Kapitel 2 - Futtersuche

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Schon bald war Rabenband im Lager der Bergherde angelangt. Er hatte sich aufgrund seines nagenden Hungers extra beeilt, um rechtzeitig zur Mittags-Futtersuche anzukommen. In der Bergherde war es so geregelt, dass es täglich drei Futtersuchen gab, um vor allem für die Jungtiere eine geregelte und geschützte Nahrungsaufnahme zu gewährleisten. Dank Rabenbands aufwändigem Training, das ihn zum Wächter ausbilden sollte, blieb ihm außerhalb der regulären Futtersuchen kaum Zeit zum Fressen, weshalb er nochmals an Tempo anzog.

Beim Durchqueren des Lagertors, das aus zwei besonders großen Steinbrocken bestand, stellte er erleichtert fest, dass ihm bis zum Aufbruch der Truppe noch genug Zeit blieb, sich ein wenig auszuruhen. Routiniert glitt er zwischen den hohen Felsen hindurch, die das Lager umgaben. Zielstrebig steuerte er auf die zweite Anführerin Farnrost zu, der er von dem Futterplatz der Ampferherde berichten wollte. Sie stand unterhalb eines großen Felshaufens und arrangierte dort ein paar Steinbrocken neu.

Nach ein paar knappen Worten, worauf die zweite Anführerin ihn zufrieden lobte, wollte Rabenband sich in den Schülerhöhlen ein bisschen von seinen Erlebnissen erholen. Erschöpft lies er seinen Blick über das Lager schweifen, das in einer runden Felssenke lag und schützend von einigen hohen Steinen umgeben war. Rabenband entdeckte Luftband, eine graue Stute, die wie er noch zu den Schülern gehörte. Allerdings stand sie schon kurz vor ihrer Ernennung zum Kämpfer, während er selbst erst kürzlich Schüler geworden war.

Luftband schmiegte sich eng an Wasserfall, einen ausgewachsenen Hengst und begleitete ihn dann aus dem Lager um mit ihm auf Patrouille zu gehen oder ähnliches. Der Anblick der beiden sich so vertrauten Pferde erweckte unwillkürlich die Erinnerung an Streuselband in Rabenbands Kopf. Die weiße Stute von vorhin, um deren bunt gesprenkelte Fell sie bestimmt jedes Mitglied ihrer Herde beneiden musste. Der sanfte Stupser mit ihren weichen Nüstern. und ihre unbefangene Stimme. Ganz anders als Flügel, der sich ihm direkt feindselig gegenübergestellt hatte. Seufzend lehnte Rabenband seinen Kopf gegen die kühle Felswand. Zu gerne würde er diese Stute wiedersehen. Doch die Herdengesetze waren streng. Lediglich bei den Herdentreffen waren friedliche Begegnungen mit der anderen Herde gestattet. Er nahm sich vor, bei der nächsten Versammlung ein paar Worte mit Streuselband zu wechseln, auch wenn er fast seinen Schweif darauf verwetten könnte, dass er zu schüchtern sein würde, um sie tatsächlich anzusprechen.

Da vernahm er plötzlich das nahende Geräusch trabender Hufe. Seine Tutorin Wüste holte ihn zurück in die Gegenwart, indem sie nach ihm rief. Sie trug ihm auf, sich der Futtersuche anzuschließen. Da der Rappe das sowieso vorgehabt hatte, war er froh über die Erinnerung der gescheckten Stute. Dankbar nickte er ihr zu und lief in Richtung des Ausgangs des Lagers. Dort wartete bereits der Herdenchef Nachtstrahl, der auch die Futtersuche anleiten würde. Bach, die Partnerin des Anführers, kam zu ihm getrottet und unterhielt sich kurz mit dem schwarzblauen Hengst , dessen lange Mähne wie ein Wasserfall seinen massigen Hals hinabfiel.

Bald schon waren auch die anderen Pferde für die Futtersuche eingetroffen und die kleine Gruppe zog los. Nachtstrahl führte sie zuverlässig über die steinigen Bergpfade. Dabei sprang das derzeit einzige Jungtier Rotfohlen übermütig durch die Felsen und lies dabei die Muskeln spielen. Er war ein überaus kräftiges Pferd und würde sich bestimmt gut als Kämpfer machen, wenn er alt genug dazu war. Vor seiner Ernennung zum Schüler hatte Rabenband oft mit dem temperamentvollen Fuchs gespielt und mochte ihn noch immer sehr, auch wenn sie nun nicht mehr die selbe Höhle teilten.

Als sie an einer der Weideflächen inmitten einer Felsformation ankamen, senkte Rabenband mit knurrendem Magen den Kopf, um zu grasen. Hungrig verschlang er die trockenen Kräuter, die am steinigen Boden wuchsen. Glücklicherweise waren die Pflanzen hier dank des Schattens der Steine noch nicht völlig verdorrt, aber beim Gedanken an das saftige Gras, das er bei der Ampferherde entdeckt hatte, verging ihm bei den unangenehm stacheligen Halle dennoch fast der Appetit. Gerade im Sommer waren Dürren ein immer häufiger auftretendes Problem in den Bergen. Glücklicherweise war zumindest der Gebirgsbach im Lager noch nicht versiegt, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis es dazu kam.

Plötzlich rissen laute Hufschläge Rabenband aus den Gedanken. Verwirrt hob er den Kopf. Wie ein weißer Blitz schoss der Hengst Sturm hinter einem Felsblock hervor und befahl laut wiehernd: „Alle zurück ins Lager!" Schnaufend warf er seinen Kopf zurück. Man sah dem jungen Kämpfer seine Aufregung deutlich an. „Sandfell, Bach, Rabenband, Lärchenband! Ihr kommt mit mir!"

Rabenbands Augen weiteten sich. Was war hier los? Bevor er die Frage laut stellen konnte, wieherte Sturm schrill und nahezu euphorisch: „Wir greifen die Ampferherde an!" 

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