Kapitel 4

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Liarya

Luna, Celi, ihr beide seid als nächstes dran. Stellt euch vor, ihr seid am Hof des Königs eingeladen. Wie verhaltet ihr euch?", fragte ich meine beiden besten Schülerinnen. Die beiden beherrschten die Etikette, die ich meiner Klasse mittlerweile beigebracht hatte wirklich perfekt.

Mittlerweile war ich schon seit fast zwei Monaten bei dem Phoenix Clan. Meine Schüler waren wirklich alle toll und ich könnte mir nicht mehr vorstellen, anders zu leben.

Zwar schienen mich die meisten Mitglieder der Familie immer noch nicht wirklich zu mögen, aber zumindest Ophelias Mann schien mich weniger abstoßend zu finden, denn mittlerweile warf er seiner Frau keine vernichtenden Blicke mehr zu, wenn sie mich mit zu ihnen an den Esstisch nahm. Obwohl das bestimmt auch daran liegen könnte, dass es eh nichts brachte. Ophelia und ich wurden inzwischen auch richtig gute Freundinnen. Dem gruseligen Familienoberhaupt begegnete ich in der Zeit auch nicht noch einmal. Gerade forderte ich meine Schüler dazu auf, ihre Kenntnisse in gutem Benehmen, die ich ihnen in der Zeit beigebracht hatte, unter Beweis zu stellen. Wie immer meisterten Luna und Celi die Aufgaben perfekt und das teilte ich ihnen auch mit, was beide zum Lächeln brachte. Ich liebte diese Kinder einfach. Egal wie unterschiedlich sie auch aussehen und sein mögen, behandeln sie einander doch wie die Familie, die sie auch waren. Apropos Familie, laut der Briefe von Anakin und Elora bemerkte der König mein Verschwinden erst, nachdem ich am nächsten Abend nicht zu dem "Entschuldigungstreffen" mit Prinz Orion erschienen war. Mein Bruder hatte nämlich recht behalten, mein Vater hatte mein Verhalten in der Situation als falsch betrachtet.

Selbst nachdem Andrius erfahren hatte, was Orion zu mir gesagt hatte, verlangte er immer noch von mir, dass ich mich bei ihm entschuldigen soll. Das schlimmste war aber, als Elora mir schrieb, dass mein Vater es sogar für richtig hielt, wie Orion mit mir sprach. Auf die Frage hin, was genau in dieser Nachricht stand, die dafür sorgte, dass ich hier bleiben durfte, sagte Anakin nur wieder, dass jeder seine Geheimnisse hätte. Elora schrieb mir vor kurzem, dass sie herausgefunden hätte, wie ich meinen Seelenverwandten trotzdem finden konnte, auch ohne Seelenseil. Das war natürlich eine tolle Nachricht, aber es brachte mir sowieso nichts, da ich von hier ja nicht weg konnte oder wollte. Bevor ich aber noch weiter in Gedanken versinken konnte, beendete ich den Unterricht und ging sofort auf mein Zimmer. Dort wartete Ophelia auf mich.

"Na, wie war der Unterricht? Noch ein paar Jahre, dann wirst du auch die Lehrerin von meinem Sohn sein. Ich kann es kaum erwarten!", rief sie aufgeregt und ich brachte nur ein schiefes Lächeln zustande. "Übrigens, heute wird diskutiert, ob und wann du vollständig in die Familie aufgenommen wirst", fuhr sie fort und löste in mir ein mulmiges Gefühl aus. Das stimmte, ich gehörte nicht zur Familie und war so von sämtlichen Feiern und dem Familienrat ausgeschlossen und das nervte, weil mir immer unter die Nase gerieben wurde, dass ich hier eine Fremde bin. Andererseits war ich mir nicht sicher, ob ich wirklich dazugehören wollte, denn die Regeln waren schon etwas seltsam. Erstmal musste man so schnell wie möglich heiraten und dann Kinder bekommen. Zweitens müsste ich dann jede Woche einmal am Familienrat teilnehmen, was bedeutet, dass ich erstens sehr lange Wachbleiben muss und zweitens wahrscheinlich nur da sitzen und zuhören würde, da ich mich weder mit Politik noch Magie sonderlich gut auskenne. Der einzige Vorteil wäre, dass man mich wahrscheinlich nicht mehr so feindselig anstarren würde, aber daran hatte ich mich mittlerweile auch gewöhnt.

"Verzeih meine Frage, aber was würde das bringen? Ich will nicht heiraten und schon gar keine Kinder bekommen. Außerdem wäre ich beim Familienrat überflüssig", entgegnete ich Ophelia und sie starrte mich fassungslos an. "Ich bin mir sicher er wird das verstehen. Bestimmt kann man dich in Magie und Politik unterrichten Du kannst auch einfach ein paar Monate später heiraten und Kinder bekommen, wenn du das Oberhaupt höflich bittest.", sagte sie dann und ich bekam das Gefühl, dass sie es einfach nicht verstehen wollte. "Zum hundertsten Mal in zwei Monaten: Ich WILL keine Kinder! Selbst wenn ich eine Heirat hinauszögern könnte, würde ich sicherlich nicht einfach so jemanden heiraten und ein Kind bekommen!", rief ich und schob Ophelia dann aus meinem Zimmer. Klar hatte ich überreagiert, aber es nervte mich, ihr immer und immer wieder das selbe sagen zu müssen.

Den Rest des Tages verbrachte ich in meinem Zimmer. Schmollend. Wenn es nach mir ginge, wollte ich gar nicht Teil der Familie sein. Es war schon mehr als okay, aber wie ich Ophelia jetzt kannte, würde sie es heute Abend sowieso zur Sprache bringen. Es blieb nur zu hoffen, dass jemand Einspruch erheben würde. Ich lag bis tief in die Nacht wach in meinem Bett. Normalerweise wartete ich, bis die Sitzung vorbei war und Ophelia in mein Zimmer stürmte, um mir die Ergebnisse mitzuteilen. Denn obwohl ich nichts von diesem langweiligen Zeug wissen sollte, erzählte sie mir immer jedes einzelne Detail, und manchmal ahmte sie sogar die Stimmen der anderen Mitglieder nach, oder sie versuchte es zumindest. Aber dieses Mal dauerte es wirklich lange, und so beschloss ich, einfach einzuschlafen. Wenn Ophelia mir wirklich noch einmal alles im Detail erzählen wollte, würde sie mich sicher wecken.

Aber sie tauchte für den Rest der Nacht nicht mehr auf....

Am nächsten Morgen schlug ich verwirrt die Augen auf. Normalerweise durfte ich doch nicht so lange schlafen, oder? Niemand hatte mich geweckt, und es war gespenstisch still. Totenstill. Niemand hatte die Fackeln im Korridor angezündet, es war also noch stockdunkel. Normalerweise machte mir das nichts aus, aber heute fühlte ich mich dadurch noch unbehaglicher. Da ich immer noch nicht wusste, was vor sich ging, führte mich mein Weg kurzerhand zu Ophelias Zimmer. "Ophelia? Bist du wach?", rief ich und klopfte leise. Aber ich bekam keine Antwort, also klopfte ich erneut, mit dem gleichen Ergebnis. Also legte ich langsam meine Hand auf die kalte Türklinke und drückte sie so langsam und leise wie möglich herunter. "Ophelia? Bist du da?", fragte ich und öffnete die Tür ganz, aber nur kalte, unheimliche Dunkelheit empfing mich. Niemand war hier, nicht einmal ihr Mann oder ihr Sohn, und das ganze Haus war still und dunkel. Als Nächstes ging ich in Richtung Speisesaal und hoffte, dass die gestrige Sitzung so lange gedauert hatte, dass die meisten der hier lebenden Menschen einfach noch schliefen. Das große Tor zum Saal schien heute schwerer zu sein als sonst, als ich es öffnete. Aber auch in dem Raum dahinter war es dunkel und keine Menschenseele zu sehen. "Ist hier jemand?", rief ich vorsichtshalber, aber wie ich erwartet hatte, bekam ich keine Antwort. Da ich nun wirklich ratlos war, lief ich in den letzten Raum, der mir einfiel.

Das Zimmer des Familienoberhaupts und gleichzeitig der Versammlungsraum. Es war zwar sehr unwahrscheinlich, dass die Versammlung noch stattfand, aber wenn nicht, wollte ich wenigstens mit dem Oberhaupt sprechen, denn der Mann wusste immer unglaublich gut, wo alle waren. Da ich nicht unhöflich sein wollte, klopfte ich zuerst, erhielt aber wieder keine Antwort. Ich hatte mich entschieden und öffnete langsam und vorsichtig die Tür. Sollten sie mir böse sein, weil ich das Zimmer ohne Erlaubnis betreten hatte, würde ich einfach sagen, dass ich mir Sorgen gemacht hatte, da im ganzen Haus niemand zu finden war. Innerlich bereitete ich mich schon darauf vor, dass mich alle Erwachsenen feindselig und abschätzig anstarren würden, auch das Oberhaupt. Und wenn ich gewusst hätte, was mich da drinnen wirklich erwartete, hätte ich mir im Nachhinein gewünscht, dass ich in der eben genannten Situation gelandet wäre.

(K)ein Klischeehaftes MärchenWhere stories live. Discover now