Kapitel 43 - Direkt in die Hölle

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Schnell jogge ich durch die Eingangstür des Hotels, um Grandpa noch vor Dienstbeginn zu erwischen. Ich komme extra eine halbe Stunde früher, um ihn davon abhalten zu können, Harry zu feuern. Das darf einfach nicht passieren. Harry verdient sowieso schon so wenig, er hätte das nicht verdient. Und vielleicht hört Grandpa ja auf mich, wenn ich versuche mit ihm zu sprechen.

Schnaufend komme ich an der Rezeption an. „Paul", keuche ich. „Wo ist er?"

Die Angestellte mit dem seltsamen Hut auf dem Kopf, sieht mich kurz verwirrt an, dann sagt sie: „Er ist gerade in einem Gespräch mit dem Hausmeister."

Meine Miene fällt schlagartig. Ich bin zu spät. Ich hätte bedenken sollen, dass Harry immer eine Stunde früher anfängt als ich. Jetzt wird Grandpa ihn feuern und das nur, weil meine Eltern so verdammt unberechenbar sind. Weil ich nicht auf sie höre und mich von Harry fernhalte. Harry verliert seinen Job wegen mir.

„War es denn etwas Wichtiges?"

Ich schüttle nur trübselig den Kopf und entferne mich von der Rezeption. „Nein", sage ich leise. „Es war nur ... Schon okay."

Sie sieht mich mitleidig an. Doch noch bevor sie etwas sagen kann, sehe ich meinen Grandpa, wie er aus seinem Büro kommt. Ein junger Mann folgt ihm.

Schnell gehe ich zu ihm. Harry ist nicht bei ihm, vielleicht hat er noch nicht mit ihm gesprochen. Ich muss es versuchen. „Grandpa!", rufe ich nach ihm, worauf er sich zu mir umdreht.

Er lächelt. „Marie, du bist ja schon-''

Ich klammere mich an sein Jacket, als würde ihn das mehr dazu bringen, mir diesen Gefallen zu tun. „Du darfst Harry nicht feuern", flehe ich ihn an. „Bitte, du darfst ihn nicht feuern, egal was Mama sagt!"

Er scheint total überfordert zu sein und weiß nicht, wie ihm geschieht. „Marie, ich-''

„Bitte", bettle ich weiter und drücke mich an seine Brust. „Mama weiß nicht, was sie da redet! Du kannst ihn nicht einfach feuern, Opa ..."

Opa räuspert sich einmal, dann drückt er mich ein wenig von sich weg. Er deutet auf den jungen Mann, ungefähr Anfang zwanzig und sagt: „Wenn ich dir vorstellen darf. Bill. Unser Hausmeister und –''

„Was?" Er hat Harry schon gefeuert und einen Neuen eingestellt? „Du hast ihn schon längst gefeuert?"

„Marie", sagt Grandpa nachdrücklich und auch Bill scheint nicht zu wissen, was mit mir los ist. „Das ist Bill. Unser Hausmeister und gleichzeitig Harrys helfende Hand. Ich habe ihn nicht gefeuert."

Ich blinzle und sehe Bill an. Er hat Harry gar nicht gefeuert. Eine riesige Last fällt mir von den Schultern. Ich grinse breit und drücke Grandpa fest. „Danke, Grandpa! Danke, danke, danke!"

„Keine Angst", sagt Grandpa gepresst zu Bill, während ich ihn umklammere. „Sie ist nicht immer so."

Bill lacht. „Das würde mir nichts ausmachen."

Ich löse mich von Grandpa und atme zufrieden durch. Erstes Problem ist schon mal beseitigt, Harry behält seinen Job. Ich werde Opa fragen müssen, was er Mama erzählen will, weil Harry weiter hier arbeitet, doch das kann ich später machen. Wichtig ist erst mal, dass ich herausfinde, wie lang er heute arbeitet, damit ich Dale kontaktieren kann. Das ist nämlich das nächste Problem. Als Dale mich letzte Nacht wieder nach Hause gebracht hat, kam ich nicht drum herum, mich mindestens hundert verschiedene Szenarien vorzustellen, in denen Harry immer anders auf seinen Bruder reagiert. Dale meinte, sie haben sich dreizehn Jahre lang nicht gesprochen und vom Sehen ganz zu schweigen.

Er glaubt, dass Harry ausrasten wird. Er hat ihn damals allein gelassen, weil er es nicht Zuhause ausgehalten hat, weswegen er nachvollziehen könnte, dass Harry ihn rausschmeißt. Doch wir müssen es probieren. Wir haben keine andere Wahl. Wenn es wirklich so ein mächtiges Problem ist, dass seine Eltern in der Stadt sind, dann müssen wir Harry darauf aufmerksam machen. Warum und wieso die Tatsache, dass ihre Eltern hier sind, so schlecht ist, das wollte Dale mir nicht sagen. Er meinte nur, ich würde es erfahren, wenn es der richtige Zeitpunkt ist und der soll anscheinend jetzt noch nicht sein. Er hätte all die Antworten auf meine Fragen, doch macht dicht. Da ist er wie sein Bruder. Nur dass Harry mir noch weniger über seine Familie offenbart, als Dale und ihn habe ich letzte Nacht erst kennengelernt.

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