Das schwarze Volk

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»Wir müssen zurück!«, mahnte Dandis und sah ihn flehend an. »Jetzt!«

Der junge Krieger Fragas antwortete nicht. Er konnte es kaum glauben, was dort unter ihm im Tal in diesen Minuten geschah. Legenden, Sagen - allesamt hatte er sie als unwahr abgetan, aber das dort unter ihm widerlegte alles.

»Fragas? Hast du mich gehört?«

Stumm nickte er.

»Wir müssen hier weg! Schnell! Das Dorf warnen!«

Das Dorf lag nicht weit von der Klippe auf der sich Dandis und er begeben hatten, um die nahe Umgebung auszukundschaften. Es lag an den ersten Hängen der Wolfsberge, gut geschützt vor den eisigen Winden, die aus dem Norden kamen, aber umso offener für Angriffe jeder Art. Dandis hatte Recht, sie musste zurück, aber was sollten sie gegen das dort unten im Tal ausrichten?

Hinter den beiden vernahm er das aggressive Kläffen ihrer Wölfe. Mussten sie ausgerechnet jetzt ihren Rang neu auskämpfen? Zornig sah er zu den beiden Tieren.

»Sargis! AUS!«, befahl er und der graue struppige Wolf senkte demütig den Kopf und legte sich auf seine vier Pfoten. Sargis war von Fragas aufgezogen worden, wie es Sitte war. Noch bevor die Mutter die Welpen entwöhnt hatte, nahm er das Junge auf, gab ihm die Flasche und knüpfte damit die ersten Stränge eines Bandes, welches unverzichtbar war in dem Leben hier in den Wolfsbergen.

Sargis war sein zweiter Wolf, im besten Alter, kräftig und schnell. Seine Schulter reichte Fargas bis zur Brust und die Kiefer des Wolfes konnten Schädel zerschmettern. Gut möglich, dass es bald Blut zum Kosten gab.

»Fragas!«, mahnte Dandis ein weiteres Mal, bis dieser nickte.

»Ja, ich komme ja!«

Flink sprangen sie über das Geröll und die Felsen und erreichten unversehrt ihre Begleiter. Fragas streichelte das graue Fell und schwang sich auf den Rücken von Sargis. Eile war geboten. »Was ist das dort unten?«, fragte er Dandis. Er selbst hatte in seinen fast zwanzig Jahren nie etwas gesehen, wie das dort im Tal. Dandis war viel älter, hatte schon viel erlebt in seinem Leben, aber der Blick, den sein Gefährte ihm zuwarf, sprach Bände. Bis auf die Legenden wusste er auch nichts über die Kreaturen dort unten im Tal.

»Das schwarze Volk, du kennst die Geschichten doch selbst!«, ächzte er, als er sich auf den Rücken seines braunen Wolfes schwang.

Das schwarze Volk war ein Mythos und entstammte einer anderen Zeit. Einst hatte es drei Brüder gegeben. Drachen. Sie gerieten in Streit und es entbrannte ein Kampf auf Leben und Tod. Es waren mächtige Drachen, gigantische Kreaturen und in ihrem Wut und der Kampfeslust erschufen sie die Völker der Welt, um sie für sich in den Krieg ziehen zu lassen! Das schwarze Volk war das Volk des schwarzen Drachen. Sie wohnten unter der Erde, brachen ans Licht, um in Scharen über ihre Feinde hineinzubringen. Die Menschen, die weit im Süden wohnten, waren das graue Volk, erschaffen vom grauen Drachen. Der weiße Drache war der Vater seines Volkes. Er war der Einzige, der zwei Völker erschuf. Die Inari, die in ihren Wolkenzufluchten im Himmel wohnten und die Kalhar, die auf ihren gigantischen Wölfen in die Schlacht ritten.

Aber das waren Geschichten, die Drachen schon Ewigkeiten tot und da das schwarze Volk als Einziges nirgends auftauchte, glaubte auch niemand mehr an die Existenz - bis heute!

Während Fragas seinen Wolf durch die kargen Wälder voller Tanjesbäume trieb, versuchte er zu verstehen, was geschehen war und wie er es den Ältesten sagen sollte. Es beruhigte ihn, dass Dandis bei ihm gewesen war und bezeugen konnte, was er zu berichten hatte.

Der Tag hatte so gut begonnen, die Sonne schien über die weißen Kuppen der höchsten Berge und tauchte sie in ein so anziehendes Gold, dass er beinahe losgezogen wäre, um es zu schürfen. Aber die Sonne war trügerisch. Das eigene Volk war uneins, zerstritten in dreizehn Clans und stetig war man in der Gefahr überfallen zu werden. Blut gegen Blut, so ging es schon seit Jahrzehnten.

Seelenkriege I - Kaiser und DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt