Kapitel 7 - Das große Herdentreffen

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Die dunkelrot schimmernden Beeren, die die Bergherde am vorigen Tag eifrig gesammelt hatte, waren schon fertig in Beutel aus trockenen Blättern verpackt und bereit für den Transport. Heute stand das monatliche Herdentreffen an, bei dem sich die beiden Herden am großen Salzsee für einen Tag lang friedlich begegneten, Neuigkeiten austauschten und Futter sowie mitgebrachte Kräuter teilten. Ernennungen und das Schwimmen zum Sonnenkristall, der als Heiligtum und Energiespender diente, waren ebenfalls mit auf dem Programm.

Rabenband bereitete sich mit gemischten Gefühlen auf das Treffen vor. Zum einen freute er sich darauf, Streuselband wiederzusehen. Allerdings fürchtete er auch, dass es wegen des Angriffs gedrückte Stimmung geben würde. Ebenso fragte er sich, wie die Mitglieder der Ampferherde wohl auf die Nachricht der Sichtung fremder Pferde reagieren würden. Voller Stolz hatte der schwarze Schüler Nachtstrahl von seiner Beobachtung der seltsamen Patrouille beim Kräutersammeln berichtet. Der Anführer war besorgt, dass eine neue Herde plante, ihr Gebiet einzunehmen. Vielleicht hatte die Ampferherde diese Pferde auch bereits gesehen und sie könnten sich gemeinsam gegen sie verbünden? Würde Nachtstrahl das Problem des knappen Futters in den Bergen ansprechen und eine friedliche Lösung suchen?

Gerade hatte dieser scheinbar andere Dinge im Kopf. Konzentriert zählte der prachtvolle Rappe die Beerenpakete ab und teilte Pferde ein, die diese tragen sollten. Er selbst ließ sich von seiner Partnerin Bach zwei besonders große Päckchen auf den Rücken laden und half ihr dann, sich selbst eines anzuschnallen. Krautfell wuselte eilig um die beiden herum und überlegte, welche Heilkräuter er entbehren oder zum Tausch einpacken konnte.

Die heiße Morgensonne brannte auf die Köpfe der Pferde nieder und schon bald waren sie zum Aufbruch bereit. Rotfohlen und seine Mutter Sommerlicht würden wegen der Verletzung nicht mitkommen können, da der kleine Hengst sich noch schonen musste. Rabenband hatte ihm allerdings versprochen, ihm gleich bei seiner Rückkehr alles vom heutigen Tag zu berichten. Voller Neugierde hätte Rotfohlen sich am liebsten aus dem Lager geschlichen, doch seine Mutter hielt ihn sorgsam im Blick.

Aufgeregt folgte Rabenband der losziehenden Gruppe. Im Geiste malte er sich bereits aus, wie er Streuselband Wiedertreffen würde. Ihr glänzendes Fell und der sanfte Nüsternstupser gingen ihm seit ihrer Begegnung am Bach einfach nicht mehr aus dem Kopf. Ob sie wusste, dass er es gewesen war, der sie vor Farnrosts Angriff bewahrt hatte. Würde sie sich bedanken?

„Hier entlang", wieherte Nachtstrahl seiner Herde zu und stakste weiter durchs Geröll. Seine lange, dunkle Mähne umwehte seinen massigen Schädel im sanften Bergwind und glänzte wie ein Wasserfall in der sengenden Sonne.

Gehorsam steuerte der Trupp einen schmalen Pfad hinab. Kleine Steine lösten sich unter ihren Hufen und kullerten geräuschvoll in die Tiefe. Behutsam lugte Rabenband über den Rand des Gesteins. Ein leichter Schwindel überkam ihn. In der Ferne war bereits der Strand zu sahen, an dem das Herdentreffen stattfinden würde. Rauschend brandeten die Wellen auf dem glitzernden Sand auf und schwemmten kleine Steinchen und Hölzer an. Funkelnd kräuselte sich das schier unendlich weite Wasser. Aus den Wogen stachen in der Ferne hier und da ein paar Felsbrocken heraus. Aus der Entfernung sahen sie fast winzig klein aus, doch die Pferde wussten, wie mächtig die Gesteine eigentlich waren. Vor allem der berüchtigte Sonnenkristall, der in einer Höhle einer der Felseninseln verborgen lag, sollte riesig sein. Rabenband kannte ihn leider nur aus Erzählungen. Die wenigsten Pferde hatte ihn tatsächlich zu Gesicht bekommen. Normalerweise war dieses Privileg den Heilern und neu ernannten Anführern vorbehalten. Sie erlangten dadurch die Weisheit und Stärke, ihre Herden zu führen und die besten Entscheidungen für ihre Pferde zu treffen. Ebenfalls gab es Legenden über Wunderheilungen von Pferden, die eigentlich dem Tod geweiht waren und durch die Macht des Kristalls wiedererweckt wurden. Die Heiler bewahrten jeweils ein kleines Stück des Steins im Lager der Herde auf, um Schutz vor Raubtieren und Unwettern zu erhalten und mit den Ahnen zu kommunizieren. Rabenband verstand den Zauber des Steines nicht wirklich und war jedes Mal beeindruckt davon, wie Krautfell damit in Verbindung treten konnte. Einmal meinte er, die Felsen erzählten Geschichten von mächtigen Kriegern, längst vergangenen Herden und den gefährlichen Strömen des großen Salzsees. Nur einmal im Jahr war das Wasser niedrig genug, dass man zum Sonnenkristall reisen konnte. Die Heiler bereiteten sich oft Tagelang darauf vor. Von Krautfell wusste Rabenband, dass der Sonnenkristall seinen Namen daher trug, weil er unglaublich aufleuchtete, wenn die Sonnenstrahlen durch eine Öffnung in der Höhle durch seine Struktur hindurch brachen. Botschaften und Warnungen konnten aus der Reflexion gelesen werden. Der letzte Besuch lag schon lange zurück. Bald musste es wieder soweit sein, dass Krautfell und Blaurose, die Heilerin der Ampferherde, zum Sonnenkristall aufbrechen würden.

RivalenWhere stories live. Discover now