Seelensucher

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»Wie bist du in den Palast gekommen?«

Sion war müde, aber es war nicht nur das. Umringt von Wachen und in Ketten gelegt, hatte man ihn in den kaiserlichen Palast gebracht. Mit Bedauern stellte er fest, dass man ihn nicht zu den prachtvollen Gemächern des Monarchen brachte, sondern tief unter die Fundamente ins Verlies. Es war kalt und feucht hier unten. Die Luft roch muffig und Sion hätte schwören können, dass es nach Urin, Kot und Tod roch.

»Umringt von Wachen und in Ketten«, hustete er und schüttelte den Kopf. Seine Füße waren angekettet, ebenso erging es seinen Armen, die über dem Kopf gefesselt warten. Sion hing mehr, als das er stand und er erwartete den nächsten Hieb in den Magen.

Es wäre nicht der Erste, den er in diesem Verhör bekommen hätte. Seit einer oder auch zwei Stunden versuchte ein grobschlächtiger Kerl Antworten zu bekommen, die ihm Sion schlicht nicht geben konnte. Sein Gegenüber war dick, beinahe Fett und der nackte Oberkörper legte sich in Falten um seinen Torso. Er schwitzte, hatte kaputte Zähne und sein Schädel kahl. Vor allem aber gefiel es ihm, Sion Schmerz zuzubereiten.

Er ächzte und für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen, als die mächtige Faust ein weiteres Mal in seinem Magen landete. Der Schmerz strahlte durch seinen gesamten Körper, seine Knie zitterten. Seine Kräfte ließen nach und doch blieb er standhaft bei der Wahrheit. »Ich bin heute erst angekommen und direkt in das Loch, was sich Gasthaus schimpfte eingekehrt«, keuchte er.

»Du lügst!«

Sion hustete. Im Grunde war ihm klar, was kommen würde. Sie brauchten einen Sündenbock, weil sie niemanden im Verdacht hatten. Jemand musste bezahlen und es war ihnen egal, wer es war. Ein Seelsucher kam ihnen da gerade recht. Er verfluchte sich für einen Moment der Unbeherrschtheit, jenen kurzen Augenblick, als seine Augen rot leuchteten. Die Augen waren eine Gabe, so hatte es einst seine Mutter ihm erklärt, aber seitdem er denken konnte, waren sie eher ein Fluch. Nur zu leicht konnten die anderen Menschen ihn erkennen, sein wahres ich und ihn jagen.

Die Angst der Menschen vor seinesgleichen war alt. Sion kannte es nicht anders, wusste aber, dass es vor dem Kaiserreich anders gewesen sein musste. Damals galten sie als weise, kluge und mächtige Berater und Priester. Sie bewahrten das Wissen, heilten die Kranken und versuchte ein Gleichgewicht zu schaffen. Seelensucher gab es in jedem Volk, daher war das mit der Gabe von seiner Mutter schon richtig gesagt.

Was mussten das für Zeiten gewesen sein? Riesige Hallen in den Bäumen oder im Felsen und gemeinsam sangen sie die Lieder der Entstehung der Welt, das Drachenlied oder beteten.

»Von vorn! Wie ist dein Name Seelensucher!«

Sion knurrte. »Sion! Das sagte ich schon fünfmal du fettes, schmieriges Schwein!«

Es knallte, als die geballte Faust des Kerls in Sions Gesicht landete. Für einen Atemzug sah er Sterne und es wurde ihm schwarz vor Augen. Er spuckte Blut und konnte nur hoffen, dass sein Kiefer nicht gebrochen war.

»Was willst du in Lirangir!«

»Mich von dir verprügeln lassen!« Sion war es leid. Es war doch gleich, was er sagte, solange es nicht war, dass er hierher kam, den Kaiser ermorden wollte und danach feierte. Aus dem mittlerweile angeschwollenen Auge sah er die Faust des Verhörmeisters erneut steigen. Sion spannte sich an, versuchte sich auf den Hieb vorzubereiten.

»Halt!«

Eine Stimme erklang aus der Richtung, wo die Kerkertür war. Sie war hell, beinahe weiblich zart, aber rau genug, um einem Mann zu gehören. Sion drehte den Kopf und erkannte nur verschwommene Schemen. Ein Umriss, ganz in Schwarz, war eingetreten.

»Tatsächlich ein Seelensucher«, klang die Stimme weiter. »Und ich dachte, wir hätten euch alle gefunden.«

Ein Jäger! Sion drehte sich der Magen um. Die Jäger waren vom Kaiser auserwählte Krieger, die von ihm ausgeschickt wurden, um Seelensucher zu jagen. Mit dem Verschwinden der Seelensucher übernahmen sie nach und nach die Funktion von Priestern einer neuen Religion. Ein einfacher Glaube für einfache Menschen. Im Kaiserreich war dieser weit verbreitet und nur in ländlichen Gegenden hielten sich hartnäckig alter Aberglauben an Naturgeister oder Dämonen.

Seelenkriege I - Kaiser und DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt