt im Haus. Sehr viel älter als in allen Häusern, die ich aus England gewohnt war. Hinter der Couch, die einfach in der Mitte des Raumes stand, sah ich einen Kamin, mit etwas Holz drum herum. 

In diesem Moment kam Jake zurück ins Zimmer und stellte die zwei Tassen, beide heiße Schokolade, vor uns auf den winzigen Tisch, bevor er sich neben mich setzte.

"Wie war deine Reise? War Joshua sehr schroff?"

Ich sah ihn ungläubig an. Wollte er tatsächlich Smalltalk mit mir halten?

"Wie konntest du mir das antun?" Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Ich konnte die Trauer in Jake's Augen sehen, während er nach Worten suchte. Doch das machte mich nur wütend. "Wie konntest du mich ganz alleine mit ihnen lassen? Für so lange Zeit?"

Mittlerweile schrie ich ihn an. Ich kam immer mehr in Fahrt. Wütend stand ich auf und drehte mich in seine Richtung. "Weißt du wie sie mich behandelt haben, nachdem du abgehauen bist? Sie haben ihren ganzen Ärger an mir ausgelassen. An mir alleine! Und du hast nicht einmal Kontakt zu mir aufgenommen. Ich dachte du wärst tot! Ich dachte ich würde dich nie wieder sehen. Wie konntest du alles, wo für wir gearbeitet hatten so leicht aufs Spiel setzten? Wie konntest du Mamas Leben so leichtfertig riskieren?"

Jake's Kopf schnellte nach oben und er sah mir in die Augen. Nun stand auch er auf. "Zoey, es tut mir leid. Bitte glaub mir. Aber es war die einzige Möglichkeit. Ich musste dich da lassen, damit sie Mama nichts antaten. Ich musste sie glauben lassen, ich wäre gestorben." Verzweifelt sah er mich an. "Ich wünschte ich hätte dich schützen können. Glaub mir! Ich hatte keine andere Wahl. Ich habe mir, nein uns, hier ein Leben aufgebaut und auf den Tag gewartet, an dem ich dich endlich wieder zu mir holen konnte!"

"Und wieso jetzt?", warf ich ein. "Was wenn sie Mama etwas antun?"

"Ich war mit ihr in Kontakt."

Nein. Das konnte nicht sein. Ich musste mich verhört haben. "Mit wem?" Ich wagte kaum zu hoffen.

"Mit Mama." 

Ich fing wieder an zu weinen und sackte auf dem Sofa in mich zusammen. "Sie konnte fliehen Zoey! Mama ist geflohen und deshalb konnte ich dich endlich da heraus holen. Sie ist auf dem Weg zu uns und gemeinsam werden wir ein ganz neues Leben beginnen."

"Ein ganz neues Leben? Das kannst du doch nicht ernst meinen! Wir müssen zurück kämpfen! Wir müssen unser Land beschützen und das weißt du auch! Es ist unsere Pflicht."

"Nein Zoey. Ich werde nicht zulassen, dass ihr euer Leben für ein Land hingebt, das uns verraten hat. Weder du, noch Mama."

"Das kannst du doch nicht ernst meinen!", Was war nur los mit ihm? Es war unser Land. Ja, man hatte uns verraten, aber es war doch nicht das ganze Land gewesen. Nicht alle waren gegen uns. Es war unser Zuhause. "Ich habe die Geschehnisse in unserem Heimatland mit verfolgt. Jake, Leute organisieren Aufstände gegen die Regierung. Es wird zu einer Rebellion kommen und dann hoffentlich zu einem Machtsturz! Wir müssen unsere Landsleute unterstützen. Sie brauchen jede Hilfe, die sie kriegen können."

Jake seufzte. "Ich hatte mir schon gedacht, dass du so denken würdest. Lass uns doch erst einmal auf Mama warten" Er fuhr sich mit seiner flachen Hand gestresst über sein Gesicht. "Und dann können wir ja weiter sehen. Wir werden gemeinsam mit ihr einen Entschluss fassen. Jetzt komm erst mal in deinem neuen Zuhause an. Komm, ich zeig dir dein Zimmer und das Bad, dann kannst du dich etwas einrichten und dich fertig machen vor dem Frühstück. Später kannst du dich hier im Ort etwas umsehen und ich stelle dir ein paar Leute vor."

Gemeinsam gingen wir die Treppe nach oben und er führte mich an einigen Räumen vorbei, bis wir vor eine geöffneten Tür stehen blieben. Ich trat ein und wow! Das hatte ich nicht erwartet. Das Zimmer war wunderschön in hell rosa Tönen und Holzmöbeln eingerichtet. In der Mitte stand ein großes Bett mit zwei Nachttischen an je einer Seite. An der Wand der linken Seite des Bettes konnte ich einen Balkon erkennen mit Aussicht aufs Meer. Das Zimmer war schöner als ich es je hätte einrichten können und stand im krassen Kontrast zum Rest des Hauses.

"Es ist wunderschön", sagte ich auch an Jake gewandt. "Dankeschön."

Er sah mich offen an. "Gerne Zoey. Ich würde alles für dich tun. Ich weiß du glaubst mir nicht, aber ich habe dich wirklich vermisst! Und ich bin so unendlich froh, dich wieder bei mir zu haben. Ich liebe dich."

Doch ich glaubte ihm. Ich ging auf ihn zu und schloss ihn in eine lange Umarmung. "Ich liebe dich auch." Ich konnte spüren, wie er mich noch etwas fester an sich drückte. Ich hatte ihn vermisst. Und ich konnte seine Beweggründe zumindest zu einem Teil nachvollziehen. Vielleicht hätte ich in seiner Situation ähnlich gehandelt.

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