Kapitel 4 - Umgerannt

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Nach einigen Stunden und vielen Tintenklecksen auf der ungeschützten Oberfläche des Stubentischs, lagen alle Tarotkarten des einst unbemalten Stapels auf dem ausgebreiteten Zeitungspapier auf dem Boden. Fiona war recht zufrieden mit dem Ergebnis. Sie hatte die schwarz-weißen Karten zusätzlich mit goldener Farbe verziert, die sie neben anderen Mal- und Zeichenutensilien in der hintersten Ecke ihres Schranks gefunden hatte. Zufrieden setzte sich Fiona mit einer Tasse heißer Schokolade auf ihre Couch und verfolgte die Nachrichten. Diese berichteten in einer durchgängigen Schleife von den ungewöhnlichen Wetterereignissen, die sich wohl auch die führenden Meteorologen renommierter Universitäten nicht erklären konnten. Einige Sprecher forderten einen Eingriff durch die Avengers, jedoch sei jeglicher Kontakt zum Stark Tower abgebrochen, sodass niemand wusste, ob die übernatürliche Elite überhaupt eingreifen konnte.
Fiona warf einen Blick nach draußen. Mittlerweile hatten sich die Bewohner ihres Viertels daran gemacht, mit allen Mitteln die Straßen zumindest einigermaßen begehbar zu machen, indem sie aus ihren Fenstern kletterten und Trampelpfade schufen. Nur Fionas Block blieb unberührt. In ihrem Aufzug lebten fast ausschließlich Rentner, die das Leben in ihren warmen Wohnungen genossen und keinen Sinn darin sahen, die Außenwelt zu betreten.
Fiona blickte auf das Tintenchaos, das bei ihrem Projekt auf ihrem improvisierten Arbeitsplatz entstanden war und seufzte. Die Karten mussten sowieso noch trocknen und sie nahm sich vor, in der Zwischenzeit etwas aufzuräumen.
Fünf Minuten später standen alle Pinsel ausgewaschen im Besteckkorb, die Palette lag sauber auf einem Küchenhandtuch und die Tintenflecke waren vom Stubentisch verschwunden.
Stolz auf sich selbst begab sich Fiona zum Kühlschrank, um sich mit einem Stück Kuchen zu belohnen. Als sie die Tür zum Reich der Kälte öffnete, erschrak sie. Der Kühlschrank war leer.
Sie musste wohl vergessen haben einzukaufen.
Ein Grummeln ertönte von ihrem Bauch. Sie hatte nicht gefrühstückt und ihr Körper teilte ihr mit, dass das eine miese Idee gewesen war.
Genervt kehrte sie zurück zum Wohnzimmer und betrachtete nachdenklich die immer noch auf dem Boden liegenden Karten. Hatte Pietro die Karten nicht sehen wollen? Die kleinen rechteckigen Papierstücke waren in einem leichten Halbkreis aufgereiht und zeigten verschiedenste Szenarien. Vom Sensenmann bis zu einem Narren war alles dabei.
Fiona zückte ihr Handy und öffnete die Kamera. Schnell schoss sie einige Fotos, um das Beste an Pietro zu verschicken. Sobald das Bild versendet war, verfasste sie gleich darauf eine erklärende Nachricht.
ˋHat etwas länger gedauert als gedacht, aber ich bin ganz zufrieden.´
Auf Pietros Seite brach derweil die Hölle aus. Minerva hatte wieder geschrieben. Pietro konnte gar nicht schnell genug gucken, da hatte sich seine Schwester das Telefon gekrallt und starrte gespannt auf den Bildschirm. Steve, Captain America, nörgelte währenddessen, dass dafür auch später noch genügend Zeit war. Das Team hatte beschlossen, den Menschen zu helfen und mittels hochkomplizierter Technik aus Tonys Werkstatt die wichtigsten Wege freizuschmelzen. Tony selbst war davon gar nicht begeistert, denn dieser hatte sich auf ein paar Tage Ruhe gefreut. Sogar Pietro wurde trotz seiner Verletzung in den Plan eingespannt.
Pietro stibitzte sich sein Handy  wieder zurück und betrachtete das Foto, das ihm Minerva gesendet hatte, und blickte dann etwas weiter runter, um die bereits eingetippte Antwort seiner Schwester zu lesen.
ˋDie sehen toll aus.:D Malst du schon lange?´ Pietro drückte auf ˋSenden´, da ihm selbst auch nichts besseres einfiel. Eine Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
ˋDanke ^-^. Naja, immer mal wieder, wenn ich Zeit habe. Haben sich deine Mitbewohner mittlerweile beruhigt?´ Wanda stieß ihn in die Seite. “Au! Ich hab mich doch schon entschuldigt.”, beschwerte sich Pietro, bevor er Minerva antwortete.
ˋNaja nicht wirklich. Sie wollen versuchen nach draußen zu kommen´
ˋJa, das muss ich demnächst auch noch machen. Mein Kühlschrank ist leer :´(´
Pietro schmunzelte. Ob sie sich wohl sehen würden? Das war eher unwahrscheinlich.
Er tippte schnell eine Antwort, bevor er sein Handy weglegte, um sich für die ˋCivil-Mission´, wie Steve es nannte, bereit zu machen.
ˋViel Glück. Pass auf dich auf´
ˋDanke, werd ich´
Auch Fiona legte ihr Telefon zur Seite und bereitete sich auf die eisigen Temperaturen vor.
Schon nach dem Verlassen ihrer Wohnung konnte sie einen starken Unterschied der Temperaturen feststellen. Dabei hatte sie das Haus noch nicht einmal verlassen. Statt nochmals zu versuchen, die Haustür zu bewegen, besann sich Fiona eines Besseren und stieg, wie viele andere Bewohner des Viertels auch, durch das Flurfenster des ersten Stockwerks nach draußen. Der Schnee war nicht hoch genug, um direkt an das Fenster zu reichen, hatte aber eine passende Höhe, um zu vermeiden, dass sie sich bei einem Sprung irgendetwas brach.
Sie sprang und landete sicher auf dem Schnee. Der Schnee war weich, sodass sie sich bei dem Aufprall nicht verletzte, aber hart genug, um darauf zu stehen, ohne einzusinken.
Fiona stand nun genau dort, wo sich die Eingangstür ihres Aufgangs befand und sah sich um. Es war kein potenzieller Beobachter zu sehen.
Sie berührte den Schnee mit ihren Fingerspitzen. Daraufhin verwandelte sich dieser in eine schwarze Flüssigkeit und schmolz so lange, bis Fiona wieder den Boden unter ihren Füßen spüren konnte. Die schwarze Flüssigkeit war Tinte, die zweite Eigenschaft, die sie bei den lebensverändernden Experimenten, die an ihr versucht worden waren, erlangt hatte.  Die schwarze Flüssigkeit war Fionas Diener und ein Teil von ihr. Sie konnte sie in jede erdenkliche Form zwingen, sowie sie in Konsistenz, Beschaffenheit, Dichte und Aggregatzustand verändern.
Fiona drehte sich in die Richtung, in der sie eine Hauptstraße vermutete und streckte ihre Hand nach dem Schnee aus. Sobald ihre Fingerspitzen die kalte Masse berührten, zerlief diese, wie zuvor schon, in die schwarze Flüssigkeit. Auf diese Art und Weise schuf sich Fiona einen Weg, bis sie Stimmen vernahm und stattdessen versuchte, wieder auf den Schnee zu klettern. Als das geschafft war, lief sie den Rest des Weges auf der kalten Oberfläche. Niemand schien ihren kleinen Trick bemerkt zu haben.
Die Hauptstraße war zwar lange nicht mehr so betroffen, wie ihr Viertel, aber an fahrende Autos war auch hier nicht zu denken.
Fiona ging zielstrebig auf einen Einkaufsladen in der Nähe zu. Ihr anfängliches Magengrummeln hatte sich mittlerweile in einen stechenden Schmerz verwandelt.
Kurze Zeit später trat sie mit einer Apfeltasche in der Hand wieder ins Freie. Sie hatte nur das Nötigste besorgt, um nicht allzu viel schleppen zu müssen.
Die Hauptstraße, auf der sie sich befand, führte auf direktem Wege zum von ihr so ungeliebten Stark Tower. Sie entschied sich, die verschneite Umgebung etwas zu erkunden.
“Aber erst sollte ich meine Einkäufe weg bringen", murmelte Fiona zu sich selbst.
Gesagt, getan. Nachdem sie wieder zur Straße zurückgekehrt war, sah sie sich nachdenklich um. Auf einmal wurde sie zurück in die Gasse gestoßen, aus der sie gerade gekommen war, und im nächsten Moment fand sie sich auf dem Boden wieder. Sie spürte ein schweres Gewicht auf sich und begriff langsam, dass sie wohl umgerannt worden war und die dafür verantwortliche Person nun auf ihr lag. Bei näherem Hinsehen erkannte sie blondes kurzes Haar, dass ihr verdächtig bekannt vorkam. Sie konnte nur leider das Gesicht der Person nicht ausmachen, da die Person ihren Kopf in Fionas Schulter zu vergraben schien. Die Person bewegte sich auch nach einigen Versuchen Fionas, sie von sich runter zu bewegen, nicht.
Gerade als sie den nächsten Versuch starten wollte, die anscheinend bewusstlose Person, von sich zu schieben, sah Fiona im Augenwinkel, wie eine erschreckend große Massen Schnee auf sie zu fallen drohte. Ohne wirklich darüber nachzudenken, streckte Fiona ihre Hand aus. Wenige Sekunden, bevor die Lawine sie begraben konnte, berührten Fionas Fingerspitzen die eisige Masse, die sich daraufhin, wie zuvor auch, in schwarze Tinte auflöste.
Mit einem kräftigen Ruck schaffte es Fiona endlich, die immer noch auf ihr liegende Person von sich zu rollen. Sobald Fiona aufgestanden war, sah sie sich hektisch um. Hoffentlich hatte sie niemand gesehen. Sie wollte nicht schon wieder umziehen. Sie bemerkte einen großen Schneehaufen, dort wo sie gestanden hatte, bevor man sie umstieß. Sie sah zurück auf die Person, die auf ihr gelegen hatte. Wie sich herausstellte, nachdem sie die Person auf den Rücken gedreht hatte, handelte es sich bei näherer Betrachtung um Pietro. Er hatte sie davor bewahrt, von herabfallenden Schneemassen erschlagen zu werden. Sie beugte sich zu ihm runter und versuchte an seinem Hals seinen Puls zu fühlen. Angespannt drückte sie ihre Finger auf eine Stelle seiner Haut, wo sie seine Herzschlagarder vermutete.
Wenig später atmete sie angespannt aus. Sie hatte seinen Herzschlag gefunden. Er lebte noch und war tatsächlich nur bewusstlos.
Ratlos sah sich Fiona um. Sie konnte ihn weder mit zu ihrer Wohnung schleppen, denn dafür war er viel zu schwer, noch ihn einfach hier liegen lassen. Sie versuchte erstmal Pietro in die stabile Seitenlage zu bringen und hielt weiter Ausschau nach Hilfe.
Auf diese musste sie auch nicht lange warten. Bald kam eine rothaarige Frau, die etwa in Pietros Alter sein musste, die Straße entlang gerannt. Dabei rief sie Pietros Namen. Sofort versuchte Fiona, auf sich aufmerksam zu machen und wank der Frau zu. Diese bemerkte sie wenig später und hastete auf sie zu.
“Oh verdammt, Pietro!”, fluchte die Frau während sie sich zu Pietro kniete. “Was machst du nur für Sachen?", murmelte sie, während sie versuchte, seinen Puls zu fühlen. “Das hab ich schon gemacht. Er ist nur bewusstlos”, meldete sich Fiona zu Wort. Die Frau sackte ein Stück zusammen, so als ob eine große Last von ihren Schultern gefallen wäre. “Er hat mich vor einer Dachlawine gerettet und ist danach bewusstlos geworden”, führte Fiona weiter. “Das ist auch kein Wunder”, kommentierte die Frau. “Er hat sich noch nicht ganz von seiner Verletzung erholt und hat sich jetzt wahrscheinlich übernommen”, seufzte sie. “Woher kennst du ihn?” fragte die Rothaarige scharf. “Was?”, brachte Fiona perplex hervor. “Ich habe seinen Namen gerufen und du hast aufgezeigt. Woher wusstest du, dass ich ihn meinte?”, erklärte die Frau. Fiona seufzte. “Er ist Stammkunde in dem Café in dem ich arbeite und letztens hat er mir seine Nummer gegeben. Dabei stand halt auch sein Name”, antwortete Fiona wahrheitsgemäß. Die Frau blickte sie nachdenklich an und Fiona spürte ein kleines  Zwicken im Kopf, so als wenn jemand versuchen würde einzudringen. Sie verdrängte das Gefühl und die Frau vor ihr riss überrascht die Augen auf.
“Du musst dann wohl Minerva sein”, schlussfolgerte sie. Fiona nickte bejahend. “Ich bin Wanda und seine Schwester.”, erklärte sich Wanda.
Wanda sah sich suchend um, schien aber nicht zu finden, wonach sie suchte. Sie sah Pietro nachdenklich an und blickte dann zu Fiona. Wanda seufzte.
“Komm, helf’ mir mal, diesen Idioten hier weg zu bringen”, bat sie Fiona. Diese setzte sich sofort in Bewegung, um Pietro zu stützen. Sie klemmte sich einen seiner Arme hinter die Schulter und hielt ihn mit der anderen Hand fest. Danach standen beide Frauen gleichzeitig auf, um den Bewusstlosen gemeinsam wegzuziehen.
“Wir müssen nur ein Stück die Straße hoch. Dann sollten wir auf die Anderen stoßen”, keuchte Wanda unter dem Gewicht ihres Bruders. Fiona nickte nur.
Wenig später bogen sie in eine kleinere Nebenstraße ab, wo sich mittlerweile eine kleine Gruppe an Menschen zusammengefunden hatte. In der Mitte der Gruppe konnte Fiona einige Personen ausmachen, die definitiv aus den Massen heraus stachen und deren Anblick ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Sie musste hier ganz schnell weg. Aber sie konnte Pietro und Wanda schlecht zurücklassen. Vielleicht hatte sie Glück und Wanda wollte zu den Leuten, die um die Helden herum standen oder eventuell sogar nur an den Rand, um einen Sanitäter zu finden. ˋJa, das wird es sein´, dachte Fiona bei sich.
Fiona musste jedoch mit Schrecken feststellen, dass Wanda direkt auf Captain America zusteuerte.
“Steve, ich hab’ ihn gefunden”, rief Wanda dem Mann mit der riesigen Frisbeescheibe zu. Fionas Magen drehte sich um und sie hatte das plötzliche Bedürfnis der ganzen Welt, die Apfeltasche zu präsentieren, die sie vorhin gegessen hatte.
“Warum ist er bewusstlos?”, fragte ˋSteve´, beziehungsweise Captain America. Danach sah er nachdenklich zu Fiona. Als hätte sie etwas damit zu tun, dass Pietro immer noch bewusstlos über ihrer Schulter hing.
“Er hatte mich davor bewahrt, von einer Dachlawine getroffen zu werden und ist danach bewusstlos geworden”, erklärte Fiona anstelle von Wanda, um etwas mehr Vertrauen zu gewinnen. Ob der Versuch, weniger suspekt zu wirken, wirklich gefruchtet hatte, würde sich noch zeigen, doch momentan schien sich die Situation geklärt zu haben.

AN// Korrekturen und konstruktive Kritik sind immer gern gesehen ^-^

A Heart as Black as Ink Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon