Kapitel 7

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Liarya

Nach einer Weile schien er zu merken, dass ich nicht mehr hinter ihm lief und er drehte sich um. "Überrascht dich das so sehr? Oder hast du jetzt Angst vor mir, Prinzessin?" Seine Frage überraschte mich etwas. "Ganz und gar nicht. Ich hatte nur nicht erwartet jemanden aus Nearon, dem wahrscheinlich geheimnisvollsten Land in ganz Avaglade zu begegnen. Es heißt doch, dass der König angeordnet hatte, die einzige Verbindung nach Thales im Meer zu versenken." antwortete ich und wir setzten unseren Weg fort. "Wie wollen wir eigentlich über die Grenze kommen?" fragte ich nach ein paar Minuten und Tirian zuckte mit den Schultern. "Über Thales, wie sonst?"

"Wie sollen wir denn da unbemerkt an den Grenzwachen vorbei- und auf eines der Schiffe kommen?" Tirian schnaubte, sagte aber nichts mehr und lief weiter.

Nach einer Weile wurden die Bäume weniger und der Schnee schmolz. Thales war eine wetterneutrale Insel. Während es in Nularis immer eiskalt war, in Eldarmar immer sehr hohe Temperaturen herrschten und in Aqarin Küstenklima war, wechselte das Wetter in Tahles zwischen all den Extremen. Nach ein paar weiteren Minuten kamen auch schon die Wachtürme der Grenze in Sicht. "Spätestens jetzt brauchen wir einen Plan. Wie sollen wir an den Wachen vorbeikommen wenn man in ganz Nularis nach mir sucht?" rief ich schockiert, erhielt aber von Tirian keine wirkliche Reaktion. "Gott du bist so ein langweiliger Reisebegleiter" jammerte ich woraufhin er nur trocken meinte, dass er nicht dachte, dass er auf meine Beschwerde, wie er es nannte, antworten sollte.

Wir kamen der Grenze nun immer näher und die Unruhe in mir wuchs mit jedem weiteren Schritt, doch Tirian hielt mich Kurzerhand auf, indem er plötzlich stehen blieb. "Kennst du Pech?" wollte der Mann vor mir dann wissen und drehte sich zu mir um. "Pech? Du meinst Unglück?" fragte ich verwirrt doch er blickte mich nur an und schüttelte den Kopf. "Nein, das Pech von den Schwarzkiefern. Damit färbst du deine Haare und so erkennt dich sicher niemand" erklärte er und jetzt starrte ich ihn an. "Meine Haare mit Pech färben?! Das geht doch nie mehr raus!" rief ich empört, aber Tirian ignorierte meine Proteste und ging zu einer Schwarzkiefer einige Meter von uns entfernt um etwas von dem schwarzen Baumharz zu gewinnen. "Wenn man dich mit mir als Begleitung erwischt bin ich tot und das weißt du genau. Vielleicht weißt du es nicht, aber weiße Haare und blasse Haut sind überaus selten. Und mit überaus selten meine ich, dass nur Bewohner von Nularis so aussehen können, nur die Königsfamilie, um ganz genau zu sein." meinte er trocken und hielt mir eine Art Schale aus Baumrinde hin. Mir grauste vor dem Gedanken, meine Haare mit diesem klebrigen Zeug zu beschmieren und als ich zögerte, fügte er noch hinzu "Wenn wir erwischt werden bin ich nicht nur tot, sondern du musst auch zurück und Orion heiraten. Was ist dir lieber?" er klang etwas genervt und da seine Begründung plötzlich sehr viel Sinn ergab, nahm ich die Baumrindenschale und tauchte zuerst meine Finger in das Pech und dann die ganze Hand. Nach und nach strich ich mir immer mehr von dem schwarzen Baumharz auf meine Haare und als nichts mehr übrig war, nickte der Schwarzhaarige vor mir zufrieden und lief wieder weiter. "Ich fühle schon, wie meine Haare verkleben" beschwerte ich mich jammernd. "Heul nicht Prinzesschen" schnaubte Tirian und für die nächsten Minuten ignorierte er mich auch mehr oder weniger. Nach und nach verklebten meine Haare immer mehr und das Pech härtete auch schön langsam aus.

Ruhe in Frieden, Haare...

Anstatt weiter auf die offizielle Grenze zuzulaufen, führte Tirian uns weiter Richtung Strand. Die Wellen waren ziemlich niedrig und das Wasser eiskalt, genauso wie der Sand gefroren war. Dort angekommen blickte ich fragend zu meinem Reisebegleiter. Er hatte doch einen Plan, oder?

"Stell dich gerade hin und strecke die Arme seitlich vom Körper weg", wies er mich an und ich tat einfach mal, was er sagte und streckte meine Arme seitlich vom Körper weg. "Und was jetzt?", fragte ich verwirrt und plötzlich schlangen sich zwei Arme von hinten um meine Taille. "Jetzt verlassen wir Nularis", antwortete Tirian und im nächsten Moment verschwand der Boden unter meinen Füßen und wir stiegen höher und höher in die Luft. Ich versuchte meinen Kopf so zu drehen, dass ich ihm ins Gesicht sehen konnte, aber das war nicht möglich, da ich meinen Kopf nicht wie Eulen um 180 Grad drehen konnte. Der Boden, auf dem ich noch vor wenigen Minuten stand wurde kleiner und kleiner. Die Aussicht war faszinierend. Unter uns erstreckte sich das dunkle, kalte Meer, dessen Grund unmöglich zu erblicken war. Vereinzelt ragten kleine inselartige Felsen aus dem Wasser, verschiedenste Möwen und andere Seevögel ruhten sich dort aus. Auf einem Felsen konnte ich sogar eine Meerjungfrau erkennen. Ihre grünlich-blauen Schuppen schimmerten in der Abendsonne, während die Kreatur die letzten wärmenden Sonnenstrahlen genoss. Ich hob leicht meinen Kopf an um nach vorne zu sehen und blickte direkt in den Wunderschönsten Sonnenuntergang, den ich jemals gesehen hatte. Der Himmel war in die verschiedensten rot-orange Töne gehüllt und spiegelte sich an der Meeresoberfläche wieder. Es war mit jedem einzelnen Meter den wir uns von Nularis entfernten zunehmend wärmer geworden und ich kam schön langsam wirklich ins schwitzen. Temperaturen von über Null Grad war ich einfach nicht gewöhnt, da half der Wind, der hier über dem Meer wehte und mir Tränen in die Augen blies auch nicht gerade viel. Weiter in der Ferne tauchte eine ziemlich große Insel auf. Sogar ein riesiges Gebäude konnte ich dort ausmachen. "Ist das die Hauptstadt von Aqarin?", fragte ich und bekam ein einfaches Ja als Antwort. Da ich aber aus bisherigen Unterhaltungen schloss, dass mein Reisebegleiter nicht sehr gesprächig war, fragte ich nicht weiter nach und genoss einfach weiter die Aussicht, während ich versuchte so gut wie eben möglich nicht zu sehr zu schwitzen.

Zu meiner Überraschung landete Tirian nicht wie erwartet direkt beim Hafen, sondern überflog auch die gesamte Stadt, bevor er am anderen Ende der Insel in einem kleinen Waldstück landete. Sobald meine Füße den Boden berührten, fiel ich auf die Knie. Meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding und anscheinend schien meinem erschöpften Körper genau in diesem Moment wieder einzufallen, dass immer noch die, mittlerweile wahrscheinlich entzündeten, Krallenspuren von einem der Wölfe auf meiner Wade prangten. Wir mussten mehrere Stunden geflogen sein, denn die Sonne war schon lange untergegangen und am Horizont konnte ich schon ganz leicht das Morgenrot erkennen. Erschöpft hob ich meinen Kopf und sah zu Tirian auf. Er stand nicht weit entfernt von mir und hatte seine Flügel immer noch ausgebreitet. Sie waren nicht so, wie ich mir Flügel immer vorgestellt hatte. Anstatt, wie in meiner Vorstellung, bunte Farben mit flauschigen Federn, waren seine Flügel pechschwarz und ledrig, wie die eines Drachen. Seine grünen Augen schienen heller zu leuchten als sonst und er starrte mich einfach nur an. "Ich habe dich nach Aqarin gebracht. Auf Wiedersehen. Meine Bezahlung werde ich später einfordern", sagte er, bevor er seine Flügel verschwinden ließ und sich zum gehen wandte. "Warte bitte!", rief ich, denn ich brauchte definitiv noch mehr Hilfe, da ich zum einen keine Ahnung hatte, was ich jetzt machen sollte, und zum anderen war an laufen gerade nicht zu denken, denn der Schmerz in meiner Wade war viel schlimmer als zuvor. Der schwarzhaarige Mann drehte sich tatsächlich um und sah mich mit einem fragenden Blick an. "Kann ich dich bitte um noch einen Gefallen bitten? Ich habe keine Ahnung wie ich jetzt weitermachen soll", erklärte ich leicht verzweifelt und als er mich schweigend ansah, seufzte ich. "Ich verdopple deine Bezahlung. Was auch immer du dir ausgedacht hast oder ausdenken wirst, ich verdopple es", fügte ich hinzu und für einen kurzen Moment glaubte ich, seine Mundwinkel nach oben zucken zu sehen. "Du weißt gar nicht wo du da hineingerätst, Prinzessin", murmelte er bevor er sich vor mich hinstellte. "Steh auf. Wenn du alleine in dieser Welt klarkommen willst musst du lernen, auf gar keinen Fall Schwäche zu zeigen. Sonst bist du ein exzellentes Ziel für jedes Lebewesen", wies er mich trocken an und ich tat mein Bestes, aufzustehen. Tatsächlich schaffte ich es irgendwie auf die Beine, der pochende Schmerz war aber immer noch da und ich hatte Mühe, nicht wieder zusammen zu sacken. "Gut. Dann gehen wir jetzt in die Stadt und suchen uns eine Unterkunft. Hast du Gold oder Edelsteine?", fragte Tirian und ich nickte und holte ein paar Rubine aus der Tasche. Er nickte nur zustimmend und lief dann in Richtung Stadttor, während ich versuchte ihm so gut es ging zu folgen.

Das Stadttor konnten wir ohne weitere Zwischenfälle passieren und nun liefen wir durch die Stadt. Der Mann vor mir wusste anscheinend genau, wo wir hin mussten und nahm sich auch nur selten die Zeit zu überprüfen, ob ich überhaupt noch hinter ihm war. Mittlerweile hatte sich zu dem konstanten, höllischen Schmerz auch noch Schwindel und Übelkeit gemischt sodass ich nun glaubte, jederzeit umzukippen. Vor einem kleinen Holzgebäude blieben wir letztendlich stehen. Ein Schild aus morschem Holz hing über der Tür und darauf stand in verschnörkelten Buchstaben: "Händlerkobold". "Wir gehen jetzt da rein, du reichst dem Kobold die Rubine. Soweit ich mich erinnern kann waren es fünf mittelgroße. Für alle fünf verlangst du 500 Goldmünzen, keine Münze weniger. Händlerkobolde sind hinterlistig, also lass dich nicht übers Ohr hauen, verstanden?", wies Tirian mich an und ich nickte, bevor wir gemeinsam den kleinen Laden betraten. Vor uns waren noch ein paar andere Leute an der Reihe und als endlich ich dran war, legte ich die fünf Rubine auf den Tresen, der mich von dem grünhäutigen Kobold trennte und nannte ihm den Preis. Mein Reisebegleiter lehnte etwas weiter weg an der Wand, beobachtete mich aber. Der Kobold zögerte. "Ich kann dir leider nur 400 Goldmünzen geben. Die Rubine sind von wunderbarer Qualität, aber es ist schon spät Abends und ich habe den ganzen Tag hart geschuftet um Münzen herzustellen. Leider habe ich keine 500 Goldmünzen mehr", sagte der Kobold und ließ den Kopf hängen. Ich erinnerte mich an Tirians Worte. "Wenn er dir keine 500 Goldmünzen aushändigen kann, sag ihm dass du sie woanders eintauschst" Also sagte ich dem Kobold genau das, woraufhin seine Augen traurig zu glänzen begannen. "A- aber ich habe eine Frau und Kinder zuhause, deren Mägen ich füllen muss! Bitte habt Gnade und nehmt die 400 Goldmünzen an!", flehte die Kreatur und augenblicklich bekam ich ein schlechtes Gewissen. "Na gut... aber nur dieses eine Mal", gab ich nach und der Kobold hörte augenblicklich auf zu betteln und schob mir 400 Goldmünzen über den Tisch. Ich schob die Rubine auch näher zu ihm, doch bevor er auch nur danach greifen konnte, landete ein Dolch direkt vor seinen Händen im Holz des Tresens und er zuckte mit einem leisen Fluch zurück, sodass er sich die Rubine nicht schnappen konnte.

(K)ein Klischeehaftes MärchenWhere stories live. Discover now