10. Alicia | Miki/Keno

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Keno ging mir mit seiner zögerlichen Einstellung langsam auf die Nerven.

Die Lage war ernst.

Ich fand Kaja in der Bib, wo sie mal wieder ganz vorbildhaft Schularbeiten erledigte.

Ohne jedes Zögern setzte ich mich zu ihr an den Tisch.
„Wir müssen reden."

„Okay", entgegnete sie überrascht und blinzelte mich über den Stapel Bücher hinweg an. „Worüber müssen wir reden?"

„Ich glaube wir hatten keinen guten Start", begann ich und stützte den linken Ellbogen an der Tischkante auf. „Ich denke, du bist einer der wenigen ertragbaren Menschen an dieser Schule."

„Vielen Dank", grinste sie. „Du bist aber auch ganz in Ordnung."

„Jedenfalls habe ich mich gefragt, ob wir nochmal einen zweiten Versuch starten und uns näher kennenlernen wollen?"

„Ähm, klar. Was genau schwebt dir denn vor?"

„Warum kommst du später nicht noch mit zu mir?", schlug ich ihr unschuldig vor. „Meine Mum ist sicherlich bis spätabends in der Werkstatt beschäftigt."

„Klar, wieso nicht", entgegnete Kaja lächelnd. „Dann sehen wir uns später? Sorry, ich muss jetzt leider los in den Unterricht."

„Bis dann", rief ich ihr nach und sah zu, wie sie den Laptop in ihre Umhängetasche verschwinden ließ.

Das lief doch ziemlich gut, jetzt musste ich mir nur noch einen Plan überlegen, wie ich mir ihren Laptop eine Weile unbemerkt ausleihen konnte. Mich mit Kaja anzufreunden, war da sicherlich ein strategischer Vorteil.

Ich kam verspätet in den Unterricht und wurde erstmal angemeckert. Dann viel mir auf, dass Kenos Platz leer war. Wo ist er?

Irgendwas lag in der Luft; die Stimmung war angespannt. Außer Keno fehlten sowohl Marlon als auch Marnie. Ist irgendwas passiert?

Sein Fehlen machte mich unruhig, weshalb ich sogar am Ende der Doppelstunde Robins Platz ansteuerte. „Hey, hast du ne Ahnung, wo Keno steckt?"

„Du hast es nicht mitbekommen?"

„Nein, was?"
Der Dunkelhaarige musterte mich einen Moment abschätzig, bevor er etwas in sein Handy tippte und mir anschließend unter die Nase hielt. Geisterjunge stranguliert Mitschüler war der Titel des Videos. Es hatte bereits über Tausend Aufrufe.

Man sah Marlon, der augenscheinlich kurz vorm Ersticken war und Keno, der ihm gegenüberstand und ins Leere blickte.

„Fuck", fluchte ich, machte am Absatz kehrt und rannte aus dem Klassenzimmer, raus aus dem Schulgebäude.

*

Meine Lunge brannte, aber ich biss die Zähne zusammen und hielt das angeschlagene Tempo. Erst kurz bevor ich den Strand erreichte, drosselte ich meinen Schritt.

Ich sah Kenos Umrisse im Sand kauern und näherte mich vorsichtig.

„Keno?"

Erst reagierte er gar nicht auf meine Stimme, sodass ich ihn leicht an der Schulter berührte. „Keno?"

Diesmal zeigte er eine Reaktion und drehte den Kopf. Er war nicht so verstört wie ich anfangs befürchtet hatte, im Gegenteil, seine Augen glühten wacher und entschlossener denn je.

„Ich konnte ihn verletzen."

„Marlon?", flüsterte ich verwirrt, doch er schüttelte den Kopf. „Nein, Endler", erklärte er mir. „Als ich meine Hand nach ihm ausgestreckt habe, wurde er von schlimmen Schmerzen gepeinigt. Als hätte er sich übel an mir verbrannt."

Nur in meinem Kopf - Eine GeistergeschichteWhere stories live. Discover now