Kapitel 12

0 0 0
                                    

Liarya

Tirian kam erst spät am Abend zurück. Ich war schon fast eingeschlafen, als er die Tür aufstieß und mit einem lauten Knall wieder hinter sich zuschlug. Etwas schlaftrunken setzte ich mich auf.

„Alles okay?", murmelte ich verwirrt. Er nickte kurz bevor er in sein Bett stieg, mir den Rücken zudrehte und keinen Laut mehr von sich gab.

Nach einer Weile musste ich dann wohl auch eingeschlafen sein, denn als ich meine Augen wieder öffnete, schienen bereits helle Sonnenstrahlen durch das Fenster. In den meisten Geschichten wurde das Aufwachen durch Sonnenstrahlen meist als etwas beruhigendes, schönes dargestellt, in Wirklichkeit war es aber die Hölle. Wenn die Sonnenstrahlen so hell auf dein Gesicht schienen, tat es einfach nur in den Augen weh, selbst, wenn sie geschlossen waren.

Als ich meinen Blick nach rechts wandte, fand ich Tirian in der selben Position wie gestern vor, also hatte er entweder nicht geschlafen, oder er bewegte sich währenddessen einfach nicht. „Guten Morgen?", meine leise Stimme klang eher wie ein Frage als alles andere und als der schwarzhaarige sich langsam umdrehte und etwas, das verdächtig nach einem Guten Morgen klang, murmelte, schlich sich ein lächeln auf mein Gesicht. „Frühstück?", fragte ich lächelnd.

Tirian legte den Kopf etwas schief und Verwirrung legte sich über seine Gesichtszüge. Zusammen mit seinem etwas verwuscheltem Haar sah diese simple Geste unglaublich süß aus und ich musste leicht kichern. „Willst du mit mir gemeinsam etwas frühstücken gehen? Ich bin am verhungern", erklärte ich und er nickte, wobei ein kleines lächeln an seinen Mundwinkeln zupfte.

Etwas war heute anders. Bisher war Tirian nie so... emotional gewesen, zumindest nicht in meiner Gegenwart. Ich machte mich fertig und als ich mein Haar kämmte, betrachtete ich nachdenklich die blaue Farbe. Mittlerweile hatte ich mich etwas daran gewöhnt, allerdings gefielen mir meine weißen Naturhaare immer noch viel besser.

Da es in der Herberge, in der wir wohnten, nur Alkohol und grässlich schmeckende Suppe (ich sprach aus Erfahrung) zu geben schien, verließen wir das einfache Gebäude und machten uns auf den Weg Richtung Marktplatz. Tirian hatte alles versucht, es mir auszureden, die Herberge zu verlassen, aber ich war trotz seiner unbegründet gebliebenen Warnungen hinausgegangen und hatte ihm die Wahl gelassen, mitzukommen oder eben nicht.

Ich lief also voraus, während ein etwas mürrischer Tirian mir folgte. Allerdings war heute etwas seltsam, denn er schien die ganze Zeit auf der Hut vor irgendetwas zu sein, wollte mir aber weder sagen wovor, noch was er gestern Nacht gemacht hatte. Trotzdem beschlich mich das Gefühl, dass seine wütende Rückkehr gestern Nacht und sein jetziges Verhalten irgendwie zusammenhingen.

„Willst du zu einem bestimmten Laden?", durchbrach ich nach einer Zeit die Stille, die sich wie eine Gewitterwolke über uns gelegt hatte. „Nein." Wir gingen weiter. „Ich will zu einem Bäcker", versuchte ich es erneut. „Okay." Die Stimmung wurde schwerer, unangenehmer.

Beim Bäcker angekommen kaufte ich ein einfaches Fladenbrot, mein Reisebegleiter wollte nichts. Die gute Laune von heute morgen, wegen seines mini-lächelns war verflogen und der mürrische, stille Tirian war zurück. „Wenn wir schonmal hier sind, können wir auch gleich sehen, was es sonst noch so gibt, oder?", fragte ich, er nickte bloß.

Während ich also zufrieden mein Fladenbrot aß, liefen wir weiter durch die Straßen und ich liebte diesen Markt mehr als alles andere im Moment. Überall waren Händler, die einen verkauften Schmuck, die anderen Nahrung oder Medizin, einige boten Süßigkeiten an und sogar ein paar Straßenkünstler gab es. Am liebsten mochte ich einen Mann mit Hirschgeweih, der auf eben diesem einige Äpfel balancierte.

Als wir auch einen Formwandler gesehen hatten, der mithilfe seiner Fähigkeit ein Ein-Mann-Stück vorgeführt hatte, gab es nichts beeindruckendes mehr zu sehen, also machten wir uns auf den Weg zurück. Es war gerade mal Mittag, also hatten wir den ganzen Nachmittag Zeit, meine Flügel zu trainieren. Die Stimmung zwischen uns war auch nicht mehr ganz so bedrückend, allerdings hätte sie auch besser sein können. Tirian lief inzwischen neben mir und hin und wieder gab er auch seine Meinung zu einigen Dingen preis.

Plötzlich blieb er aprupt stehen, verwirrt tat ich es ihm gleich und drehte mich zu ihm. „Alles okay?", fragte ich besorgt, er wandte den Blick ab. „Hör mal, es gibt da etwas dass du wissen solltest. Ich-" eine tiefe Männerstimme unterbrach ihn. „Entschuldigen Sie, haben Sie diese junge Frau gesehen? Ihr name ist Liarya, sie wird vom Königreich Eldarmar gesucht."

Ein Eiskalter Schauer jagte mir über den Rücken. So schnell konnten sie doch nicht herausgefunden haben, dass ich hier war, oder?! Tirian murmelte einen Fluch, bevor er mein Handgelenk nahm und mich mit sich zog. Am hinteren Ende einer kleinen, dunklen Gasse blieb er stehen und warf einen Blick über seine Schulter. Selbst ich konnte einen Blick auf die beiden Soldaten werfen, die wohl gerade nach mir fragten. Einer der beiden Männer drehte sich in unsere Richtung.

Blitzschnell drückte mich Tirian mit dem Rücken gegen die kalte Mauer hinter mir und stellte sich so vor mich, dass der Soldat wahrscheinlich nichts erkennen konnte. Das erschrockene Keuchen das mir entwichen war, dämpfte er mit seiner Hand über meinem Mund.

Einige Minuten verharrten wir so. Ich mit dem Rücken zur Wand, seine raue, warme Hand auf meinem Mund und kein Blatt Papier hätte zwischen uns gepasst. Mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb so laut, dass ich befürchtete, Tirian würde es schlagen hören können. Das Blut rauschte in meinen Ohren und meine Augen geweitet vor Schock. Hin und wieder warf Tirian einen blick über seine Schulter, bewegte sich aber keinen Millimeter.

Unsere Atemzüge gingen schwer, lauter als normalerweise und ich konnte nicht sagen, ob es an der Situation, der Stille, oder der Nähe lag, aber mir war ganz heiß und ich befürchtete, mein Herz würde mir jeden Moment aus der Brust springen.

Die Stimmen der Soldaten waren längst verklungen, trotzdem wagte keiner von uns beiden, sich zu bewegen. Tirian wirkte auch nervös. Sein Atem ging mindestens so schnell wie meiner und seine Pupillen waren geweitet. Ich war mir beinahe sicher, dass, würde ich jetzt meine Hand auf seine Brust legen, ich sein Herz genauso schnell schlagen spüren könnte wie meines es tat.

Nachdem er sich vergewissert hatte, dass die beiden Männer weg waren, vergrößerte Tirian den Abstand zwischen uns wieder. Ich schnappte nach Luft und sank auf die Knie. „Alles okay?", fragte er zögerlich, aber meine Stille war wohl Antwort genug. Frustriert seufzte er, bevor er neben mir in die Hocke ging und im nächsten Moment schlangen sich starke Arme um mich. Es war ein seltsames Gefühl. Wärme, Sicherheit, Ruhe alles, was ich in dem Moment brauchte. Kurz atmete ich tief durch.

„W- wie zum Teufel haben sie herausgefunden, dass ich hier bin? Niemand sollte mitbekommen haben, dass ich Nularis verlassen habe?", fragte ich verwirrt und kurz spannte Tirian sich an. „Wer weiß. Wie gesagt, die Welt is gefährlich", sagte er ruhig und stand auf. Ich ergriff die Hand, die er mir hinhielt und ließ mich von ihm auf die Beine ziehen.

„Wir sollten trainieren gehen. Jetzt, wo man weiß, dass ich hier bin, will ich umso schneller lernen, mich selbst zu verteidigen", sagte ich entschlossen und dieses Mal stimmte Tirian mir zu und wir machten uns auf den Weg zu der kleinen Lichtung in dem Waldstück, immer darauf bedacht, von niemandem erkannt zu werden.

(K)ein Klischeehaftes MärchenWhere stories live. Discover now