Kapitel 6 - Die Entführung

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Die Wärme in seiner Brust hatte sich zu einem Ball aus Energie und Hitze gesteigert. Das Blut in seinen Adern rauschte und belebte ihn mit einer Wut, die er noch nie zuvor empfunden hatte.

»Hey, was glotzt du so finster? Du wirst doch auf einmal kein schlechtes Gewissen kriegen?«, rief David. Er nahm Csilla in den Schwitzkasten und hielt den Lauf der Waffe an ihre Schläfe. »Stehst du etwa auf die Braut?«

Adrian biss die Zähne zusammen. Ein Grollen kam tief aus seiner Kehle. David war unbeeindruckt. Er lachte.

»Mach dir nichts draus, Kleiner. Die ist eh nicht ganz deine Kragenweite.«

Adrian schluckte seine Wut herunter.

»Was hast du mit ihr vor?«

»Ich übergebe sie dem, der mich bezahlt.«

»Und wer ist das?«

»Guck auf die Straße, Kleiner.«

David ließ Csilla wieder los. Sie starrte ihn wütend und voller Abscheu an. Adrian bog um eine letzte Ecke, ehe sie den Parkplatz erreichten, den David ihm genannt hatte. Er hielt Csilla wieder die Pistole an die Schläfe, als sie ausstiegen, und er beäugte Adrian argwöhnisch. 

Adrian stieg ebenfalls aus und überlegte fieberhaft, was er tun konnte, um Csilla zu retten. David war ein Halbdämon und an Schnelligkeit und Kraft nicht zu unterschätzen. Adrian konnte unmöglich riskieren, dass sich aus Versehen ein Schuss löste, der in Csillas Kopf landete. Er sah sich aufmerksam nach irgendetwas um, das ihm helfen konnte. Der Parkplatz war leer. Sie befanden sich in einem abgelegenen Industriegebiet, und es war Sonntag Abend. Niemand und nichts würden ihnen hier zu Hilfe eilen. 

Ein Fahrzeug näherte sich und hielt in knapp zehn Metern Entfernung. Der Fahrer, ein beachtlich großer Kerl, stieg aus. Adrian erschrak, als er ihn erkannte. Es war Jean. Er kam näher und brach in Gelächter aus, als er ihn sah.

»Na, was sagt man dazu, das wird ja immer besser! Ich muss dir eine Provision zahlen, Kleiner. Erst sorgst du für die perfekte Ablenkung und jetzt kann ich dir auch noch die Entführung der Prinzessin in die Schuhe schieben!«

Er stand direkt vor ihnen und legte mit einem zufriedenen Grinsen seine Hand unter Csillas Kinn.

»Mein Boss wird sehr zufrieden sein«, erklärte er und reichte David eine Rolle Geldscheine. Der nahm das Geld und ließ dabei die Waffe sinken. 

Adrian nutzte die Chance. Die Hitze in seiner Brust war durch Jeans Lachen ins Unerträgliche explodiert. Er überließ seinem Wolf die Führung. Mit einem Brüllen stürzte er sich auf Jean und riss ihn zu Boden. 

Seine Gestalt änderte sich im Sprung. Zum ersten Mal dauerte die Verwandlung weniger als zwei Sekunden, aber nicht nur das: Adrian nahm bewusst wahr, was in seinem Körper passierte. Seine Knochen und Sehnen verlängerten und verkürzten sich, und sein Rückgrat änderte seine Form. Er spürte keinerlei Schmerz dabei, nur Kraft. Bei seiner Landung auf Jean bedeckte Fell seinen gesamten Körper, und er sah etwas in Jeans Augen, das er noch nie gesehen hatte: Angst. Vor ihm. 

Jean hatte keine Zeit, um sich zu verwandeln. Adrian biss ihm tief in die Schulter und schleifte ihn einige Meter über den Asphalt. Jean versuchte, sich zu wehren, doch ihm blieb nur, seine Arme über den Kopf zu halten und sich zusammenzukrümmen. Adrian stürzte sich wieder auf ihn, bereit, ihm die Kehle herauszureißen, doch ein Schuss hielt ihn ab. 

In Panik, Csilla könne getroffen sein, drehte er sich um. David hatte in die Luft geschossen und richtete die Waffe auf sie. Adrian knurrte und tapste langsam auf sie zu. David wirkte nervös, Adrian konnte seine Angst riechen. Er fand Gefallen daran und knurrte wieder. 

»Keinen Schritt näher!«, rief David warnend und zielte auf ihn. Seine Hand zitterte.

David achtete er nicht auf Csilla, die sich ihres Knebels und der Handschellen entledigt hatte und sich ihm näherte. Ihr Gesichtsausdruck war grimmig, als ob sie sich auf ihn stürzen wollte. David musste sie im Augenwinkel gesehen haben, denn er wandte sich ihr zu. 

Adrian riss ihn mit einem Sprung zu Boden und begrub ihn unter seinen Tatzen, die ihm noch nie so groß vorgekommen waren. Er knurrte ihn an und zeigte ihm seine Zähne, bis er das Klicken der Pistole hörte. Csilla hatte die Waffe, die David fallen gelassen hatte, aufgehoben und zielte auf David.

»Lass ihn, Adrian. Mein Vater wird sich seiner annehmen«, sagte sie. Ihre Stimme klang sachlich und konzentriert. 

Adrian schüttelte seinen Kopf. Er hatte ihre Worte gehört, und doch fiel es ihm schwer, sie zu verstehen. Zum ersten Mal nahm er sich bewusst als Wolf wahr. Er schnupperte in ihre Richtung und ein Grollen kam aus seiner Kehle, so laut, dass er selbst erschrocken zusammenzuckte. Sie kam näher und strich ihm über den Rücken, eine Berührung, die ihm sehr gefiel.

»So siehst du also als Wolf aus«, sagte sie leise. 

Er wendete den Kopf in ihre Richtung, und sie hob eine Augenbraue.

»Gefällt mir.«

Er wedelte mit dem Schwanz. Eine Bewegung im Hintergrund zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Jean war zu seinem Auto gekrochen und eingestiegen. Der Motor sprang an, er fuhr davon. Adrian grollte und sprang mit großen Schritten hinterher, aber Csilla pfiff ihn zurück. 

»Lass ihn!«, rief sie, die Waffe weiter auf David gerichtet, »Meine Brüder werden ihn kriegen.«

Adrian haderte, bevor er von der Verfolgung abließ. Er trottete zurück zu ihr und strich um ihre Beine. Sie legte David Handschellen an. Dann hielt sie ihm die Waffe an den Kopf und nötigte ihn zum Einsteigen in den Van. Adrian, immer noch in seiner Wolfsgestalt, stieg hinten ein und bewachte ihn. 

Csilla setzte sich ans Steuer. Sie fluchte leise, bückte sich und warf ihren Schuh auf den Beifahrersitz. Dann gab sie Gas.

Der Kuss des Mondes - Darkadier-Chroniken: Bethlen-Wölfe 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt