Kapitel 1 - Bethlen Plaza

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Seinen Boss zu bestehlen, war weder richtig noch legal. Und doch würde Adrian es tun. Er brauchte das Geld. Und er stahl es ja nicht für sich. Genau genommen stahl er es ja nicht einmal selbst. Er ließ nur die Einbrecher herein.

»Hey Adrian«, sagte Bernd, der Wachmann im Foyer des Bethlen Plaza. 

Er nickte Adrian zu, der einen vollgeladenen Wäschewagen an ihm vorbeischob. Die Klänge von »The Final Countdown« schallten leise aus Bernds kleinem Radio zu ihm herüber.

»Hey Bernd«, erwiderte Adrian mit einem Nicken und wunderte sich, wie entspannt er klang. 

Er wippte mit dem Kopf im Takt der Musik. 

»Für wen bist du?«, rief Bernd ihm hinterher. 

»Léon natürlich.«

»Er ist dein Freund, deswegen«, sagte Bernd, »aber er hat keine Chancen gegen Jean. Er ist der Champion.«

»Heute wendet sich das Blatt!«

Bernd schüttelte lachend den Kopf, drehte das Radio einen Strich lauter und sang mit. Adrian war um eine Ecke gebogen und hatte den hinteren Teil des Foyers erreicht. 

Die Lobby lag dunkel und verlassen vor ihm. Der großzügige Sitzbereich mit den teuren Ledergarnituren war verwaist, die Bar unbesetzt. Die Gäste saßen zwei Stockwerke tiefer in der Kellerarena des Bethlen Plaza, um sich den Werwolfkampf anzusehen.

Adrian sah auf die Uhr: Showtime. Er drückte auf den Lastenaufzug. Der Fahrstuhl machte »Ping« und er schob seine Fracht hinein, aber so, dass sie den Schließmechanismus blockierte und den Aufzug anhielt. Er warf einen Blick um die Ecke zu Bernd, der in seine Sportzeitschrift vertieft war. Im Radio berichteten die Nachrichten über neue Erkenntnisse zum »Challenger«-Unglück, doch Adrian hörte nicht genau hin. 

Geräuschlos bewegte er sich in Richtung des Personaltreppenhauses und öffnete die Tür zum hinteren Parkplatz. Den Schlüssel hatte er sich von Louis geborgt, ohne zu fragen. Fünf schwarz gekleidete Gestalten mit vermummten Gesichtern, die draußen gewartet hatten, schoben sich an ihm vorbei.

Eine Welle aus Adrenalin pumpte durch Adrians Körper und ihm wurde heiß. Er schloss die Tür hinter ihnen, sein Part war damit erledigt. Die Einbrecher liefen lautlos und mit einer Präzision die Stufen hinauf, die Adrian den Punks nie zugetraut hätte. 

»Gut gemacht, Kleiner. Komm morgen Abend, kurz vor Sonnenuntergang«, raunte David ihm im Vorbeigehen zu, ehe er den anderen folgte. 

Ihr Ziel war das oberste Stockwerk, die private Suite der Familie Bethlen. Adrian wollte lieber nicht wissen, was sie vorhatten. Bisher hatten sie an anderen Stellen des Hotels gestohlen, nie da oben. 

Sein schlechtes Gewissen kratzte an ihm, aber er tröstete sich damit, dass sein Boss reich genug war, um jedweden Diebstahl zu verkraften. Außerdem war er versichert. Und er war selbst kein Heiliger. Im Knast hatte Adrian viele üble Geschichten gehört, und der Name »Tamás Bethlen« war dabei oft gefallen. Also kein Grund für ein schlechtes Gewissen. Adrian atmete tief durch und bemühte sich, seinen Herzschlag auf ein Normalmaß zu regulieren. 

Der Wäschewagen stand unverändert in der Aufzugtür. Bernds Radio spielte »Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein« von der Münchner Freiheit. Adrian verdrehte die Augen, sang aber in Gedanken mit. Er schob den Wäschewagen in den Fahrstuhl und fuhr abwärts. Er schwitzte. Der Wolf in ihm war rastlos. Der Vollmond nahte, und der Mensch in ihm kämpfte gegen jenen Urinstinkt, der ihn Monat für Monat unter heftigen Schmerzen zu einer Verwandlung zwang. Seine Eingeweide zogen in alle Richtungen – ein sicheres Zeichen, dass es bald so weit war. 

Der Kuss des Mondes - Darkadier-Chroniken: Bethlen-Wölfe 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt