Kapitel 7 - Die Strafe

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Irgendetwas stimmte nicht. Adrian starrte in den Spiegel und versuchte, zu ergründen, woran es lag. Es sah falsch aus. Er fluchte.

»Lass mich dir doch helfen!«, sagte Csilla ungeduldig. 

Adrian verdrehte die Augen. Er kam sich vor wie ein Versager. Er konnte nicht einmal ein Hemd anständig zuknöpfen! 

Csilla kicherte. Sie trat näher heran und knöpfte das Hemd wieder auf. Dabei warf sie ihm vielsagende Blicke unter ihren dichten Wimpern zu und grinste über das ganze Gesicht. Adrian wurde rot. 

»Das ist wirklich nicht komisch«, sagte er.

»Du musst wirklich keine Angst vor ihm haben«, versicherte sie ihm, »Ich habe ihm alles erklärt. Er wird dir nichts tun.«

Panik galoppierte durch Adrians Adern. Er zwang sich, tief durchzuatmen. Tamás Bethlen konnte ihn auf eine Bohrinsel verfrachten oder ihn mit Betonschuhen im Rhein versenken.  Man munkelte, dass er sogar seinen Bruder einmal auf eine Bohrinsel verfrachtet hatte, weil er die Familie verraten hatte. Was würde er mit ihm machen? Auf jeden Fall würde er den größtmöglichen Abstand zwischen ihn und seine Tochter bringen. Adrian würde das jedenfalls tun, wenn seine Tochter entführt worden wäre. 

Das Hemd hing offen an ihm. Csilla richtete den Kragen und zog den Stoff glatt. Sie lächelte ihm aufmunternd zu. In diesem Moment öffnete sich die Tür und Tamás Bethlen warf einen Blick in das Zimmer und auf Csilla und Adrian. Er runzelte die Stirn und räusperte sich. 

»Seid ihr soweit?«, fragte er. 

Adrian schluckte und wünschte sich ein Mauseloch, in dem er verschwinden konnte.

»Ja, Papa.« 

Csilla knöpfte in Windeseile das Hemd zu, und sie folgten Tamás Bethlen über den mit schwerem Teppich ausgelegten Flur der Bethlen Suite. Für Adrian fühlte es sich an wie der Gang aufs Schafott. 

Drei Tage waren seit den Ereignissen auf dem Parkplatz vergangen. Adrian hatte sich nicht allein zurückverwandeln können und den Rest seiner Wolfszeit im Keller des Bethlen Plaza verbracht, wo Csilla nicht von seiner Seite gewichen war. Drei Tage lang war sie da unten bei ihm geblieben und hatte ihm die meiste Zeit aus der »Unendlichen Geschichte« vorgelesen. Sie hatten das Buch fast durch. 

Ihre Hand schob sich in seine auf dem kurzen Weg in das Arbeitszimmer ihres Vaters, das am Ende des langen Flurs lag. Es war ein geschmackvoll eingerichteter, großer Raum mit Gemälden und deckenhohen Eichenregalen mit Büchern und Aktenordnern an den Wänden. Bodentiefe Fenster gewährten einen grandiosen Blick auf die Stadt, doch Adrians Stimmung war zu bedrückt, als dass er sich über die Aussicht hätte freuen können. 

Bethlen nahm hinter seinem schweren Eichenschreibtisch Platz und bot ihnen mit einer Geste Plätze auf den Ledersesseln ihm gegenüber. Csilla ließ sich entspannt auf den Sessel fallen und schlug die Beine übereinander. Adrian setzte sich kerzengerade auf die äußerste Kante des Sessels. Den Blick heftete er auf seine Füße. 

Die Tür hinter ihnen öffnete sich. Eine umwerfend aussehende Frau kam herein. Sie war nicht groß, aber sie strahlte eine kraftvolle Präsenz aus, die Adrian den Atem anhalten ließ. In der Art, wie Bethlen sie ansah, lag etwas Heiliges. Sie hatte kurze, dunkle Haare und mandelförmige Augen und ein hinreißendes Lächeln. Sie stellte ein Tablett mit Keksen auf den Tisch, wobei sie die Hand Bethlens sanft strich, und setzte sich auf einen weiteren Sessel nahe dem Fenster. Adrian wurde klar, dass es sich bei ihr um Csillas Mutter handeln musste, Sophia Bethlen. Etwas schockiert sah er zu Bethlen, der sichtbar über vierzig war. Seine Frau wirkte kaum ein Jahr älter als ihre Tochter.

»Fangen wir an?«, fragte sie, »Der Junge stirbt noch vor Aufregung.«

»Mama!«, rief Csilla entrüstet.

Der Kuss des Mondes - Darkadier-Chroniken: Bethlen-Wölfe 1Where stories live. Discover now