Die Entscheidung

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Die Nacht hatte sie kein Auge mehr zugemacht. Ihr Vater war aus dem Haus verschwunden und hatte nur ein paar Wachen zurückgelassen. Sie musste weg vom Fenster und weiter ins Zentrum des Anwesens. Hier konnte sie die Sterne nicht sehen und das war etwas, was sie überhaupt nicht leiden konnte. Sie fühlte sie allein und auch die plumpen Versuche der Wachen sie aufzumuntern wollten nicht fruchten. Sie zog die Beine an, legte die Flügel über die Arme und wärmte sich am eigenen Gefieder.

Ihr Blick wanderten seelenlos durch den Raum, hofften, dass ihr Vater bald wieder durch die Tür kommen würde, aber er kam nicht.

Viel mehr sorgte sie aber, dass sie in der Nacht nichts hörte. Ein Angriff müsste doch Lärm zur Folge haben, oder nicht? Gespenstische Ruhe lag über dem Anwesen und über der gesamten Zuflucht. Was wäre, wenn schon alle tot wären?

Ihr kleines Herz pochte erregt und voller Sorge. »Nein«, hauchte sie. »Das darfst du nicht denken.«

Eine der Wachen, Jalia hatte seinen Namen vergessen, sah zu ihr. »Was hast du?«

Langsam sah sie auf, seufzte schwermütig, schüttelte schließlich stumm den Kopf. Sie wollte nicht mit den beiden reden - sie wollte ihren Vater!

»Du sollst deine Weihe erhalten, oder?«

Stumm nickte die junge Inari.

»Aufgeregt?«, fragte er weiter mit sanfter Stimme.

Jalia sah langsam zu ihm auf. Er war jung, jünger als sie gedacht hatte, aber was hatte Alter schon zu sagen? »Wie war dein Name?«, fragte sie heiser.

»Darim«, lächelte er.

Jalia nickte. Sie war ja dankbar, dass ihr Vater sie beschützen ließ und mit Sicherheit würde er nur Wachen wählen, denen er vertraute. »Ich weiß nicht, was ich fühlen soll betreff der Weihe ...«, aber das war nur die halbe Wahrheit. Sie hatte Angst und in diesem Moment war ihr die Weihe absolut egal.

Darim trat ein wenig näher. Er trug die Rüstung der Garde, silberne Armschienen, über einen ledernen schwarzen Brustpanzer, dazu die weißen Umhänge mit dem Wappen der Zuflucht - zwei blutrote Schwingen. Darim hatte hellgraue Schwingen mit schwarzem Muster, die seidig im Licht der Öllampen schimmerten. Sein kurzes blondes Haar war ebenso gepflegt, wie der kleine Bart am Kinn. Jalia lächelte flüchtig, im Grunde war er sogar ansehnlich.

»Vor allem aber bist du hier sicher.«

»Bin ich das?« Jalia fühlte sich nur endgültig sicher, wenn ihr Vater bei ihr war und das war er nicht. Sie sehnte sich nach seinen starken Armen, den Flügeln, die er immer um sie legte, um ihr das Gefühl der Geborgenheit zu geben.

»Ja, bist du«, bekräftigte er.

Darim meinte es gut und Jalia spürte das auch, aber ihre innere Unruhe, die Worte über einen Angriff und die quälende drückende Stille setzen ihr schwer zu. Sie drehte sich ab, lehnte sich an die Wand und versuchte die Augen zu schließen. Darim schwieg dankbarerweise, aber sie spürte seinen Blick. Hätte sie sich umziehen sollen? Noch immer trug sie das dünne Nachthemd und ihre nackten Beine lugten unter ihm hervor.

Jalia begann ihre Atemzüge zu zählen, aber auch das beruhigte sich nicht, eher im Gegenteil. Letztendlich stand sie auf, ging auf und ab, murmelte vor sich hin und wurde immer angespannter. Die Sonne musste schon aufgegangen sein, oder nicht? Sie verabscheute diesen Raum, der keinen Blick auf den freien Himmel zuließ - weswegen sie normalerweise nur selten hier war. Vor allem dann, wenn es offizielle Anlässe gab und sie als Tochter ihres Vaters an seiner Seite zu stehen hatte.

Jalia holte tief Luft, sah zu Darim. »Wie spät ist es? Scheint die Sonne schon?«, fragte sie. Sehnsüchtig hoffte sie, dass die Nacht vorbei war.

Seelenkriege I - Kaiser und DracheWhere stories live. Discover now