[7] Joanne

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𝕴rgendwo am anderen Ende des Flurs weinte ein Kind, das hörte Joanne sofort, als sie nach den elendig langen Befragungen endlich aus dem Verhörraum trat

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𝕴rgendwo am anderen Ende des Flurs weinte ein Kind, das hörte Joanne sofort, als sie nach den elendig langen Befragungen endlich aus dem Verhörraum trat. Sie rollte mit den steifen Schultern und ignorierte, was auch immer Ruiz noch sagte. Sicher eine weitere Rede, dass sie hier das Sagen hatte und nicht Joanne. Das war ihr noch nie mehr egal gewesen.

Ohne eine Reaktion ging sie den Korridor herab, folgte dem Schreien. Ein Säugling, wie es klang. Warum kümmerte sich denn niemand um das arme Ding?

"Preston!", zischte Ruiz. Sie folgte ihr also.

Das fand Joanne allerdings ziemlich interessant. Dieser stählerne Wille, dieser kleine Funke in den Augen, den sie versuchte, zu unterdrücken, wenn sie sich aufregte. Das gefiel ihr. Sie hoffte, irgendwann würde sie vielleicht die Zeit haben, um ausgiebig auszutesten, welche Knöpfe man bei Camille Ruiz so drücken konnte.

Es war wohl gerade Schichtwechsel. Erschöpfte Polizisten sammelten ihr Habgut zusammen und verabschiedeten sich erleichtert, andere schienen mit einem Kaffee in der Hand und in gänzlich unterschiedlichen Stadien von Motivation gerade anzukommen. Kaum einer von ihnen drehte sich kein zweites Mal nach ihr um, als sie im Flur an ihnen vorbei lief.

Daran störte sie sich schon lang nicht wirklich mehr. Sie war groß, sie war schön, und sie strahlte Macht förmlich aus. Sie konnte es ihnen kaum verübeln.

Das Licht der Sonne, die vor kurzem aufgegangen war, fiel strahlend durch die großen Fenster auf beiden Seiten des Gangs, ließ die großen, satt grünen Blätter der Büropflanze erstrahlen und beinahe durchsichtig erscheinen, tanzte schimmernd auf der Oberfläche des Wassers im hohen Wasserspender. Es war wunderschön. Auch nach so vielen Jahren konnte sie sich an diesem Anblick nicht sattsehen, selbst, wenn ihre empfindlichen Augen schmerzten und sie immer Acht geben musste, dass das Licht nicht auf ihre bloße Haut fiel, die es sonst in wenigen Sekunden verbrannte. Aus ihrer Manteltasche zog sie eine Sonnenbrille und ein Paar dünne Seidenhandschuhe und legte beides an, um sich zu schützen. Für den Moment sollte das genügen.

Das Kind weinte immer noch, aber es war ganz nah. Irgendwo hier...

Schließlich sah sie die beiden durch die Glaswand des Warteraums. Ein Mädchen, vielleicht zwölf oder dreizehn, lief mit einem untröstlich weinenden Säugling auf dem Arm auf und ab.

Hinter sich hörte Joanne Ruiz' Schritte zum Stehen kommen.

"Bitte hör auf!", bettelte das Mädchen verzweifelt, hielt das schreiende Kind eine Armlänge vor sich. "Jetzt sei doch endlich leise!"

Joanne blickte hinter sich. "Helfen Sie ihr schon," drängte sie leise. "Das arme Mädchen."

"Nein." Ruiz sah gar nicht hin, sondern starrte irgendwo in die Leere.

"Meine Hilfe wird sie sicher nicht wollen."

"Nein," antwortete die Agentin stur. "Wir müssen zurück ins Büro."

Restless | ONC 2024 ✓Where stories live. Discover now