Kapitel 1 - Bethlen Plaza

Beginne am Anfang
                                    

Mit einem »Ping« entließ ihn der Fahrstuhl in den Keller. Adrian durchquerte einen unaufgeräumten Lagerraum und schob die Wäsche in die Hotelwäscherei. Dabei summte er gedankenverloren den Refrain von »Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein« und ärgerte sich darüber, dass der Song sich in seinem Kopf festgebissen hatte. 

Louis, sein Vorgesetzter, wartete im Büro, einer ehemaligen Besenkammer. Er war ein älterer Werwolf mit einem nicht salonfähigen Humor und imposanten Koteletten. Seinen Overall, den er normalerweise trug, hatte er gegen einen Anzug getauscht, der seine besten Zeiten in den Sechzigern hinter sich gelassen hatte. 

»Da bist du ja, Junge. Pass auf, du musst gleich nochmal rauf. Chantal, du weißt schon, die Brünette mit den Möpsen...«, er grinste Adrian zu und knuffte ihm den Ellbogen in die Seite, »Na, also Chantal, unser schöner Neuzugang im Wellness, hat gerade angerufen. Da waren noch späte Gäste, und sie hat noch einen Haufen Handtücher und Bademäntel.«

»Ok, ich geh gleich rauf.«

»Ich würde sie nicht zu lange warten lassen. Die Braut ist echt heiß. Junge, die würde ich gern mal zum Stoßgebet bitten.«

Louis lachte sein heiseres Lachen und bekam einen Hustenanfall, der nach Tuberkulose und Lungenkrebs klang. Adrian verdrehte die Augen. Der alte Werwolf war unverbesserlich. Er schaute jedem Rock hinterher und brachte Adrian gern in Verlegenheit, indem er wildfremde Frauen ansprach, ob sie nicht mal mit Adrian ausgehen wollten. 

»Wir sind geborene Jäger, Junge. Du wurdest nicht mit diesem Trieb geboren, wenn du ihn nicht einsetzen dürftest«, pflegte er zu sagen. 

Dabei übersah er, dass Adrian anders war als die meisten Werwölfe: Er kannte diesen »Trieb« nicht. Technisch gesehen war er ein Werwolf, aber er hatte in seinem Wesen nichts mit Léon oder Louis gemeinsam, der ihn nun mit der Zigarre im Mundwinkel musterte.

»Alles in Ordnung, Junge? Du bist so käsig. Hast du heute schon was gegessen? Ich rufe Denise aus der Küche an. Die soll dir ein Sandwich machen.«

Er nahm den Telefonhörer in der Hand und drehte an der Wählscheibe. Adrian rollte mit den Augen. 

»Ja, alles gut. Ich mach nur die Wäsche und hole dann die Sachen von oben«, sagte Adrian, wobei er Louis fest ansah, um ihm zu demonstrieren, dass wirklich alles in Ordnung war und er nicht gerade fünf Einbrecher in die Bethlen-Suite hineingelassen hatte. Louis zog seine Nase kraus und die Augen zu schmalen Schlitzen. Dann zuckte er die Schultern, legte den Hörer wieder auf, und schüttelte den Kopf.

»Das mach mal, Junge. Wir sehen uns später beim Kampf! Wenn du dich beeilst, schaffst du es noch rechtzeitig.«

Adrian nickte. Er schob seinen Wagen in den Hauptraum der Wäscherei und manövrierte ihn durch die engen Reihen gestapelter Hemden, Handtücher und Bettwäsche bis in den hinteren Teil des Raumes. Er befüllte die Waschmaschinen mit der Wäsche, Waschpulver und Weichspüler und stellte sie an. Es war eine monotone Arbeit, bei der seine Gedanken wieder zu seinem Verrat zurückkehrten.

Sein Gewissen stach ihn nicht aufgrund der Tat, sondern wegen Louis. Er hatte für Adrian gebürgt, um ihm diesen Job zu verschaffen. Er seufzte. Er brauchte die scheiß Kohle. Neunzigtausend Mark – so hoch waren seine Schulden – würde er mit seinem Lohn in zehn Jahren nicht zusammen haben.

»Adrian, wird das heute noch?«, rief Louis, der auf einmal in nervöse Hektik verfallen war.

Er schwitzte so deutlich, dass Adrian seine feine Wolfsnase kraus zog und über die Wäscheberge hinweg nach vorn sah. Vor Louis stand ein vornehm gekleideter und gut aussehender Mann. Er war um die Vierzig und sah aus wie ein Hollywoodschauspieler oder wie jemand, der im Fernsehen für ein Männerparfüm Werbung machte. 

Adrian hatte keine Ahnung von Klamotten oder wie man sich gut anzog, aber er hatte noch nie einen Mann gesehen, dem ein Anzug so perfekt saß. Der Schnitt betonte seine erstklassig geformten Proportionen. Der Stoff musste eine edle Seide sein. Die Farbe harmonierte mit dem dunklen, dichten Haar, in das sich um die Schläfen leichte graue Strähnen mischten. Seine Brille war randlos, fast unsichtbar und passte perfekt zu seinem frisch rasierten Gesicht.

Er sah sich aufmerksam um und nickte Adrian zu, der den Kopf einzog. Das war Tamás Bethlen. Adrian hatte ihn auf Bildern in der Zeitung gesehen, war ihm aber nie persönlich begegnet.

 Neben ihm tauchte Jean auf, ein hünenhafter Werwolf zweiter Generation und Champion der Käfigkämpfe. Er transportierte über sein kantiges Boxergesicht seinen typischen, griesgrämigen Gesichtsausdruck und bedachte Adrian mit einem Blick, der Geringschätzung und Arroganz nicht besser hätte vereinen können. 

Ein Duft erregte Adrians Aufmerksamkeit. Auf der anderen Seite von Bethlen erschien eine junge Frau mit langen, dunklen Locken. Sie trug ein elegantes Abendkleid aus fließendem Satin. Ihr Teint hatte die Farbe von Milchkaffee und sie wirkte, als käme sie aus dem Mallorcaurlaub. 

Bethlen hielt ihre Hand in seiner verschränkt und küsste sie sanft. Dabei betete sein Blick sie förmlich an, und sie errötete, als ob ihr die Geste peinlich wäre. Sie kicherte und löste ihre Hand aus seiner.

»Papa...«, sagte sie so leise, dass Adrian es nur aufgrund seiner scharfen Wolfsohren hören konnte, und rollte mit den Augen.

Ihr Blick traf seinen. Für eine Sekunde traten der Raum und alle Personen darin in den Hintergrund. Adrians Herzschlag vervielfachte seinen Takt und er schaute schnell weg, damit sie nicht dachte, er starre sie an. Ihren Duft, eine feine Note von Jasmin und Moschus, hüllte ihn ein. Sein Mund war trocken geworden, und er sah beschämt an sich herunter: Er trug seinen Blaumann und nur eine Unterhose darunter und kam sich schmutzig, verschwitzt und unwürdig vor.

»Sie sind der Neue hier in der Wäscherei. Adrian, richtig? Louis sagte mir, dass Sie sehr tüchtig sind«, sagte Bethlen und nickte ihm freundlich zu, »Das ist sehr gut. Tüchtige Leute kann ich immer gebrauchen.«

Adrian nickte, verblüfft, dass Bethlen seinen Namen kannte. Er produzierte ein nervöses Lächeln und brach fast unter dem Gewicht seines Verrats zusammen. 

 »Schüchtern ist er, der Junge. Aber er hat das Herz am rechten Fleck, Boss«, sagte Louis.

Bethlen nickte zufrieden und legte den Arm um seine Tochter. Sie lächelte Adrian zu, ehe sie an der Seite ihres Vaters weiterlief, und er sah ihnen verstohlen hinterher. Sie stieg in den Fahrstuhl, doch bevor sich die Tür hinter ihr schloss, sah sie wie zufällig über ihre Schulter in seine Richtung und zwinkerte. Adrians Beine wurden weich.

»Na, na, Junge, die ist ein paar Klassen zu hoch für dich«, kicherte Louis, der seinem Blick gefolgt war, »Csilla Bethlen wird irgendwann mal dein Boss, wenn ihr alter Herr sich mit seinen Millionen zur Ruhe setzt.«

Adrian lächelte, als er ihren Namen erfuhr. Louis lachte wieder und bekam einen Hustenanfall.

»Du weißt nicht einmal, ob du lieber ein Wolf oder ein Mensch bist – wie willst du da ein Mädchen beeindrucken? Noch dazu Csilla Bethlen! Schlag sie dir aus dem Kopf! An der versengst du dir dein Fell!«


Der Kuss des Mondes - Darkadier-Chroniken: Bethlen-Wölfe 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt