Kapitel 18 - Flashbacks

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Ich trommle nervös auf dem porösen Holztisch des Uni Cafés und schaue mich nach Rain um. Ein Teil von mir vermisst sie, der andere will sie nicht damit davon kommen lassen, was sie über mich gesagt hat. Also falls sie es wirklich gesagt hat und Saylah nicht einfach nur Salz in die Wunde streuen wollte. Mit Samantha war es früher genau so. Ständig hat sie über mich gesprochen und es danach abgestritten. Es hat ihr gefallen, dass ich alles für sie getan hätte und sie dafür nur so wenig tun musste. Im nach hinein betrachtet, kein dummer Schachzug, aber menschlich doch ziemlich abstoßend. Vielleicht hat es mich gerade deshalb so stark verletzt, dass es mit Rain genau so weiter gehen könnte. 

>Entschuldige bitte, ich musste noch eine Hausarbeit abgeben und das hat länger gedauert als ich dachte. Zum Glück bist du noch da.< Rain lässt sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen und stellt mir einen Becher vor die Nase, den ich mit meinen Fingern sofort umschließe. Es ist kühler geworden. Endlich.
>...und entschuldige, dass alles so aus dem Ruder gelaufen ist. Ich will mich auch gar nicht rausreden, das was ich gesagt habe, war gemein und verletztend und seit unserer ersten Woche hat sich viel geändert. Du bist wirklich eine gute Freundin für mich und wenn du willst, dann kannst du wieder zurück kommen. Aber ich bin jetzt in dein Zimmer gezogen. Saylah und ich hatten richtig Krach, aber das wird auch schon wieder. Bist du jetzt wirklich zu David gezogen? So richtig?< Ich starre auf meinen Deckel.
>...irgendwie schon. Rain? Warum hast du das gesagt? Ich weiß, dass du es ernst gemeint hast.< Sie knibbelt an ihrem Deckel herum.

>Weil Saylah zur Wohnheimleitung gehen wollte um dich rauszuwerfen. Und ich wollte das nicht, sondern dich lieber kennen lernen. Ich hab das gesagt, was sie von mir hören wollte. Und ich finde deine Geschichte wirklich spannend. Aber als Freundin. Ich will dich nicht verlieren, Lily. Bitte nimm meine Entschuldigung an.< Sie nimmt einen schluck und ich kann sehen, wie ihre Hand dabei zittert. Vorsichtig nicke ich. Vielleicht hat sie es wirklich nicht so gemeint.
>Ich hab mich nicht getraut zum Songwriting zu gehen, aber ich hab trotzdem was für dich geschrieben...< Sie zieht einen Zettel aus ihrer Aktentasche und legt ihn in die Mitte des Tisches.
>Bitte lies ihn wenn du alleine bist, hier wäre es mir zu peinlich. Ich bin nicht gut darin.< Sie läuft rot an und ich stecke mit den Zettel in meine Jackentasche. Ich möchte ihr verzeihen, aber ich kann nicht vergessen. Niemals.
>Können wir wieder Freundinnen sein, Lily? Und ziehst du wieder bei uns ein?< Ich beiße meine Kiefer aufeinander. Der Gedanke wieder zurück ins Wohnheim zu ziehen fühlt sich an, wie eine Matheprüfung. Nach Bauchschmerzen und psychosomatischen Durchfall.
>Rain...du hast mir gefehlt. Aber ich werd nicht wieder zurück ins Wohnheim ziehen.< Meine Stimme bebt und ich nehme schnell einen Schluck aus dem Becher. Sie hat einen kleinen Schluss Honig reingemacht. Sie weiß, dass ich das mag. Als ich den Becher wieder absetze, steht sie neben mir mit Tränen in den Augen.
>...darf ich dich bitte umarmen?< Warum muss ich denn jetzt heulen? Als ich Rain in die Arme falle, schluchze ich schon bitterlich. Ich bin echt nicht schön oder niedlich, wenn ich weine. Rain reicht mir ein Taschentuch und wischt ihre eigene Träne aus dem Augenwinkel.
>Ich bin wirklich unendlich stolz auf dich, weißt du das eigentlich?< Ihre Augen glitzern immer noch. Sie erinnert mich ein bisschen an eine stolze Mutter. Hat meine Mutter mich wohl jemals so angesehen?

>Wann kann ich deine neue Wohnung anschauen? Ich find das echt krass, dass er dir einfach angeboten hat, zu ihm zu ziehen...seit ihr zwei naja...steht er auf dich?< Wenn ich auf jemanden stehen würde, dann dürfte dieser jemand trotzdem nicht bei mir einziehen. Dafür ist mir meine Privatsphäre viel zu wichtig. Und trotzdem habe ich sie aufgegeben und bin einfach bei ihm eingezogen. Ich hab nicht mal mein eigenes Bett. Jeden Abend schlafe ich in seinem Arm ein. Zu seinem Herzschlag. Es ist wie ein Zuhause, dass ich niemals hatte.
>Also eine Freundin hat er auf jeden Fall nicht. Bisher kam nur einmal einer seiner Arbeitskollegen vorbei.< Wenn er eine Freundin hätte, dann würde sie mich hassen. Ich würde mich hassen.
>Ich komm dich auch bald besuchen, okay? Fährst du über die Feiertage weg?< Ich runzle die Stirn. Ich will nicht nach Oakdale fahren, auch wenn Chloe mir quasi seit ein paar Tagen einen Countdown schickt, bis es so weit ist und wir uns wieder sehen. Und ich vermisse sie auch, aber...
>Meine Eltern kommen am Sonntag her, dann verbringen wir ein paar Tage hier in New Orleans und wollten dann nach Oakdale hochfahren, aber um ehrlich zu sein, bin ich mir da noch nicht so sicher, weil...<
>Wegen Wallis, schon klar.< Ich ziehe meine Lippen zu einer schmalen Linie und Rain greift nach meiner Hand.
>Hast du Alternativen? Ich würd dich ja gerne mitnehmen, aber wir sind dieses Jahr auf Nantucket bei meiner Tante- und glaub mir mit Familie Donovan-Bradley möchtest du als Außenstehender nicht auf einer Insel eingesperrt sein. Vor meinem inneren Auge sehe ich schon in sepia getauchte, skandi-thriller Aufnahmen von meiner Tante und einem Küchenmesser.< Ich unterdrücke mein Lachen, aber Rain schaut mich ernst an. Aber ich kann mir Cheryl in diesem Szenario auch gut vorstellen.

>Du malst Bilder mit Worten. Sieht deine Tante vielleicht aus wie meine? Die würd auf die Beschreibung nämlich auch ziemlich gut passen...Forty hat mich noch eingeladen mit ihm nach Ohio zu fahren, was im Moment sich wirklich gut anhört. Ich könnte Weihnachten mit meiner Grandma feiern, ich hab sie schon fast ein halbes Jahr nicht gesehen.< Rain ordnet ihre Gesichtszüge und schenkt mir ihr Therapeutenlächeln.
>Du meinst David...< Jetzt lacht sie wieder.
>Wir müssen aber vorher alle noch mal zusammen ausgehen, Alex hat auch schon gesagt, dass er dich vermisst und dich noch mal sehen will, bevor er Heim fliegt...< Sie verlagert ihr Gewicht nervös von einem Bein auf das andere.
>Lass uns am Freitag ausgehen, okay?< Ich zögere einen Moment, bevor ich nicke.
>Ich hab am Donnerstag einen Dreh und ich muss David fragen, ob er arbeiten muss, aber das bekommen wir bestimmt hin...und Rain? Mir tut es auch leid, dass ich einfach abgehauen bin...< Sie fällt mir in die Arme und gibt mir einen Kuss auf die Haare.
>Ich hab dich lieb, Purple. Wirklich.< Ich greife nach ihrer Hand. Ich hab dich auch lieb, Rain.

Musst du am Freitag arbeiten? Die anderen wollen gerne ausgehen. Ich schicke wie versprochen eine Nachricht an Forty und verabschiede mich von Rain, die mich eigentlich gar nicht gehen lassen will. Trotzdem bringe ich sie zum Wohnheim und bleibe davor stehen. Ich gehöre dort nicht hin. Nicht mehr. Genau so wenig gehöre ich nach Oakdale. Als ich mich umdrehe und mir die Haare aus dem Gesicht streiche, schaue ich rüber zur Bahnstation. Der Gedanke an mein Zuhause erfüllt mich mit so viel Ruhe und Wärme, dass ich es kaum erwarten kann anzukommen und den nächsten Trash-Weihnachtsfilm zu sehen. Es gibt eine Liste und einen strengen Zeitplan, damit man auch alles schafft. Und für mich gibt es Forty, dessen Augen glitzern, wie die eines kleinen Jungen, wenn er zum tausendsten Mal diesen Film anschaut und mir so unendlich viel Frieden damit schenkt. 

Möchstest du ausgehen? Ich muss bis 5pm arbeiten. Zuhause wartet eine Überraschung auf dich! Mit einem Lächeln steige ich in die Bahn. Vielleicht ist Zuhause gar kein Ort... sondern ein Gefühl.
>Wovon träumst du gerade, Lily? Ich hab dich noch nie so zufrieden gesehen.< Alex steigt in die Bahn ein und legt seinen Kopf schief, bevor er mich umarmt. Ich quieke fast ein bisschen, als er mich kurz hoch hebt.
>Du wohnst jetzt bei Forty, oder? Ich freu mich wirklich für euch beide, ihr passt echt gut zusammen...< Er zieht die Nase kurz nach oben und tippt mir dann auf meine.
>...als Mitbewohner meinst du?< Alex wird erst weiß und schließlich rot wie eine Tomate.
>Ähm, ja sicher...Rain meinte wir gehen am Freitag alle zusammen aus?< Er kratzt sich am Hinterkopf und vermeidet Augenkontakt. Hat Forty ihm gesagt, wir wären ein Paar? Dass er mich mag, also nicht nur als Mitbewohnerin sondern als seine Freundin? Oder war das einfach nur eine Schlussfolgerung, weil ich bei ihm eingezogen bin?
>Ja ich schätze schon, wie geht's Becca?<
>Gut, ja ihr geht's gut.< Alex schaut sich konzentriert die Bahnreklame an um mich bloß nicht ansehen zu müssen.
>Alex, möchtest du mir vielleicht was sagen?< Sofort wächst ein Stein in meiner Magengegend auf die Größe einer Orange an und bereitet mir Bauchschmerzen. Alex verhält sich merkwürdig. Oder?
>Lily, was soll ich denn sagen? Du bist bei einem Kumpel von mir eingezogen, einfach so, ohne was zu sagen und seitdem reden wir kaum noch miteinander. Ich, ich möchte nicht, dass einer von euch das bereut. Wenn du keine Gefühle für Forty hast, dann...< Jetzt schaut er mich doch an und sofort erstarre ich unter seinem Blick.
>...dann sag ihm das. Okay? Das was ihr habt ist viel zu wertvoll um das durch Schweigen wieder zu zerstören.< Als hätte er es zeitlich genau abgepasst hält die Bahn an seiner Haltestelle und er schwingt sich aus der Tür. Ich nicke nur stumm und verschränke die Arme vor meinem Bauch. Alex hat recht. Er verschwindet in der Dunkelheit, während ich mich am Griff der Bahn festklammere. Warum muss immer alles so unglaublich kompliziert werden? Hat Forty Erwartungen an mich, über die er mit allen anderen spricht, abgesehen von mir, oder macht sich Alex einfach nur Sorgen wie ein guter Freund? Ich wechsle die Bahn wie in Trance und lasse mich auf einen der Sitze fallen. Ich weiß nicht, ob ich seine Erwartungen erfüllen kann. Ich weiß nicht, ob ich seine Gefühle erwidern kann. Ich meine falls es da etwas gibt. Und ich weiß nicht wieso ich mich schon wieder genau so verloren fühle, wie früher.

SOCIAL ANXIETY (Toxic Traits Band 2)Where stories live. Discover now