Epilog

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„Ihre persönlichen Sachen", sagte die Pflegerin und schob mir einen geschlossenen Plastikbeutel zu. Darin befanden sich Ausweisdokumente, ein Hausschlüssel und ein an den Rändern vergilbtes Foto.

„Wie aufmerksam", erwiderte ich betont spöttisch und verstaute die dargebotenen Utensilien anschließend in meiner Manteltasche. „Und hier ist dein Entlassungsbrief. Dein gesetzlicher Betreuer hat den Papierkram ansonsten schon erledigt. Du kannst gehen."

Ich erhob mich und schritt gemächlichen Tempos aus der Klinik, dass erste Mal seit acht quälend langen Monden. Es war inzwischen November geworden, mein absoluter Lieblingsmonat. Genießerisch zog ich die nassfeuchte Luft ein und genoss den Anblick der kahlgefegten Bäume.

„Endlich", ertönte eine dunkle Stimme und ich drehte den Kopf; ein gut gekleideter Mann in seinen späten Vierzigern trottete mir entgegen. Arndts schwerer Blick ruhte auf mir und zauberte mir sofort ein Lächeln auf die Lippen, als ich erwiderte: „Du nimmst mir das Wort aus dem Mund. Ich dachte schon, der Zirkel will mich hier drin elendig verrotten lassen."

„Verdientermaßen. Du hast viel Schande über unseren Zirkel und der Blutlinie Hanen gebracht, Liliana."

„Nur weil ich ein kleinwenig besessen war?", fragte ich amüsiert zurück. „Steig runter von deinem hohen Ross, Arndt. Niemand ist gestorben, oder? Es war nur ein kleiner Zeitvertreib."

Der Mann mittleren Alters seufzte schwer. „Ich habe deiner Mutter auf dem Totenbett geschworen, dich zu beschützen, Lily. Aber du machst es einem nicht gerade leicht. Was hast du dir nur dabei gedacht? Unsere Aufgabe besteht darin das Gleichgewicht zu wahren und nicht darin, alles ins Choas zu stürzen."

Das Mädchen verdrehte die Augen. Sie war diese alte Leier so leid und giftete deshalb: „Aber so war es nicht immer, oder? Früher haben wir uns nicht um das Gleichgewicht geschert und Magie gewirkt, wie wir es wollten. Damals als unser Blut noch rein und stark war."

„Ja und du weißt, wozu das geführt hat. Niemand von uns wünscht sich eine Wiederholung der Hexenverfolgung, Lily. Deshalb müssen wir stets vorsichtig agieren", spielte Arndt seine alte Platte ab.

„Schon gut. Erspar mir den langweiligen Vortrag. Wichtiger ist, wie bekomme ich meinen Ring zurück?"

„Nachdem du bewiesen hast, dass du kein närrisches dummes Kind mehr bist. Es war leichtsinnig, ihn dir schon so früh anzuvertrauen. Du warst eindeutig noch nicht bereit", betonte er überdeutlich und sein vorwurfsvolles Funkeln intensivierte sich.

Der Vorwurf kratzte mich wenig, aber mein linker Mittelfinger fühlte sich bei diesen Worten noch leerer an.

Na schön. Dann spielte ich eben eine Weile das Vorzeigehexenblut.

„Hast du mein Handy? Ich würde gerne einen Anruf tätigen." Fordernd streckte ich eine Hand aus und Arndt kramte es gemächlich aus der Innentasche seines Mantels hervor.

Ich öffnete den letzten Chat und entdeckte überraschenderweise keine einzige ungelesene Nachricht von ihr. Die letzte Textnachricht stammte vom 23.03.2023 und lautete: Wo bist du?

Was...?

Ich drückte oben rechts auf das Telefonsymbol und presste es mir ans Ohr. Kurz darauf teilte mir eine mechanische Frauenstimme mit, dass die von mir gewählte Rufnummer nicht länger vergeben war.

„Du verschwendest deine Zeit", teilte Arndt mir ungerührt mit. „Deine Freundin lebt nicht mehr in der Stadt. Der Zirkel hielt es für besser, ihre Mutter dazu zu bewegen, woanders einen Neuanfang zu wagen."

„Ihr habt meine Freundin verflucht?", fragte ich und meine gewohnte Lockerheit verschwand gänzlich aus meiner Stimmfarbe.

„Soweit wir das beurteilen können, geht es Mikaela gut."

„Wie in Katharinas Namen kann ich das verstehen? Wo ist sie?"

„An einen Ort, wo unser Zirkel keinen Einfluss mehr hat. Und das ist auch gut so. Für dich war das vielleicht nur ein Spiel, aber du hast diesem Mädchen eine Scheißangst eingejagt. Sie dachte wirklich, dass du von einem Dämon besessen warst... was war eigentlich deine Intention? Wolltest du sie etwa ernsthaft hinter den Schleier blicken lassen?"

„Sie wollte unbedingt dieses Hexenbrett ausprobieren, was sie auf Großtantes Dachboden gefunden hat. Konnte ja keiner ahnen, dass es so schnell außer Kontrolle gerät... obwohl es schon auch ein bisschen lustig war - und romantisch. Immerhin hat sie sogar versucht einen laienhaften Exorzismus bei mir durchzuführen, nur um mich zu retten."

„Bei dem du fast draufgegangen wärst", erinnerte Arndt mich genervt.

„Bei dir ist das Glas auch immer halb leer, hm? Also sagst du mir jetzt wo sie ist oder muss ich es mühsam selbst herausfinden?"

„Ich werde dir sicher bei keiner weiteren dummen Entscheidung helfen. So wirst du deinen Ring nie zurückbekommen. Außerdem wird es dem Zirkel missfallen, wenn du jetzt sogar anfängst in anderer Einflussgebiete für Chaos zu sorgen. Irgendwann wird der Name deiner Vorfahrin nicht mehr ausreichen, um dich von jeder Sünde freizusprechen, Liliana Hanen. Vergiss das besser nicht."

Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging den regennassen Bürgersteig entlang, wobei seine schicken Schuhe trotz der Pfützen erstaunlich trocken blieben.

Na schön, dachte ich wehmütig und schlug die entgegengesetzte Richtung ein. Wahrscheinlich hatte ich es diesmal tatsächlich etwas zu weit getrieben und sollte mich bei Miki entschuldigen.

Meine Stiefeletten machten mit jedem Schritt schmatzende Geräusche.

Aber davor...

Ich hörte Flügelschlagen und im nächsten Moment landete eine Krähe auf meiner Schulter, in dessen Schnabel ein silberner Gegenstand funkelte.

„Gut gemacht, Elsie", lobte ich den Vogel als dieser mir mit einer Schnabelbewegung meinen Ring in die geöffnete Handfläche warf. „Was meinst du? Wohlen wir ein bisschen Spaß haben?"

Elsie krächzte zustimmend, während ich mir den schweren Ring zurück auf den Mittelfinger schob.

Dorthin, wo er hingehörte.


***

Nur in meinem Kopf - Eine GeistergeschichteWhere stories live. Discover now