Der Kaiser

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»Was haben sie?«

Talions Stimme hallte durch die weite Halle und wurde von den großen Marmorsäulen hin und hergeworfen, bis sich seine Worte in der Weite der Kuppel verloren und einer drückenden Stille Platz machte.

»Abgelehnt, Sire!«

Der alte Berater war, der einzige der in diesem Moment den Blickkontakt aufrecht hielt. Talion kannte ihn, seitdem er ein Kind war, ein Knabe kaum sechs Sommer alt. Damals hatte er noch Haare gehabt und er war jung und zeigte dem Jungen die Wälder um das Schloss seiner Familie. Von ihm hatte er einst gelernt, was der Unterschied zwischen Blaupilzen und Andoschpilzen ist, und auch, wie der Fark-Uhu klingt, wenn er die Nacht ankündigt. Aber Zeiten ändern sich. Er war noch immer Berater und er, Talion, war zum Kaiser gewählt und gesalbt worden. Seine Vision eines vereinten Reiches, ohne freie Städte anlässlich des vierhundertsten Jahrestages des Bestehens schien am Anfang wie von selbst sich zu erfüllen. Drei der vier anderen Könige hatte er auf seiner Seite, nur der elendige Dandiran von Ardambia konnte nicht aufhören, den Finger mahnend zu heben.

Talion kannte seine Beweggründe nur zu gut. Vor fünf Jahren, nachdem Talions Vorgänger und Großvater verstarb, war Dandiran der einzig andere Kandidat, der für das Amt des Kaisers in Frage kam. Die Häuser Ardambia und Tantir teilten sich zwölf der sechszehn Herrscher der letzten fast vierhundert Jahre. Selbst in der Zeit der zwei Kaiser kamen die Monarchen aus jenen beiden alten und mächtigen Häusern. Aber das interessierte den jungen Kaiser nicht. Kanoda war dran und er hatte vor den Weg für eine neue mächtige Dynastie zu ebnen.

»Wie können sie es wagen?«, zürnte er und schlug wütend mit der Faust auf den schwarzen Tisch, um den der Rat versammelt war. Seine Finger schmerzten, denn Ascheiche war hart wie Stein und es kostete viel Kraft und Zeit, dieses Holz zu schlagen und zu bearbeiten. Aber gerade wegen seiner Härte liebte es Talion. Es erinnerte ihn daran, dass man hart für seine Träume arbeiten musste und Rückschläge verkraften sollte, um an sein Ziel zu kommen.

»Ich kann es euch gern abermals vorlesen!«

Talion schloss die Augen. Die Stimme kannte er nur zu gut - Dandiran. Er hatte sich von seinem Platz zwischen seinen zwei Beratern erhoben, die kurze Distanz zum alten Lehrmeister Talions überbrückt und ihm das Antwortschreiben der Städte entrissen.

»An eure kaiserliche Majestät Talion XVI, der zweite seines Hauses ...«, begann er vorzulesen. Zuerst wollte Talion ihn unterbrechen, lehnte sich dann aber in seinem Stuhl zurück und kratzte ungeduldig mit den Nägeln über die Armlehne.

»... wir, die freien Städte, haben Euer Angebot geprüft und müssen es mit Nachdruck ablehnen. Wir möchten Euch daran erinnern, aus welchem Grund euer Großvater, der verstorbene Kaiser Tarian XV, der erste seines Hauses, uns eben diese Rechte gegeben und für alle Zeiten zugesichert hat. Es wird sicher nicht in Eurem Interesse liegen, das Andenken an euren geschätzten Großvater zu besudeln, indem ihr seine Beschlüsse widerruft ...«

Talion vermochte ein deutliches Brummen nicht zu unterdrücken. Sein Großvater war ein guter Kaiser gewesen, aber zu nachsichtig. Die Städte gehörten dem Reich und ihnen den Status ›frei‹ zu schenken, war der größte Fehler. Sie waren Quelle des Reichtums, Orte von Luxus, Handel und Wohlstand. Allein darum war es schon für ihn oberste Pflicht das Reich daran teilhaben zu lassen.

»... Solltet Ihr aber darüber nachdenken, das Wort Eures Großvaters brechen zu wollen, so seid versichert, dass die elf freien Städte sich mit aller Macht gegen Euren Versuch wehren werden! Die Obersten der elf Städte, gezeichnet zu Sabia, am zweiten Mond des Kandrila 397 neue Zeitrechnung.«

»Sie drohen mir!? MIR!«

Talion entriss Darinda das Schreiben, zeriss es und warf es auf den Tisch.

Seelenkriege I - Kaiser und DracheWhere stories live. Discover now