Kapitel 11

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Liarya

Vergiss es." „Aber warum nicht?" Seit ein paar Minuten diskutierten Tirian und ich nun schon hin und her. „Nenn mir doch wenigstens einen Grund!", rief ich wütend. „Ich bin kein Lehrer." „Einen guten Grund", konterte ich. „Du musst mir einfach nur zeigen wie du es gelernt hast." Trotzig blickte ich zu ihm auf. „Das würde zu lange dauern." Stur blickte er zurück, ich kam mir wie ein kleines Kind vor, das einfach nicht nachgeben wollte. „Wir haben doch Zeit. Du meintest für die Edelsteine bekommen wir genug Goldmünzen dass wir für ein Jahr hier bleiben können!", argumentierte ich und Tirian sagte nichts mehr. Keine Gegenargumente mehr übrig, was? Ha! Mein Reisegefährte stieß ein genervtes seufzen aus. „Was an einem klaren Nein verstehst du bitte nicht?" Innerlich verzweifelte ich, denn mittlerweile hatte ich alle möglichen Argumente die mir einfielen um ihn zu überzeugen, mir Schwertkampf und Magiekunst beizubringen, dargelegt und doch hatte ich keine Erfolge erzielt. Alles bis auf... „Was wenn ich den Preis verdreifache? Lernst du mir dann Magie und Schwertkunst?", fragte ich und Tirian blinzelte mich verblüfft an. „Warte was?" Es entstanden ein paar Sekunden Stille, in denen wir uns wieder nur anstarrten. „Was wäre, wenn ich den Gefallen, den ich dir schulde, noch einmal erhöhe? Dann bekommst du das Dreifache von dem, was ich dir ursprünglich schuldete", grinste ich, hoffend, dass er endlich zustimmen würde. „Weißt du überhaupt, worauf du dich da einlässt? Ich könnte alles von dir verlangen." Irgendwie hatte ich das ungute Gefühl, dass er nicht bloß versuchte, mich einzuschüchtern und dass auch noch etwas anderes dahinter steckte. Tirian seufzte und öffnete die Tür. „Heute nicht, denn ich habe was zu tun. Morgen fangen wir dann wenn es sein muss mit Magie an. Erwarte bloß nicht, dass es einfach wird", knurrte er und als ich fragte, was er zu tun hatte zischte er nur noch ein kurzes „Geht dich nichts an" und verließ das Zimmer.

Am nächsten Morgen fühlte ich mich ganz hibbelig, so aufgeregt war ich. Der Tag davor war furchtbar langweilig gewesen, denn Tirian war erst am Abend wiedergekommen und hatte mich dann auch einfach ignoriert. Am Morgen weckte er mich dann in aller Herrgottsfrühe um mir alles beizubringen, so wie er es gesagt hatte. Trotzdem war ich Hundemüde und als er schon wieder ohne auf mich zu warten einfach das Zimmer verließ, atmete ich genervt aus und fragte mich, was er wohl gegen mich hatte. Trotzdem folgte ich ihm hastig aus dem Zimmer und schloss die Tür ab.

Wir verließen die Stadt und gingen durch ein wirklich winziges Waldstück bis wir auf einer kleinen Lichtung ankamen. Dort drehte Tirian sich zu mir um. „Da dein Bein verletzt ist, fangen wir mit der Nutzung von Magie an. Außerdem werde ich dir beibringen, wie du deine Flügel benutzt." Zögerlich nickte ich. Das würde sicher ein langer Weg werden... Trotzdem bemühte ich mich, so enthusiastisch wie möglich zu wirken. „Also, womit fangen wir an?", fragte ich und lächelte dabei. Kurz seufzte der Schwarzhaarige und ich hätte schwören können, dass er die Augen verdrehte. „Erstmal bring ich dir bei, wie du deine Flügel überhaupt zum Vorschein bringen kannst. Dreh dich um", wies er an und ich tat wie befohlen. Dann spürte ich plötzlich seine Hand auf meinen Schulterblättern und zuckte zusammen. Tirian schien das zu bemerken und erklärte daraufhin, dass er erstmal fühlen müsste, wo meine Flügel überhaupt waren. Ich verstand es nicht und akzeptierte es einfach, denn wie konnten denn bitte Flügel unter meiner Haut sein? Das hätte ich doch wohl bemerkt. Ein paar Minuten vergingen in denen Tirian in voller Stille meinen oberen Rückenbereich abtastete und schließlich wohl fündig wurde, denn er platzierte jeweils beide Zeige- und Mittelfinger zwischen meinen Schulterblättern und drückte zu. Und zwar fest. Und keine zehn Sekunden später fühlte sich die Haut an beiden Stellen heiß an und ich bekam das Gefühl, als wäre sie dort viel zu eng.

Das Gefühl wurde immer schlimmer und es schmerzte höllisch, bis letztendlich mit einem grässlichen Geräusch die Haut riss und der Druck abnahm, der Schmerz wurde dafür aber umso mehr. „Was zur Hölle?", keuchte ich erschrocken und drehte mich um. Mein Reisebegleiter starrte mich einfach nur an. „Das ist normal. Bei Kindern ist der Schmerz nicht ganz so stark. Aber es hat sich gelohnt", sagte er und ich schaute ihn fragend an. Er ging hinter mich und als ich den Kopf so gut es ging zur Seite drehte, hielt er einen wunderschönen, schneeweißen Flügel hoch. „Wow!", staunte ich und traute meinen Augen kaum. Eine Zeit lang standen wir einfach nur so da und ich bewunderte meine beiden Flügel. „Wenn der Schmerz nachlässt, solltest du spüren können, wenn ich sie berühre." Ich nickte nur und da meine Füße wehtaten, setzte ich mich auf den Boden. Die Stelle schmerzte noch immer ziemlich stark und laut Tirian blutete ich auch. Kein Wunder wenn man bedenkt, dass diese Dinger gerade meine Haut aufgerissen hatten. Wir warteten also und währenddessen fragte ich Tirian alles mögliche. Wieso er hier war, wie es in Nearon so war, wieso er sich entschlossen hatte, mir zu helfen und vieles mehr. Auf den Großteil der Fragen bekam ich nicht die Antworten, die ich wollte und meistens wich er aus, aber das war mir egal, denn wenigstens konnte ich zum Ersten Mal ein ordentliches Gespräch mit ihm aufbauen.

„Wir versuchen es noch einmal. Konzentriere dich ganz genau, ob du meine Berührung spüren kannst", wies er mich dann an und ich nickte. Langsam legte Tirian seine linke Hand auf einen Flügel und tatsächlich spürte ich etwas. Es kitzelte leicht und ich musste kichern. „Was ist so lustig?", fragte der Schwarzhaarige verwirrt und hörte auf meinen Flügel zu berühren. „Nichts. Es kitzelt nur", lächelte ich und er nickte kurz, bevor er aufstand. „Jetzt zeige ich dir noch, wie man sie wieder verschwinden lässt und dann gehen wir zurück. Es ist schon ziemlich spät." Verwirrt sah ich mich um und bemerkte, dass es bereits dämmerte. Waren wir wirklich den ganzen Tag hier gewesen? Ein leichtes Lächeln legte sich auf meine Lippen als mir klar wurde, dass ich mich tatsächlich den ganzen Tag mit meinem Reisebegleiter unterhalten hatte, obwohl er normalerweise nicht viel sagte. Als sich dann auch noch mein Magen mit einem lauten grummeln meldete, stand ich schließlich auf und blickte Tirian erwartungsvoll an. „Im Grunde musst du eigentlich nur deine ganze Konzentration auf die Flügel lenken und dann stell dir einfach vor wie sie ganz langsam wieder verschwinden." Zögernd schloss ich die Augen und tat also genau das.

Es passierte aber nichts. Mein Reisebegleiter forderte mich auf, es noch einmal zu versuchen, was ich auch tat. Diesmal versuchte ich, so gut es ging, mir die Situation bildlich vorzustellen. Ich konzentrierte mich auf meine weißen, mit flauschigen Federn bedeckten, Flügel und darauf, wie sie sich langsam wieder zurückzogen. Kurz spürte ich auch etwas und als ich die Augen wieder öffnete, schüttelte Tirian seufzend den Kopf. „Das musst du wohl auch noch besser üben...", murmelte er, bevor er seine Finger wieder auf die Stelle, wo jetzt die Flügel aus meinem Rücken ragten, legte und plötzlich kribbelten die Stellen ganz seltsam und ehe ich mich versah, waren die Flügel verschwunden. Dann lief er, ohne ein weiteres Wort, von der Lichtung und ich folgte ihm. Den restlichen Weg zurück durch den winzigen Wald und durch die Stadt bis zur Taverne verbrachten wir in angenehmer Stille. Kaum hatten wir die Taverne betreten, schlug uns der Geruch von Alkohol und Essen, sowie die lauten Unterhaltungen der Gäste entgegen. Wir beeilten uns also, durch den überfüllten Raum bis zu der kleinen Hintertüre zu kommen und die Treppen in den zweiten Stock hinaufzusteigen. Vor unserem Zimmer stutzte Tirian bevor er sich zu mir umdrehte. An seinem Gesichtsausdruck merkte ich, dass irgendetwas nicht stimmte.

„Was ist?" Er runzelte die Stirn bevor er einen Schritt zur Seite trat und die Sicht auf die Zimmertür freigab. Im Schloss steckte der Schlüssel, den ich anscheinend vergessen hatte mitzunehmen. „Ups..", murmelte ich und er seufzte nur, diesmal klang es ein wenig wütend. Dann schloss er die Türe auf, bedeutete mir, vor ihm das Zimmer zu betreten und stellte dann persönlich sicher, dass er den Schlüssel auch bei sich hatte. „Wenn etwas fehlt, ist das deine Schuld", knurrte er genervt und ich nickte beschämt, bevor ich zu meinem Reisebeutel lief und nachsah, ob etwas fehlte. Zu meinem Glück waren alle Sachen die mir gehörten noch da und auch Tirian schien nichts zu fehlen. Der Schwarzhaarige ging zur Tür und drehte sich zu mir um. „Nimm ein Bad. Das entspannt die Muskeln und hilft vielleicht. Ich gehe solange nach draußen." Nickend drehte ich ihm den Rücken zu und sah, dass die Waschschüssel bereits Wasser befüllt war. Ohne zu zögern schnappte ich mir also wieder frische Kleidung und stellte den Paravent nur zur Sicherheit auf, bevor ich mich meiner Klamotten entledigte und langsam in die Waschschüssel stieg und mir den Tag nochmal durch den Kopf gehen ließ.

(K)ein Klischeehaftes Märchenحيث تعيش القصص. اكتشف الآن